Heuschreckenplage in Kenia

"Wir werden hungern"

23:31 Minuten
Auf diesem Foto, das am Donnerstag, dem 16. Januar 2020, aufgenommen wurde, sind zwei Samburu-Männer, die für ein Katastrophenschutzteam des Bezirks arbeiten, das den Standort der Heuschrecken ermittelt, von einem Schwarm Wüstenheuschrecken umgeben, der die Luft in der Nähe des Dorfes Sissia im Bezirk Samburu in Kenia erfüllt.
Die schlimmste Heuschreckenplage seit 25 Jahren sucht derzeit Ostafrika heim. © dpa/ AP/ Patrick Ngugi
Von Antje Diekhans · 28.04.2020
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Ein riesiger wimmelnder Teppich aus Abermillionen Heuschrecken und Larven, die alles kahl fressen: Drei Viertel der Fläche Kenias sind betroffen. Mit Pestiziden rückt die Regierung den Heuschrecken zu Leibe. Doch das Gift wirkt nicht wie erhofft.
Sie schlagen auf Töpfe, pfeifen, schreien, klatschen in die Hände. Die Menschen in der Samburu-Region in Kenia versuchen mit allen Mitteln, die sie haben, Heuschrecken zu vertreiben. Ausrichten können sie gegen die Riesenschwärme kaum etwas.
Die Insekten sind überall. Millionen von ihnen sitzen auf den Maispflanzen, in den Sträuchern und Bäumen. Anfang des Jahres kamen sie hier an.
"So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich war völlig schockiert und bin weggerannt", sagt Kitashia Leadisimo.
"Wo sie waren, findest du kein Grün mehr", berichtet Daniel Lekuye. "Am Anfang habe ich gedacht, eine riesige Wolke zieht auf uns zu, aber dann hat jemand gesagt, dass es Heuschrecken sind."
Der Blick über ein Tal, in dem sich ein Schwarm niedergelassen hat. Von weitem sieht es aus, als würden die Bäume rosarot blühen. Von nahem sind es kahl gefressene Äste mit Heuschrecken, genauer gesagt: Wüstenheuschrecken, die in diesem Entwicklungsstadium lachsfarben sind. Sie tauchen gern in Massen auf: Ein Schwarm, der in Kenia gesichtet wurde, erstreckte sich über eine Fläche von 60 mal 40 Kilometern. Ein Gebiet, fast so groß wie das Saarland.

Der Klimawandel begüngstigt die Heuschreckenplage

"Die Bedingungen für die Heuschrecken sind gut", sagt Stanley Kipkoech vom kenianischen Landwirtschaftsministerium. "Die Windrichtung passte, und weil es viel geregnet hat, finden sie Nahrung. Das ist der Klimawandel. Wir haben Regen in Gebieten, in denen es sonst trocken ist. Darum gibt es diese Plage in der gesamten Region."
Der Spezialist für Schädlingsbekämpfung im kenianischen Landwirtschaftsministerium ist in die Samburu-Region gekommen, um sich selbst ein Bild vom Ausmaß der Schwärme zu machen. Am Tag können die Insekten etwa 150 Kilometer zurücklegen. Wenn sie kein Grün mehr finden, ziehen sie weiter.
"Die Schädlinge sind äußerst zerstörerisch. Eine Heuschrecke frisst am Tag eine Menge, die ihrem Körpergewicht entspricht, also etwa 20 Gramm. Jeder Schwarm hat 30 bis 40 Millionen Insekten. Die Rechnung ist einfach: Da werden Tonnen an Nahrungsmitteln vernichtet, die eigentlich für Vieh und Menschen sein sollten."
Ein Schwarm Heuschrecken fliegt durch die Landschaft.
Der Himmel voller Heuschrecken - so sieht eine Plage aus.© Deutschlandradio/ Antje Diekhans
Die Vereinten Nationen sprechen von der schlimmsten Plage in Kenia seit 70 Jahren. Der Chef der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO warnt früh: In Kenia und den Nachbarländern hätten viele Menschen sowieso nicht genug zu essen. Jetzt könne sich die Lage zuspitzen, meint Dominique Burgeon:
"Die internationale Gemeinschaft muss begreifen, dass jetzt etwas getan werden muss. Ansonsten werden Millionen von Menschen Lebensmittelhilfe benötigen. Dann werden wir Jahre brauchen, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen."

Freiwillige Helfer im Pestizideinsatz

Ursprünglich kalkulierten die Vereinten Nationen, dass 75 Millionen Dollar für den Kampf gegen die Heuschrecken in Ostafrika nötig wären. Schon kurz darauf wurde die doppelte Summe veranschlagt. Mit dem Geld sollen unter anderem Pestizide gekauft werden. In Kenia werden mit Unterstützung der UN Freiwillige ausgebildet, um die Insekten am Boden zu besprühen.
Mitte Februar, noch bevor Corona in Kenia ankommt, sitzen etwa 500 junge Männer in einem Seminarraum. Ein Trainer der FAO soll sie auf den Einsatz vorbereiten. Es klingt, als wolle er sie auf einen Feldzug schicken: "Wenn ihr da raus geht, dann habt ihr immer eines im Kopf: Ihr müsst den Krieg gewinnen."
Auch Stanley Kipkoech aus dem Landwirtschaftsministerium ist bei dem Seminar dabei. Er will die Teilnehmer im Eilverfahren zu Heuschrecken-Experten machen:
"Sie sollen vor allem zwei Dinge lernen. Erstens müssen sie wissen, wie sich Wüstenheuschrecken entwickeln und verhalten. Zweitens geht es darum, die Verbreitung mit Pestiziden zu kontrollieren. Wir erklären, wie man die Chemikalien mischt, wie man sie sicher anwendet, sich selbst dabei schützt und wie die Ausrüstung eingesetzt wird."
Nach dem Theorieteil versammeln sich alle im Freien. Die Freiwilligen sollen sich mit den Sprühgeräten vertraut machen.
Als Bodenteams werden die jungen Männer damit ausschwärmen und die Heuschrecken bekämpfen. Im frühen Stadium, wenn die Larven gerade aus den Eiern geschlüpft sind und noch nicht fliegen können. Hopper werden diese Baby-Heuschrecken genannt. Die Pestizide seien bei ihnen besonders effektiv, meint Stanley Kipkoech, der schon Erfahrung mit solchen Einsätzen gesammelt hat.
"2007 habe ich Heuschrecken in der Mandera-Region bekämpft. Die Wirkung ist am besten, wenn man gegen die Hopper vorgeht. Der Grund dafür ist vor allem: Sie sind noch nicht so mobil und sitzen in Gruppen am Boden."
Der Unterschied zur Situation damals: Die Heuschrecken waren nur in einigen wenigen Regionen unterwegs. Dieses Mal sind die Schwärme von der arabischen Halbinsel herübergekommen und haben sich schnell ausgebreitet. In kurzer Zeit suchten sie drei Viertel der Fläche von Kenia heim. Und vermehrten sich dabei kräftig.

Feuchter Boden ist ein idealer Brutkasten

Mitte März in Isiolo, einer Region etwas nördlich der Hauptstadt Nairobi. Abermillionen von Heuschrecken-Larven kriechen über den Boden. Es ist die Generation 2.0, wie sie manche Experten nennen. Sehr viel zahlreicher noch als die erste Generation von Heuschrecken.
In Kenia und auch in den Nachbarländern hat es über lange Zeit stark geregnet. Viel mehr als in anderen Jahren. Das hat damit zu tun, dass der Indische Ozean vor Ostafrika ungewöhnlich warm ist. Der feuchte Boden ist ein idealer Brutkasten für die Mini-Heuschrecken. Doch kaum geschlüpft, sollen sie bekämpft werden.
Ein Mann mit weißem Schutzanzug und Maske sprüht auf einer Wiese Pestizide gegen die Heuschreckenplage.
Im Schutzanzug gegen die Plage.© Deutschlandradio/ Antje Diekhans
Etliche Teams mit Sprühgeräten sind unterwegs. Die frisch ausgebildeten Freiwilligen sammeln Erfahrung, wie sie die Pestizide am besten verteilen, sagt Marc Odondo, der für den Einsatz verantwortlich ist.
"Die meisten Leute, die dabei sind, machen das zum ersten Mal. Mit der Zeit bekommst du eine Vorstellung, wie sich die Situation am besten in den Griff kriegen lässt."
Wie lange es dauern wird, die Heuschrecken zu bekämpfen, mag er nicht vorhersagen:
"Du kannst nicht sagen, dass du morgen oder in den nächsten Tagen fertig bist. Es hängt alles davon ab, wie sich die Situation weiter entwickelt."

Größere Schwärme, die alles zerstören

Fest steht: Die Zahl der Larven ist groß. Eine Heuschrecke kann mehr als 100 Eier legen – und das mehrfach, wenn sie ausgewachsen ist. Bei diesen Wetterbedingungen schlüpfen aus bis zu 90 Prozent davon tatsächlich Larven. Der Vertreter der kenianischen Landwirtschaftsbehörde in der Region, Julius Likaria, sieht überall, wo er hinkommt, Baby-Heuschrecken. Ein riesiger wimmelnder Teppich:
"Die ersten Schwärme, die in Isiolo eingefallen sind, haben überall Eier gelegt. Darum gibt es jetzt unheimlich viele Larven. Mit dieser hohen Anzahl kann man kaum fertig werden."
Die Sprühteams müssten überall gleichzeitig sein. Beziehungsweise müssten sie genaue Daten darüber haben, wo gerade Larven geschlüpft sind.
"Du kannst nicht genau sagen, wo die Heuschrecken ihre Eier gelegt haben. Es gibt so viele Orte, wo sie das gemacht haben", sagt Likaria. "Viele davon entdeckst du erst gar nicht. Dann entwickeln sich die Larven weiter und bilden zu Millionen oder Milliarden größere Schwärme, die alles zerstören."
Die Ernten werden vernichtet und es bleibt nicht mehr genug Futter für das Vieh. Im Norden Kenias sind die Weidegründe sowieso rar. Es gibt immer wieder Auseinandersetzungen um die Landstriche mit dem meisten Grün. Julius Likaria sieht die Gefahr, dass diese Spannungen noch zunehmen könnten.
"Wir erwarten Konflikte. Besonders, wenn die Weidegründe kahl gefressen sind und die Halbnomaden darum mit ihrem Vieh in andere Regionen gehen. Dann wird es einen Kampf um diese Ressourcen geben."

Die Heuschrecken vernichten die Lebensgrundlage der Menschen

In einigen Regionen haben die Menschen schon jetzt nicht mehr genug zu essen.
Farmerin Mwende Kimanzi muss mit ihren Erträgen drei Kinder ernähren und möglichst auch noch ein bisschen Geld verdienen. Aber wenn sie jetzt über ihr kleines Feld geht, weiß sie, dass das in nächster Zeit nicht klappen wird. Ein Schwarm von Heuschrecken hat das meiste weggefressen.
"Es ist nichts mehr übrig. Wir werden hungern. Ich habe nur je einen Sack Hirse und Linsen geerntet. Den Rest haben die Heuschrecken zerstört."
Ein ganzer Schwarm Heuschrecken sitzt in einem Baum.
Heuschrecken fressen Mensch und Vieh die Nahrung weg.© Deutschlandradio/ Antje Diekhans
Zwei Wochen lang hat sie zugesehen, wie die Insekten nach und nach ihre Lebensgrundlage vernichteten. Dass sie zusammen mit ihren Nachbarn versuchte, die Heuschrecken zu vertreiben, nutzte genauso wenig wie das Versprühen von Pestiziden.
"Als die Heuschrecken auftauchten, haben wir sofort die Behörden benachrichtigt. Sie haben ein Flugzeug geschickt, das aus der Luft Pestizide versprüht hat. Einige Insekten sind gestorben, aber die anderen zogen weiter zu unseren Feldern."
Die Kleinmaschinen mit Pestiziden an Bord sollen die Bodentruppen im Kampf gegen die Heuschrecken ergänzen. Aber die Einsätze scheinen nicht besonders effektiv zu sein. Oft werden die Gebiete mit den meisten Insekten nicht richtig getroffen. Stattdessen leiden die Menschen in der Region darunter, dass Chemikalien auf sie niedergehen.

Die Pestizide wirken nicht wie erhofft

Die Samburu leben in Hütten, die aus Kuhdung und Zweigen gebaut werden. Wenn die Sprühflugzeuge über sie hinwegfliegen, gibt es kaum Schutz vor dem Pestizid-Regen. Die Dorfbewohner fürchten um ihre Gesundheit, erzählt ein Dorfältester.
"Niemand hat uns darüber aufgeklärt, was die Heuschrecken und was die Pestizide anrichten. Wir machen uns Sorgen, denn wenn du nah an die Stellen kommst, wo gesprüht wurde, bekommst du Kopfschmerzen. Genauso ist es, wenn du dich toten Heuschrecken näherst."
Kitashia Leadisimo meint: "Das Problem ist, dass sie auch dort gesprüht haben, wo die Menschen leben. Direkt über den Hütten. Einige Kinder haben sich danach übergeben."
Den Heuschrecken hingegen scheinen die Sprühaktionen nicht so viel anzuhaben wie erhofft. Ortsvorsteher William Lerosion ist jedenfalls skeptisch, was die Methode angeht:
"Als sie gesprüht haben, sind einige Heuschrecken gestorben, aber viele nicht. Sie haben sich in neue Schwärme aufgeteilt und sind weitergezogen. Einige kleine Gruppen sind noch hier."

Ein Pilz soll die Heuschrecken töten

Wie lassen sich die Heuschrecken wirkungsvoll bekämpfen, ohne dabei die Menschen und das Vieh zu gefährden? Um das zu klären, ist auch die Wissenschaft gefragt.
Knapp 40 Heuschrecken flattern in einem Kasten aus Plexiglas herum. Eingefangen auf einem Feld in Kenia sollen sie der Forschung neue Erkenntnisse bringen, die dann auch der Regierung helfen. Die stand anfangs völlig hilflos der Plage gegenüber.
"Als sie hörten, dass ein Heuschreckenschwarm heranzieht, waren alle wie gelähmt. Sie gerieten in Panik. Also haben wir Wissenschaftler uns getroffen und Vorschläge ausgearbeitet. So konnten wir die zuständigen Stellen, auch in der Regierung, unterstützen", sagt Jacques Kabaru. Der Professor an der Universität Nairobi ist DER Heuschrecken-Experte in Kenia. Jahrelang forschte er eher unbeachtet in seinem Labor. Doch jetzt, wo das Land die schlimmste Heuschreckenplage seit Jahrzehnten erlebt, ist er mit seinem Wissen ein gefragter Mann. Zum Beispiel, wenn es darum geht, welche Mittel außer Pestiziden eingesetzt werden könnten:
"Selbst Insekten wie die Heuschrecken haben ihre eigenen Krankheiten. Wissenschaftler haben einen Pilz isoliert, der nur die Heuschrecken infiziert, wenn die Sporen auf Feldern versprüht werden. Leider dauert es dann noch ein bisschen, bis die Heuschrecken sterben – etwas zwei bis drei Wochen."
Heuschrecken hocken bei der Paarungen nah aufeinander.
Mehr als 100 Eier kann eine Heuschrecke legen.© Deutschlandradio/ Antje Diekhans
Aber langfristig schätzt er die Erfolgsraten gut ein. Besonders wenn außerdem in kontrollierten Rahmen noch Pestizide eingesetzt würden. Doch das könnte jetzt schwierig werden. Der Nachschub fehlt, denn die Mittel müssen importiert werden. Wegen der Coronapandemie funktioniert das nur noch schleppend, teilte das kenianische Landwirtschaftsministerium mit. Viele Grenzen sind geschlossen und Flüge abgesagt. Professor Kabaru fürchtet die Auswirkungen der Pandemie:
"Ich glaube, die Situation wird nicht besser. Es ist am wichtigsten, dass wir Sprühteams im Einsatz haben. Wir haben jetzt erfahrene Kräfte, aber die müssen unterstützt werden. Vor allem brauchen sie Flugzeuge, Chemikalien und die nötige Ausrüstung."
Corona ist die neue Plage. Der Kampf gegen die Heuschrecken gerät dadurch ins Hintertreffen.
Die Generation 2.0 kann heranwachsen und sich weiter vermehren. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft befürchtet, dass die neuen Schwärme noch um ein vielfaches größer und zerstörerischer sein werden.
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