Heuschrecke gegrillt
Die Kapitalismusdebatte hat die Spezies Heuschrecke völlig kalt gelassen, die wüsten Beleidigungen überhört. Sie folgt immer nur ihrem genetischen Überlebensprogramm und ernährt sich nach Kräften. Wenn es schlimm kommt, wird sie selbst zum Objekt der Begierde und als solches verspeist. Welche ernährungsphysiologischen Perspektiven sich daraus für die Menschheit ergeben, weiß der Fachmann für Essen und Trinken Udo Pollmer.
Schon probiert? Frisches Madenragout an gedünsteten Schabeneiern als Hauptgang und zum Nachtisch gebratene Honigameisen. Dann doch lieber eine undefinierbare Bratwurst mit ebenso undefinierbaren Ketchup! Viele Zeitgenossen ekeln sich schon, wenn sie in ihrem Müsli einer Mehlmotte ansichtig werden. Engagiert spritzen die Landwirte das Kleinvieh im Obst tot, die Bäcker haben den Kakerlaken den Kampf angesagt und die Müslihersteller vergiften regelmäßig ihre Dörrobstmotten. Andernorts sieht man das viel unverkrampfter. Warum nicht all die Plagegeister, die einem die Nahrung wegfressen, umgehend als Eiweißzulage zu verzehren? Ernährungsphysiogologisch ist der Unterschied zwischen einer Melone mit Parmaschinken und einem Korb verwurmter Himbeeren eher unbedeutend.
Zum Speiseplan vieler Völker gehören nicht nur die sprichwörtlichen Heuschrecken von denen sich auch Johannes der Täufer genährt haben soll. Am Amazonas serviert man dem Gast als besondere Liebesgabe gebratene Vogelspinnen. In Kambodscha haben die jungen Männer eine Schwäche für gegrillte Taranteln. Sie sollen die Potenz stärken. In australischen Supermärkten heißt das Motto "Back to the roots": Im Kühlregal liegen vorverpackte Witchetty-Maden, die schon die Vorväter aßen. In Ostafrika schlemmen sie Kungu-Kuchen. Man zerdrückt Myriaden von Mücken zu Klopsen und kocht sie. In Japan stellen 40 lizensierte Zaza-mushi-Fänger einem Mittelding zwischen Drahtwurm und Kellerassel nach, um es zu horrenden Preisen zu verkaufen.
"Ein Mistkäfer oder der weiche Körper einer Spinne haben", berichtet beispielsweise der britische (!) Käfergourmet Bristowe, "wenn geröstet, ein knuspriges Äußeres und ein weiches Inneres von der Konsistenz eines Soufflé, das keineswegs unangenehm ist". Die Tierchen werden gesalzen, mit Kräutern und Chili gewürzt und mit Curryreis gegessen. Termiten schmecken wie Kopfsalat, die Riesenspinne Nephila erinnert an rohe Kartoffeln und manche Wasserwanzen bestechen durch ihr Gorgonzola-Aroma. Gebratene Chirowürmer sehen nicht nur aus wie kleine Bratwürste, sie duften auch so. Die wahren Gourmets auf dieser Welt leben fernab von unserer haute cuisine! Aus ihrer Sicht sind Austern oder Kaviar bestenfalls primitiv. Sie essen Schaben, Spinnen und Skorpione weniger gegen den Hunger, sondern aus purer Lust.
(In klassischen Zeiten war auch Europa ein Zentrum des Insektengenusses. Dem griechischen Dichter Aristophanes (gest. 445 v. Chr.) galten Heupferde als "vierflügeliges Geflügel". Das Universalgenie Aristoteles (gest. 384 v. Chr.) riet bei Zikaden die Männchen noch vor der Paarung zu fangen, sie seien so "schmackhafter", danach aber die Weibchen, weil sie "dann voll weißer Eier sind". Die Römer taten es ihnen nach. Sie delektierten sich vor allem an einer Made namens Cossus, mutmaßlich dem Weidenspinnner.)
Der Heißhunger auf Gewürm gefährdet mancherorts sogar schon das Ökosystem. In Südafrika fürchten Biologen ein Desaster durch das systematische Sammeln von Mopanemaden, die unter Einheimischen als extravagante Delikatesse gelten. Deshalb fordern Fachleute die Ausbeutung der Umwelt zu beenden und das Gewürm wie Nutzvieh zu züchten. Die Chinesen machen es uns vor: Sie essen nicht nur Seidenraupenlarven, die in großer Menge bei der Seidengewinnung anfallen sondern auch Skorpione, die sie in speziellen Mästereien in ungeheurer Zahl produzieren. Pfui Spinne: Fleisch aus Massentierhaltung! Für deutsche Verbraucher wären da sicherlich Wildfänge vom Biobauern eine Alternative.
Mittlerweile findet das Getier auch die Aufmerksamkeit der Ernährungsforscher. Kürzlich analysierten Biologen in Mexiko die Speisepläne ihrer Landsleute und entdeckten dabei immerhin 78 verschiedene Arten wie Holzwürmer, Wasserkäfer, Maden und Grashüpfer. Gewöhnlich werden sie auf Holzkohle gegrillt, gebraten, aber auch als Ragout genossen. Zwanzig Tierchen haben es dabei sogar zu Marktbedeutung gebracht und werden gehandelt wie bei uns Tomaten und Eier. Wie langweilig nehmen sind doch gegen diese Vielfalt unsere Speisenfolgen aus? Wie viele Genüsse, aber auch wie viele wertvolle Inhaltsstoffe mögen uns damit vorenthalten bleiben?
Käfer, Maden und Schaben sind nach Nährwertanalysen "gesund" und "vollwertig". Sie enthalten neben Vitaminen jede Menge Eiweiß, oftmals wertvoller als Weizen oder Soja. Manch ein Fastfood wie die beliebten Termiten, können es in Sachen Fett mit Pommes aufnehmen. Ganz zu schweigen von den süßen Zwischendurch-Häppchen wie Honigameisen mit ihren fast 80% zuckersüßen Kohlenhydraten. Dazu kommen reichlich Ballaststoffe in Form von Chitin aus dem Panzer. Chitin ist heute schon der Geheimtip unter Deutschlands abnehmwilligen Sekretärinnen. Es bindet angeblich Fett und macht damit schlank. Noch vor wenigen Jahren wurde Chitin zur Mast von Schweinen verkauft.
Für Marketingexperten bieten sich ganz neue Möglichkeiten. Die Anbieter der Omega-3-Fettsäure-Brötchen haben es uns vorgemacht: Brötchen mit den gesunden Fetten unserer Speisefische - ideal für alle, die sich vor Lachs und Hering ekeln, aber glauben, sie trotzdem essen zu müssen. Wie wäre es mit einer Backmischung, die neben "Fischöl" auch noch alles Wertvolle aus der chinesischen Küche enthielte? Chitin aus Skorpionen, Eiweiß aus Seidenraupen und Vitamine aus Motten? Damit eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten zu Profilierung: Wie wär's mit Muffins mit Kakerlaken für die schlanke Linie, Kornkäferbrötchen für den Vollwertfreak und Müslis mit proteinreichen Bio-Mehlwürmern als Sportlernahrung? Hier ließe sich vielfach ohne Umstellung der Produktion eine ungeahnte Wertschöpfung erzielen.
Entnommen aus: Catering Management Magazin 1999, Heft 7/8
Zum Speiseplan vieler Völker gehören nicht nur die sprichwörtlichen Heuschrecken von denen sich auch Johannes der Täufer genährt haben soll. Am Amazonas serviert man dem Gast als besondere Liebesgabe gebratene Vogelspinnen. In Kambodscha haben die jungen Männer eine Schwäche für gegrillte Taranteln. Sie sollen die Potenz stärken. In australischen Supermärkten heißt das Motto "Back to the roots": Im Kühlregal liegen vorverpackte Witchetty-Maden, die schon die Vorväter aßen. In Ostafrika schlemmen sie Kungu-Kuchen. Man zerdrückt Myriaden von Mücken zu Klopsen und kocht sie. In Japan stellen 40 lizensierte Zaza-mushi-Fänger einem Mittelding zwischen Drahtwurm und Kellerassel nach, um es zu horrenden Preisen zu verkaufen.
"Ein Mistkäfer oder der weiche Körper einer Spinne haben", berichtet beispielsweise der britische (!) Käfergourmet Bristowe, "wenn geröstet, ein knuspriges Äußeres und ein weiches Inneres von der Konsistenz eines Soufflé, das keineswegs unangenehm ist". Die Tierchen werden gesalzen, mit Kräutern und Chili gewürzt und mit Curryreis gegessen. Termiten schmecken wie Kopfsalat, die Riesenspinne Nephila erinnert an rohe Kartoffeln und manche Wasserwanzen bestechen durch ihr Gorgonzola-Aroma. Gebratene Chirowürmer sehen nicht nur aus wie kleine Bratwürste, sie duften auch so. Die wahren Gourmets auf dieser Welt leben fernab von unserer haute cuisine! Aus ihrer Sicht sind Austern oder Kaviar bestenfalls primitiv. Sie essen Schaben, Spinnen und Skorpione weniger gegen den Hunger, sondern aus purer Lust.
(In klassischen Zeiten war auch Europa ein Zentrum des Insektengenusses. Dem griechischen Dichter Aristophanes (gest. 445 v. Chr.) galten Heupferde als "vierflügeliges Geflügel". Das Universalgenie Aristoteles (gest. 384 v. Chr.) riet bei Zikaden die Männchen noch vor der Paarung zu fangen, sie seien so "schmackhafter", danach aber die Weibchen, weil sie "dann voll weißer Eier sind". Die Römer taten es ihnen nach. Sie delektierten sich vor allem an einer Made namens Cossus, mutmaßlich dem Weidenspinnner.)
Der Heißhunger auf Gewürm gefährdet mancherorts sogar schon das Ökosystem. In Südafrika fürchten Biologen ein Desaster durch das systematische Sammeln von Mopanemaden, die unter Einheimischen als extravagante Delikatesse gelten. Deshalb fordern Fachleute die Ausbeutung der Umwelt zu beenden und das Gewürm wie Nutzvieh zu züchten. Die Chinesen machen es uns vor: Sie essen nicht nur Seidenraupenlarven, die in großer Menge bei der Seidengewinnung anfallen sondern auch Skorpione, die sie in speziellen Mästereien in ungeheurer Zahl produzieren. Pfui Spinne: Fleisch aus Massentierhaltung! Für deutsche Verbraucher wären da sicherlich Wildfänge vom Biobauern eine Alternative.
Mittlerweile findet das Getier auch die Aufmerksamkeit der Ernährungsforscher. Kürzlich analysierten Biologen in Mexiko die Speisepläne ihrer Landsleute und entdeckten dabei immerhin 78 verschiedene Arten wie Holzwürmer, Wasserkäfer, Maden und Grashüpfer. Gewöhnlich werden sie auf Holzkohle gegrillt, gebraten, aber auch als Ragout genossen. Zwanzig Tierchen haben es dabei sogar zu Marktbedeutung gebracht und werden gehandelt wie bei uns Tomaten und Eier. Wie langweilig nehmen sind doch gegen diese Vielfalt unsere Speisenfolgen aus? Wie viele Genüsse, aber auch wie viele wertvolle Inhaltsstoffe mögen uns damit vorenthalten bleiben?
Käfer, Maden und Schaben sind nach Nährwertanalysen "gesund" und "vollwertig". Sie enthalten neben Vitaminen jede Menge Eiweiß, oftmals wertvoller als Weizen oder Soja. Manch ein Fastfood wie die beliebten Termiten, können es in Sachen Fett mit Pommes aufnehmen. Ganz zu schweigen von den süßen Zwischendurch-Häppchen wie Honigameisen mit ihren fast 80% zuckersüßen Kohlenhydraten. Dazu kommen reichlich Ballaststoffe in Form von Chitin aus dem Panzer. Chitin ist heute schon der Geheimtip unter Deutschlands abnehmwilligen Sekretärinnen. Es bindet angeblich Fett und macht damit schlank. Noch vor wenigen Jahren wurde Chitin zur Mast von Schweinen verkauft.
Für Marketingexperten bieten sich ganz neue Möglichkeiten. Die Anbieter der Omega-3-Fettsäure-Brötchen haben es uns vorgemacht: Brötchen mit den gesunden Fetten unserer Speisefische - ideal für alle, die sich vor Lachs und Hering ekeln, aber glauben, sie trotzdem essen zu müssen. Wie wäre es mit einer Backmischung, die neben "Fischöl" auch noch alles Wertvolle aus der chinesischen Küche enthielte? Chitin aus Skorpionen, Eiweiß aus Seidenraupen und Vitamine aus Motten? Damit eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten zu Profilierung: Wie wär's mit Muffins mit Kakerlaken für die schlanke Linie, Kornkäferbrötchen für den Vollwertfreak und Müslis mit proteinreichen Bio-Mehlwürmern als Sportlernahrung? Hier ließe sich vielfach ohne Umstellung der Produktion eine ungeahnte Wertschöpfung erzielen.
Entnommen aus: Catering Management Magazin 1999, Heft 7/8