Hessen

Endlager hinten rum

Von Anke Petermann  · 18.03.2014
Vor 40 Jahren ging in Südhessen Biblis ans Netz. Seit 2006 werden hier auch abgebrannte, abgekühlte Brennelemente in einer Halle zwischengelagert. Taugt Biblis auch als Lage für Atommüll aus Frankreich und England?
Der Zeitplan ist knapp: 26 Atommüll-Behälter muss Deutschland ab 2015 aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und La Hague zurücknehmen. Und immer noch ist nicht ganz klar, wohin damit. Bis Mitte April wollen Bund und Länder die Lagerorte für die Castor-Behälter festlegen. Aber auch nach einem weiteren Bund-Länder-Gespräch in der letzten Woche, geht das Tauziehen um die Zwischenlagerung weiter. Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg sind bislang die einzigen Länder, die sich zur Aufnahme der Atommüllbehälter explizit bereit erklärt haben. Weitere Lagerstätten in der Diskussion sind Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, Hessen und Niedersachsen. In den nächsten Wochen will nun Umweltministerin Barbara Hendricks die Bundesländer in direkten Gesprächen zur Kooperation zu bewegen. Dabei ist die Zwischenlagerung nur eine Baustelle der Ministerin. Es muss auch noch eine Enquete-Kommission gebildet werden, die bis 2015 Standorte in Deutschland prüfen soll, wo hochradioaktiver Atommüll endgültig gelagert werden könnte. Und Atomkraftgegner würden gerne Änderungen am Endlagersuchgesetz durchsetzen. Stoff genug um zu schauen, wie diese Themen in den einzelnen Bundesländern diskutiert wird.
"Davon haben unsere Nachkommen noch lange was", schimpfen Rentner und Bedienung in einem Bibliser Café:
"Das Schlimmschte is, dass die Entsorgung nicht geklärt ist, das wird jetzt schon als Zwischenlager genutzt und kaaner weiß, wohi – wenn die Entsorgung g’sischert wär’, wär’ das vielleicht alles halb so schlimm."
"Mir macht am meisten Sorgen die Endlagerung."
Die nicht vorhandene. Biblis als ewiges Zwischenlager? Neben FDP und Linken im hessischen Landtag macht sich der christdemokratische Landrat Matthias Wilkes die Bedenken von Anwohnern an der Bergstraße zueigen.
"Es war nie die Rede davon, auch unter der rot-grünen Bundesregierung Trittin damals, das möglicherweise Atommüll auch von anderen Standorten in Biblis zwischengelagert werden soll. Wir sind deshalb nicht einverstanden, weil im Hinblick darauf, dass die Endlagerfrage immer nicht gelöst ist, letzt endlich aus diesem Zwischenlager faktisch schon ein Endlager wird."
Wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt…
Ein "Endlager hinten rum" – mit ihm nicht machbar, betont auch Wilkes Parteifreund Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen. Die grüne Umweltministerin Priska Hinz erinnert die zögerlichen Christdemokraten an den Koalitionsvertrag:
"Die Hessische Landesregierung hat ja gemeinsam vereinbart, dass wir durchaus bereit sind zu akzeptieren, dass Castoren in Biblis zwischengelagert werden,"
wenn fachliche Aspekte dafür sprechen und es in Deutschland keine anderen Möglichkeiten gibt. Die Grünen-Politikerin sieht in Biblis durchaus ein praktikables Zwischenlager, das neben den Brennstäben aus dem abgeschalteten Kraftwerk Platz für die unverwertbaren strahlenden Reste aus der Wiederaufarbeitung bietet.
"Mit einem Sicherheitsabstand. Es ist auch so, dass ein Gleisanschluss vorhanden ist, das heißt, nicht auf Straße umgeladen werden müsste. Insofern kann Biblis durchaus einer der geeigneten Standorte sein, der dann zur Auswahl steht am Ende."
Der Kreis Bergstraße hat das Zwischenlager Biblis bis 2046 genehmigt. Für zusätzliche sechs, sieben Castoren aus den Wiederaufarbeitungs-Anlagen aber kommt es aus Sicherheitsgründen nicht in Frage, wenn es nach Landrat Matthias Wilkes von der CDU geht.
"Eine Lagerung auf der grünen Wiese in einer Halle, oberirdisch, mitten zwischen zwei großen Metropolregionen, Rhein-Main und Rhein-Neckar, fünf Flugminuten vom größten Flughafen Kontinentaleuropas in Frankfurt, entfernt, Stichwort Terrorakte, ist nicht die adäquate Antwort."
Als "Garage" bezeichnet Wilkes die Bibliser Halle zuweilen. Von "ungesicherter Leichtbauweise" spricht die hessische Linke. Nicht die Hallen, sondern die Stahl-Castoren seien dazu bestimmt, den Atommüll zu sichern, erklärt Beate Kallenbach-Herbert. Beim Ökoinstitut Darmstadt ist sie zuständig für Nuklearsicherheit.
Keine sicherheitstechnischen Bedenken
Das Zwischenlager für die hochradioaktiven Abfälle in Biblis ist die gleiche Bauart wie viele andere Zwischenlager in Deutschland auch, gerade auch wie das Zwischenlager in Gorleben, wo man bisher auch alle diese Abfälle hingebracht hat. Insofern spricht aus sicherheitstechnischer Sicht überhaupt nichts dagegen, die Abfälle nach Biblis zu bringen, wenn man sie auch in ein anderes Zwischenlager bringen kann.
Doch mit einer politischen Entscheidung ist es nicht getan. Der Betreiber RWE muss extra beantragen, Castoren aus der Wiederaufarbeitung in Biblis aufzunehmen. Die bisherige Genehmigung deckt das nicht ab. In den Castoren, die ab 2015 aus dem Ausland zurückkommen, sind nämlich keine Brennstäbe, sondern hochradioaktive Spaltprodukte, mit hochradioaktivem Flüssigabfall gemischt, mit Glasperlen verschmolzen und in Edelstahlzylinder gepresst. Diese sogenannten "Glaskokillen" muss die Bundesrepublik vertragsgemäß zurücknehmen, erklärt Priska Hinz:
"Sie haben erstmal eine höhere Radioaktivität - noch, wenn sie zurückkommen. Allerdings zerfällt die auch viel schneller bei diesem wiederaufbereiteten Material. Das heißt, die Halbwertzeit ist um vieles kürzer als bei den Brennstäben. Und deshalb gibt es ja noch mal besondere Genehmigungsverfahren dafür - vom Bundesamt für Strahlenschutz, was durchaus bekannt dafür ist, dass sie hohe Kriterien für Zwischenlager-Standorte anlegen."
Nicht geeignet?
Sollte Biblis den hohen Anforderungen Stand halten, müssen die hessischen Grünen den Protest des radikaleren Teils der Atomkraftgegner aushalten, die jeden Transport bekämpfen wollen. Priska Hinz stritt schon als Ministerin im rot-grünen Kabinett Eichel für den Atomausstieg. Immerhin haben wir erreicht, dass das Müllaufkommen endlich ist", bilanziert die Grünen-Politikerin mit Blick auf die letzten Meiler, die 2022 vom Netz gehen.
"Und ich finde, dass es Grünen in der Regierung gut ansteht, auch dafür zu sorgen, dass wir uns anschließend um die Endlagerkonzepte kümmern, und dafür muss man notfalls auch hinstehen und sagen, das muss jetzt hier eine Zwischenlagerstätte werden, und ich als grüne Ministerin akzeptiere das und erkläre das auch der Bevölkerung."
Bei der Endlagersuche für hochradioaktiven Müll kann sich die schwarz-grüne Landesregierung wohl entspannt zurücklehnen. Nach ersten Experteneinschätzungen gehört Hessen neben dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Berlin und Bremen zu den Ländern, die bei der Suche ausscheiden – mangels geeigneter geologischer Formationen für eine Lagerung auf Dauer.

Programmhinweis: Lesen Sie weiter! Auch in Schleswig-Holstein, Bayern und Hessen sucht man fieberhaft nach atomaren Lagerstätten.