Herz-Schmerz in wunderlichen Bildern

13.11.2008
In Form und Stil ist es "typisch Gavalda" - ein Buch mit Tempo, Schwung, mal ironisch und mal melancholisch. Die Schriftstellerin Anna Gavalda, Jahrgang 1970, erzielt in Frankreich Millionenauflagen. Ihre Kritiker schwanken zwischen hymnischer Verehrung und Totalverriss. In "Alles Glück kommt nie" findet der Pariser Architekt und Workaholic Charles, 46, eine neue Liebe, eine Farm und - sich selbst.
"Alles Glück kommt nie": Held des Romans ist ein Pariser Architekt - Charles, 46, ein Workaholic (fast pausenlos auf Reisen), der eben in die Midlife-Crisis rutscht. Seine langjährige Gefährtin zeigt sich kühl ("Ich gebe dir keinen Kuß, ich habe mir gerade eine Maske gemacht"), Stieftochter Mathilde gewährt Zuwendung nur noch gegen Geldwert.

Ein Brief wirft ihn aus der Bahn, ein knapper Satz: "Anouk ist tot." Anouk, viel älter als der Protagonist, wohnte vor langer Zeit neben Charles, eine selbstlose Frau, alleinerziehend; sie bot dem Jungen Zuflucht, er verehrte sie. Nun - spät und reuevoll - sucht Charles nach Spuren dieser Anouk.

Er findet ihren Sohn Alexis, der einmal sein bester Freund war. Er findet eine neue Liebe, Kate, eine Immigrantin, die auf einer Farm entwurzelte Kinder um sich schart, und dort, bei Kate, findet Charles zu sich selbst.

"Was jetzt folgt, nennt sich Glück, und Glück ist eher peinlich. Glück ist platt, abgeschmackt, boring, und immer auch anstrengend. Glück langweilt den Leser", schreibt Gavalda. Und dann erzählt sie vom vielfachen Glück auf diesem alten Gutshof ...

Das Buch wirkt vielschichtiger als frühere Texte der Verfasserin. Anna Gavalda porträtiert Menschen verschiedenen Alters in komplizierten Bindungen. (Der Begriff "Familie" sei ihr wichtig, sagt die Autorin in einem Interview. Und Charles zitiert einen Satz von Anouk, "die wahre Familie findet man unterwegs".)

Auffällig sind diese Figuren, von kräftiger Farbe und Kontur: Anouk vor allem, Krankenschwester auf einer Notfallstation, eine Frau mit weitem Herzen und kläglichem Ende, entmutigt, einsam, depressiv. Oder Alexis, der ein begnadeter Trompeter war, dann Junkie und schließlich ein normaler Kleinbürger wurde. Oder das Mädchen Mathilde, pubertär-zickig und trotzdem Charles’ Liebling. Oder Kate, gütige Fee für unschuldige Kreaturen; sie nennt ihn englisch "Tscharls", schon fühlt er sich als ein anderer.

Ermunterungsbuch will das Werk sein, Wohlfühl-Belletristik, so gut verkäuflich wie die letzten Titel. In Form und Stil ist es "typisch Gavalda", ein Buch mit Tempo, Schwung, mal ironisch und mal melancholisch, mit dramatisierten Dialogen, theatralisch verknappten Sätzen und bedeutungsschwangeren Leerräumen. Die Sprache locker und nahe am Alltagsidiom, bisweilen zu nahe: In tragischen Episoden stört der saloppe Tonfall.

Es gibt - das war zu erwarten - viel Herz-Schmerz, Liebesleid-Passagen in wunderlichen Bildern: "Ihr Herz und ihr Plastikbecher waren gleichermaßen zerknautscht, bevor sie in den Mülleimer flogen. Sie war fertig mit der Welt." Aber neben Kitsch und Konvention gibt es anrührende Szenen, die fast zu groß sind für das Genre Unterhaltungsliteratur.

Eine "Geschichte von atemberaubendem Realismus", erkennt der deutsche Verlag in dem Roman. Nun, da haben die PR-Leute übertrieben. Aber ein lesenswertes Buch ist es, ein Buch, an dem sich die Geister wieder scheiden werden.

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Anna Gavalda: Alles Glück kommt nie
Roman, aus dem Französischen von Ina Kronenberger,
Carl Hanser Verlag, München 2008,
640 Seiten, 24,90 Euro