"Heuchelei von vielen italienischen Politikern"

Petra Reski im Gespräch mit Susanne Führer |
Petra Reski, Autorin des Buches "Mafia: Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern", macht die italienische Politik und den fehlenden Rechtsstaat für die Morddrohungen gegen den "Gomorrha"-Autor Roberto Saviano verantwortlich. Die Mafia sei kein Fremdkörper der italienischen Gesellschaft, sondern eng verbunden mit der italienischen Politik und den Unternehmen.
Susanne Führer: Seit zwei Jahren lebt der italienische Schriftsteller Roberto Saviano im Verborgenen unter Polizeischutz in Lebensgefahr. Sein Buch "Gomorrha" über die Mafiaclans im Großraum Neapel war und ist ein Riesenerfolg, auch international und verfilmt worden ist es inzwischen auch, hat sogar den Großen Preis der Jury von Cannes gewonnen. Vor einem Jahr noch sagte Roberto Saviano bei uns im "Radiofeuilleton":

O-Ton Roberto Saviano: Ich werde natürlich nicht auf dieselbe Weise weiterarbeiten, wie ich an dem Buch "Gomorrha" gearbeitet habe. Ich werde andere Mittel und Wege finden müssen, insbesondere im Ausland. Dieses Buch hat mein Leben grundlegend verändert. Es hat mir aber und nicht nur mir, sondern auch den anderen Vertrauen eingeflößt. Vertrauen, dass man durch die Kraft des Wortes immer noch sehr viel bewegen kann.

Führer: Heute, ein Jahr später, klingt Saviano doch ziemlich anders. Er wisse nicht, ob er das Buch noch einmal schreiben würde, ob es das wert war. Das sagte er einem italienischen Radiosender. Und er werde ins Ausland gehen, gab er gestern bekannt, erst einmal. Am Telefon ist nun die deutsche Autorin Petra Reski. Sie ist eine profilierte Mafiakennerin. Seit 20 Jahren schreibt sie über die gar nicht ehrenwerte Gesellschaft. Und soeben ist auch ihr Buch "Mafia – Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" erschienen. Guten Tag, Frau Reski!

Petra Reski: Hallo!

Führer: Ja, Roberto Saviano will Italien für einige Zeit verlassen. Wie interpretieren Sie diesen Schritt? Ist das ein Aufgeben oder eine vernünftige Entscheidung?

Reski: Ich nehme an, dass ihm die Staatsanwälte dazu geraten haben, dass die Polizisten, die wissen ja natürlich alle gut genug Bescheid, wie groß wirklich die Gefährdung ist und dass sie ihm dazu geraten haben werden, eine Zeit lang Italien zu verlassen.

Führer: Saviano hat im italienischen Radio gesagt, dieses Leben, also seit zwei Jahren unter Polizeischutz, dieses Leben hat mich zu einem schlechteren Menschen werden lassen. Er sei verschlossen und misstrauisch geworden. Jeden Morgen frage ich mich, warum ich das gemacht habe und finde keine Antwort. Er scheint ja wirklich sehr mürbe geworden sein, nicht?

Reski: Ich kann das auch gut nachvollziehen. Ich meine, der Roberto Saviano ist 28 Jahre alt und ständig mit Leibwache zu leben, er kann überhaupt kein normales Leben mehr führen. Er kann keine Freunde mehr treffen, er kann auf die Straße nicht herumlaufen, er kann kein Bier trinken. Als er sich eine Wohnung suchte, hat er Probleme gehabt. Das ist schon eine große Belastung, und nicht nur für einen jungen Menschen, für jeden Menschen insgesamt. Ich meine, Staatsanwälten geht es in Italien im Übrigen nicht anders. Ich habe mal von einem Staatsanwalt gehört, als er sich eine Wohnung kaufen wollte, dass es abgelehnt wurde von der Eigentümerversammlung, weil dann der Wert sinken würde, wenn da ein Staatsanwalt einziehen würde. Man darf nicht vergessen, das ist jetzt eine große Aufregung um Roberto Saviano.

Aber dies ist ein strukturelles Problem in Italien. Man sollte jetzt auch nicht irgendwie sich in Mafiologie nur üben, also zu überlegen, wie groß ist die Bedrohung, wird das wirklich in die Luft gesprengt, ja oder nein, sondern fragen sich, was ist da los in Italien. Italien ist nicht irgendwo in Uruguay oder Kolumbien, sondern es ist nebenan. Es ist ein Gründungsmitglied der EU. Und was da passiert, ist skandalös. Und zwar hat das auch Bedeutung für ganz Europa, was da passiert.

Führer: Ich teile Ihre Empörung oder Ihre Verwunderung, Frau Reski. Ich hatte mir auch notiert, wie ist das eigentlich möglich, in diesem schönen Land, Gründungsmitglied der EU, wie Sie gesagt haben, das Land mit den meisten Kunstschätzen der Welt. Und, haben Sie eine Erklärung?

Reski: Ja natürlich. Die Erklärung liegt darin, dass die Mafia, die ist kein Fremdkörper der italienischen Gesellschaft, sondern eng verbunden mit der italienischen Politik, mit italienischen Politikern, mit italienischen Unternehmern. Sie kann nur mit deren Schutz leben. Und deswegen ist es irgendwie auch ein bisschen Heuchelei von vielen italienischen Politikern, jetzt so tun, ach Gott, es tut uns leid, dieser arme Junge, was machen wir jetzt nur mit ihm. Sie wissen ganz genau, woran es liegt. Ich meine, in Kampanien, da wo Roberto Saviano lebt, da gibt es ganze Gebiete, das ist No-go-Area. Sie haben jetzt irgendwie da 500 Soldaten hingeschickt und trotzdem wurden da noch Leute weiter umgebracht am hellerlichten Tag. Ich finde, da ist eine große Heuchelei dabei.

Führer: Der Kardinal Neapels Crescenzio Sepe sagt jetzt aus Anlass dieser Saviano-Äußerung, die Camorra sei ein Riese auf tönernen Füßen, den man mit vereinten Kräften stürzen könne. Aber, Frau Reski, wie groß müssten diese Kräfte denn sein?

Reski: Die Kräfte müssen so sein, ich meine, dass die Politiker nicht sich mit der Mafia einlassen können, das ist das Problem, dass auch die Gesetze richtig angewendet werden. Ein funktionierender Rechtsstaat kann sehr wohl was ausrichten gegen die Camorra, gegen die (…), gegen die Cosa Nostra. Wenn die Leute aus dem Gefängnis nach (…) wieder entlassen werden, wenn der Justizminister, das Erste, was er macht, irgendwie einen großen Straferlass erlässt, dann haben wir natürlich ein Problem. Wenn die Leute irgendwie damit rechnen können, dass sie, wenn sie nur einen guten Anwalt haben, sofort wieder rauskommen, dann werden diese Gesetze ja nur nicht angewendet.

Führer: Die Autorin Petra Reski im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur über Roberto Saviano und die Mafia in Italien. Frau Reski, kommen wir doch noch mal zurück zu Roberto Saviano. Diese Drohung, ihn mit einer Autobombe in die Luft zu sprengen, das ist ja 1992 passiert, damals, der Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone, seine Frau und drei Leibwächter wurden in die Luft gesprengt, würde dies der Camorra gelingen, Saviano zu töten, im Grunde genommen jetzt fast zur Zeit den bekanntesten Italiener? Wäre das nicht ein weiteres dramatisches Zeichen für die Ohnmacht des italienischen Staates?

Reski: Die Ohnmacht des italienischen Staates hat ja in dem Fall von Falcone auch nur ganz kurz gedauert. Die Ohnmacht des italienischen Staates hat sich bewiesen, sagen wir mal, 20 Jahren, seit 92 eigentlich, seit der Ermordung dieser beiden Staatsanwälte. Die Ohnmacht des italienischen Staates ist täglich zu beobachten in Italien. Der Staat in Italien ist komplett ohnmächtig.

Führer: Bisher wurde aber ja immer die Hoffnung geäußert, wenn man versucht hat, sich in die Denkweise der, ich sage mal, mafiaübergreifend hineinzuversetzen, dass die große Popularität, die Roberto Saviano genießt, weil sein Buch so ein großer Erfolg ist, dass diese große Popularität ihn schützen würde. Aber das scheint ja nun nicht mehr zu gelten, wenn wir diese Morddrohung ernst nehmen?

Reski: Nein, weil die große Popularität hätte beispielsweise auch einen Paulo Bosselino schützen sollen. Das waren ja zwei Staatsanwälte, die verehrt worden sind von den Italienern. Und vor allem Paulo Bosselino beispielsweise, der wusste genau, dass er umgebracht werden sollte. Er wusste von Abhörprotokollen, dass gesagt wurde, der Sprengstoff für Bosselino ist schon angekommen. Das sind Sachen, ich meine, das hört sich an, wie in einem Film, aber genauso ist es. Das heißt, diese Popularität kann ihn auch definitiv nicht schützen, weil die auch irrational handeln, diese Leute.

Führer: Na ja, bei den Staatsanwälten hatte man ja immer noch die Erwartung, dass die weiterarbeiten, während Roberto Saviano, das Buch ist in der Welt. Geht es um Abschreckung?

Reski: Natürlich geht es um Abschreckung. Es geht auch darum, dass jetzt irgendwie die Aufmerksamkeit auf die Camorra gelenkt wurde und jede Aufmerksamkeit schadet natürlich immer der Mafia. Das ist ganz klar. Roberto Saviano hat gesagt, jedes Buch, was über die Mafia erscheint, ist eine Niederlage für die Mafia. Ich hoffe das sehr, ich halte das zwar trotzdem für sehr optimistisch, aber ich hoffe das natürlich auch sehr.

Führer: Sie haben ja selbst gerade ein Buch über die Mafia veröffentlicht, Frau Reski, auf Deutsch zwar, aber Sie leben in Italien. Wie ist denn das? Fühlen Sie sich auch bedroht?

Reski: Ich habe, als ich damit angefangen habe, mir zum Ziel gesetzt, mir da keine Angst zu machen, mich selber nicht so zum Opfer der Angst zu machen, weil sonst kann auch solche Geschichten überhaupt nicht schreiben.

Führer: Aber Sie gewähren ja ziemliche Einblicke in die Mafia?

Reski: Ja.

Führer: Werden Sie bedroht oder nicht?

Reski: Ich werde nicht bedroht, bis jetzt noch nicht, Gott sei Dank.

Führer: Was hat Sie denn angetrieben, dieses Buch zu schreiben?

Reski: Ich wollte Italien verstehen. Für mich war natürlich eine Annäherung als Ausländerin. Viele Sachen sind ja für Deutsche schwer verständlich, die Rolle der Katholischen Kirche beispielsweise in der Unterstützung der Mafia, die Unterstützung der Frauen in der Mafia, die Mafia-Frauen, die wichtige fundamentale Rolle der Mafia-Frauen. Diese Sachen wollte ich verstehen. Und so habe ich mich einfach peu à peu dem genähert.

Führer: Kann man sagen, dass die Mafia sich deswegen so lange hält, weil, wie Sie ja auch in diesem Buch herausgefunden haben, unheimlich viele von ihr profitieren?

Reski: Sie kann sich so lange halten, weil sie kein Fremdkörper der Gesellschaft ist, das ist der zentrale Punkt. Es wird immer dargestellt, als sei die Mafia etwas außerhalb. Das ist sie nicht, sondern sie lebt mit und in der Gesellschaft. Und das ist ihr größtes Ziel auch immer. Und solange dieses nicht geändert wird, also dass sich, wenn sich der Staat nicht wirklich dagegen zu massiven Maßnahmen greift, dann wird auch nichts passieren in Italien.

Führer: Aber die Hoffnung scheinen Sie nicht mehr zu haben?

Reski: So, wie das aussieht, muss ich ganz ehrlich sagen, nicht, habe ich wirklich keine Hoffnung, weil ich beobachte das jetzt seit 20 Jahren und ich kann Ihnen nur sagen, dass wir jetzt auf einem Stand sind irgendwie, dass noch lange vor der Ermordung von Paulo Bosselino und Falcone, noch bevor irgendwie die ganze Empörung herrschte mit Andreotti. Italien hat Rückschritte gemacht, das, finde ich, muss man ganz klar sagen.

Führer: Petra Reski, die Autorin des Buches "Mafia – Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern". Vielen Dank für das Gespräch, Frau Reski!

Reski: Danke!