Herzhaft und knackig

    Von Christina Rubarth · 17.04.2009
    Zu einem deftigen Frühstück gehört es dazu: das Salamibrötchen. Salami und andere Wurstsorten zählen allerdings zu den Lebensmitteln, von denen mancher nicht unbedingt wissen will, wo sie herkommen. Hauptsache es schmeckt.
    Gräulich-grünes Neonlicht fällt in den dunklen Stall, um vier Uhr morgens. Knapp 100 Schweine werden aus dem Schlaf gerissen, laufen durcheinander. In Gummistiefeln und Jeans steigt Heiner Holling in die Box, schiebt mit einem Brett das erste Schwein in Richtung Tür. Er stemmt sich gegen 115 Kilo Lebendgewicht, Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn. Die Schweine, sieben Monate alt, wollen heute nicht so richtig.

    "Ist ungewohnt für die Tiere, die kennen das ja nicht. Jetzt sollen sie raus und jetzt tun sie´s natürlich nicht gerne, obwohl Schweine ja an und für sich neugierige Tiere sind, die neuen Sachen immer sehr aufgeschlossen sind."

    Heiner treibt jedes Schwein über eine Rampe in den Lkw. Mit einem Stock, der aussieht wie ein Paddel, Plastikkugeln im Innern machen Lärm.
    Auf den letzten Metern ein weiterer Klaps auf den Hintern, diesmal in roter Farbe: ein Zahlencode, der die Herkunft der Ware anzeigt: Hof Drepper, Sauerland.

    "90 is Schicht, ne? 90 ist Schicht!"

    90 Schweine gestapelt auf drei Etagen in einem Lkw, Dampf steigt aus ihren Schnauzen in den frühen Morgen. Gut 40 Kilometer Landstraße liegen vor ihnen bis Hamm in Westfalen. An den Seiten tropft eine Mischung aus Kot und Urin.

    Eine Stunde später, die Sonne geht langsam auf. Rückwärts rollt der Lkw an die Laderampe des Fleischcenters. "Westfleisch" steht in roten Buchstaben über dem schlichten weißen Fabrikgebäude. Wieder kommen die Paddel zum Einsatz: aus dem Lkw in die Ruhebucht.

    Gut 1000 Schweine warten, in Boxen aufgeteilt, auf ihren letzten Metern. Dreppers Tiere haben Pause, eine Stunde Wasserberieselung in Box Nummer 25, zum Stressabbau. Denn Stress bedeutet schlechtes Fleisch, ruft Jürgen Scholle, der Mann im grünen Overall, der die Schweine in Empfang nimmt.

    "Man sieht an diesen Tieren hier, die haben sich hingelegt, ruhen jetzt. Und nach ´ner Stunde nimmt die Bewegung der Tiere wieder zu, dann werden sie wieder unruhiger, dann müssen sie eigentlich aufs Band."

    Die Zeit ist um. Ein Schwein nach dem anderen stolpert in Richtung Betäubungsband. Eine Elektrode klappt an den Kopf, direkt hinter das Ohr, die andere ans Herz, Stromstöße betäuben das Tier, es rutscht auf ein Förderband. Ein Mann durchsticht die Hauptschlagader, das Schwein zuckt noch ein bisschen, bleibt auf der Seite liegen und blutet aus. Das alles dauert wenige Sekunden.

    An den Hinterbeinen am Haken festgezurrt, schwebt Dreppers Schwein durch die Endreinigung. Es versinkt kopfüber in einem Bottich gefüllt mit heißem bräunlich-rotem Wasser, das Tier wird geschruppt, die Borsten abgeflämmt, alles maschinell, fertig zum Zerlegen. Es riecht nach verbrannten Haaren, Stall und Blut.

    Ein Messer versinkt im Bauch des Schweins, Gedärm strömt heraus, die Innereien - Herz, Zunge, Lunge - bleiben in einer Schale liegen, laufen unter den Schweinehälften auf einem Förderband an vier Veterinären vorbei. Proben verschwinden in Röhrchen mit der Chargennummer, mit der Hof, Tierarzt und Futter, später auch Schlachthof und Verwurster zurückzuverfolgen sind, erklärt Michael Edom, zuständig für die Qualitätssicherung.

    "Hier wird geguckt, sind die Innereien soweit in Ordnung? Ist die Ware nicht in Ordnung, haben wir eine Konfiskatrinne und eine Rinne für Hundefutter und dann geht's dementsprechend in den Keller runter."

    Über Nacht kühlen die Schweinehälften runter. Für die 60, 65 Zerleger in Kettenschürze sind sie so leichter zu verarbeiten. Viele tragen Helm, falls eine der Hälften mal vom Haken fällt.

    "Die Tiere werden hier aufgelegt auf ein Plattenband – hier außen laufen einmal die Schinken lang, da hinten läuft dann Kotelett und Bauch und ganz außen auf der Bahn läuft dann die dicke Rippe, der Nacken und die Schulter raus."

    Michael Edom schiebt sich an einem Förderband vorbei. Fast alles vom Schwein wird verwertet, selbst die Schwänzchen. Ein Mann löst sie mit einem Messer vorsichtig heraus. Sie ringeln sich nicht mehr.

    "Die Schwänze gehen hauptsächlich nach Afrika runter. Aber was genau die Leute damit machen, kann ich ihnen nicht sagen."

    Tonnen an Fleisch verschwinden in roten Kunststoffkisten, bereit für die Verladung. "Schweinebauch ohne Schwarte" – steht auf einer Kiste. Ziel: Gütersloh, Firma Astro.

    Am nächsten Morgen, 60 Kilometer nordöstlich: Ein Gabelstapler nimmt die frisch angelieferten Kisten auf. Erste Station: Kontrolle der Fleischqualität, der Temperatur. Dann schiebt ein Mann komplett in weiß mit Ohrschützern das Fleisch Richtung Kutter, einem riesigen Mixer.

    Hubert Heimann, Mitte 30, in Kittel und Haarnetz, drückt auf einen Knopf, der Mixer setzt sich in Bewegung.

    "Wir brauchen 50 Prozent gefrorenes Fleisch, 50 Prozent nicht gefrorenes Fleisch, damit wir ein schönes Schnittbild bei der Salami bekommen, das sind die Unterschiede zwischen dem Roten und dem Weißen in der Salami ..."

    Eine Ladung Gewürze, ein Liter dunkelroter Farbstoff, zum Schluss Salz als Bindemittel - fertig ist das Brät, eine rosa-rote Masse.

    Literweise presst die Füllmaschine nebenan die zähe Masse in den glänzenden Wurstdarm mit Wabennetz, gute anderthalb Meter lang, 15 Zentimeter Durchmesser. "Kunstdarm", sagt Hubert, der Betriebsleiter, der auch mal selbst mit anpackt.

    "Hubert: Mailänder – welche Variante?"

    Dicht an dicht hängen die Wurstschläuche auf einem Wagen, fertig zum Räuchern über Buchenholz. Zwei bis vier Wochen vergehen, bis die Salami so aussieht und schmeckt, wie es sein soll: Herzhaft und knackig.

    In einem abgeschotteten Raum sitzen Frauen mit Mundschutz an überdimensionierten Schneidemaschinen, teilen, fächern und stapeln meterlange Wurstschläuche zu kleinen Scheiben in flache Plastikverpackungen.

    In weißen Kartons türmen sich die Salamipakete, fertig für den Abtransport und einen Tag später liegen sie im Kühlregal, bereit fürs Frühstücksbrötchen.