Hessens Kultusministerin plädiert für Sprachkurse bei Migrantenkindern

Moderation: Marie Sagenschneider · 16.05.2006
Nach dem OECD-Bericht zur Bildungssituation von Migrantenkindern in Deutschland hat sich Hessens Kultusministerin Karin Wolff für verstärkte Sprachkurse für Einwandererkinder ausgesprochen. Im Deutschlandradio Kultur verwies sie dabei auf gute Erfahrungen in Hessen. Die Kurse würden bereits im Kindergartenalter abgehalten. Wer keine ausreichenden Deutschkenntnisse habe, werde später nicht eingeschult.
Sagenschneider: [...] schlechtere Bildungschancen, als es in anderen Ländern der Fall ist. In der Gruppe der 15-jährigen Schüler liegen sie, was die Leistung anbelangt, um bis zu zwei Schuljahre hinter ihren einheimischen Altersgenossen zurück. Und das Erstaunliche ist, Kinder ausländischer Herkunft, die in Deutschland geboren wurden, schneiden sogar noch schlechter ab als Kinder, die erst ins Land gekommen sind. Also Deutschland auf dem letzten Platz, alle mal wieder schockiert. Und nun? Darüber wollen wir jetzt hier im Deutschlandradio Kultur mit der Hessischen Kultusministerin sprechen, sie gehört der CDU an, guten Morgen, Frau Wolff.

Wolff: Guten Morgen.

Sagenschneider: Großes Entsetzen allerorten, auch Erstaunen. Wie ging es denn Ihnen, hat Sie dieses Ergebnis ebenfalls überrascht?

Wolff: Nein, nicht wirklich. Die Informationen waren ja seit 2000 im Grunde auf dem Tisch. Das hat viele aufgeweckt und ich glaube, dass wir inzwischen sagen können, wir haben sehr viel angepackt, um für die Zukunft Verbesserungen hinzubekommen. Aber wir müssen auch sehen, dass die Integrationspolitik der unterschiedlichen Länder in der OECD natürlich eine sehr unterschiedliche ist. Das ist eine sozial sehr unterschiedliche Zusammensetzung, Herkunft. Und wir haben es mit der Aufgabe zu tun, dass wir etwa die jungen Türken stärker integrieren müssen, die eine eigene Infrastruktur auch haben, deswegen auch in der zweiten Generation problematischer, und auch mit den Jugendlichen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen. Das ist eine größere Aufgabe als in den anderen Ländern.

Sagenschneider: Sie haben in Hessen ja schon reagiert, seit 2002 wird ein neunmonatiger Sprach- und auch Vorbereitungsunterreicht für Kinder angeboten. Für welche Kinder gilt das genau?

Wolff: Das gilt für die Kinder, bei denen die Grundschulleiter feststellen bei der Anmeldung, die wir vorgezogen haben auf den September, Oktober, bei denen sie festgestellt haben, dass sie sprachlich nicht mitkommen. Das sind Aussiedlerkinder, das sind Kinder ausländischer Herkunft, oder auch solcher mit deutschem Pass. Diese Kinder werden über zehn bis 15 Stunden in der Woche geschult im Deutschen, weil wir davon ausgehen, nur wer vor der ersten Klasse bereits Deutsch kann, wird ein Bildungserfolg, eine Bildungskarriere eröffnen können. Und die ersten Erfolge bestätigen das in vollem Ausmaß. Wir sind im vierten Jahr, haben mittlerweile 22.000 Kinder dort durchgeschleust. Und das sind Voraussetzungen dafür, dass sie eben nicht mehr in der Form sitzen bleiben, in Förderschulen überwiesen werden müssen, oder eben auch zu 25, 30 Prozent ohne Abschluss aus den Schulen kommen. Das möchte ich verhindern.

Sagenschneider: Das heißt, sie schulen diese Kinder erst gar nicht ein, sondern sagen, bevor wir die einschulen, müssen ... oder läuft das parallel?

Wolff: Das ist ein Kurs vor der Schule, also in dem Alter, in dem die Kinder noch im Kindergarten sind, wenn sie den besuchen, für alle Kinder, ob sie im Kindergarten sind oder nicht, andere Länder machen das restriktiver. Und nur unter der Voraussetzung, dass dieses gelingt, kommen sie dann in die erste Klasse, ich muss allerdings mit Freude sagen, etwa 95 Prozent der Eltern schicken ihre Kinder tatsächlich in diese Kurse, und wiederum 95 Prozent machen diese auch mit Erfolg, so dass sie dann unmittelbar eingeschult werden können.

Sagenschneider: Na, wenn das so viele sind, dann braucht es doch gar keine Drohungen im Stoiberschen Sinne, der, also Edmund Stoiber, der staatliche Konsequenzen im Verweigerungsfall fordert, oder?

Wolff: Nun, wir haben gesagt, wer diese Kurse nicht besucht oder anderweitig nicht dafür sorgt, dass das Kind Deutsch kann, dann wird das Kind nicht in die erste Klasse eingeschult, sondern erhält dann verbindlich, wegen Schulpflicht auch verbindlich, einen Vorlaufkurs. Aber zu diesem Mittel müssen wir in der Regel nicht greifen, weil die Eltern das in beachtlicher Summe auch akzeptieren. Und die Kinder haben einen unglaublichen Erfolg dabei, nicht nur sprachlich, sondern von ihrem ganzen Selbstbewusstsein entwickeln sie sich so, dass sie anschließend sehr offen und sehr fröhlich in die Schule gehen.

Sagenschneider: Nun haben Sie gesagt, Frau Wolff, Sie fangen da schon im Kindergarten an. Was machen Sie denn mit den Kindern, die nicht in den Kindergarten gehen? Es gibt ja diese Debatte, sollte man da auch eine Pflicht einführen.

Wolff: Das ist in den Fällen meines Erachtens nicht notwendig, wo es uns gelingt gemeinsam mit den Vereinen, mit den nationalen Vereinen, zu werben, dass die Eltern ihre Kinder in den Kindergarten schicken. Dort gelingt eine sehr, sehr große Quote. Und mit unseren Sprachkursen erreichen wir ja auf jeden Fall auch diejenigen, die nicht in den Kindergarten gehen.

Sagenschneider: Nun hat ja die Einsicht, dass etwas geschehen muss, tatsächlich in allen Bundesländern um sich gegriffen. Aber die Sache ist ja kostspielig und man weiß, dass einige Länder sich da finanziell sehr schwer tun werden. Sollte für diesen Fall der Bund einspringen?

Wolff: Ich glaube, dass ist eine Investition, die wir als Länder in dem Bereich der Kinder und Jugendlichen leisten müssen. Der Bund hat seine Integrationsaufgaben auch. Dort, wo Seiteneinsteiger, Zuwanderer dazu kommen, ist der Bund ganz offenkundig gefragt. In dem schulischen Bereich können wir uns nicht davon abdocken, wir geben in Hessen in der Tat in diese Investition im Schul- und Vorschulbereich rund 60 Millionen Euro aus. Das ist wahr. Ich glaube allerdings, dass eine spätere gleichmäßigere Verteilung dieser Jugendlichen auf die Bildungsgänge, Abschlüsse dieser Jugendlichen, Ausbildungsfähigkeit und damit Integrationsfähigkeit auch im beruflichen Sinne, werden sich dann auch auszahlen.

Sagenschneider: Aber das wird ja noch ein paar Jahre dauern. Und bei der Frage, warum schneiden Kinder ausländischer Herkunft so schlecht ab, da haben die Bildungsforscher der OECD ja auch auf das deutsche dreigliedrige Schulsystem verwiesen, und meinen, es wäre schon besser, alle Kinder gemeinsam bis zur neunten oder zehnten Klasse zu unterrichten. Das ist nun eine deutliche Empfehlung und man ahnt, dass diese Debatte hier gar keine Chance haben wird. Oder doch?

Wolff: Nein, da sind auch deutsche Pisaforscher ganz anderer Meinung, die nicht auf die Idee kommen, Schulstruktur könnte diese Fragestellung beantworten, sondern es ist eine Frage der sozialen Integration, eine Frage des sprachlichen Arbeitens der Schule. Wie auch im Übrigen wir nicht darum herumkommen, die wirklichen Qualitätsfragen von Schule anzupacken. Die Schulstruktur zu diskutieren, das können sie international, Gesamtschulen im unteren wie im oberen Bereich finden, und so geht es mit dem gegliederten Schulsystem auch. Ich bin für eine wirkliche inhaltliche Diskussion, um Sprachfertigkeit, um Lehrerbildung, um die Förderung der Kinder, die ohne Abschluss die Schule verlassen, aber auch für Hochbegabtenförderung, in allen diesen Bereichen müssen wir inhaltlich aktiv werden, alles andere ist ein Drücken vor den Inhalten.

Sagenschneider: Hessens Kultusministerin Karin Wolff im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.