Herrscher über die Kunst

Von Siegfried Forster |
Während der Filmemacher Marin Karmitz im Musée Branly die ersten zehn Projekte des neuen französischen „Rats für künstlerische Kreation“ präsentiert, demonstrieren einige Pariser für die Abschaffung des Rates. Denn dessen Chef ist nicht der Kulturminister, sondern Präsident Sarkozy.
Wenn Sie im nächsten Jahr in der verrufenen Pariser Banlieue ein abgewracktes Boot mit eifrig arbeitenden Jugendlichen sehen, dann stehen sie vielleicht vor dem Flagschiff der zukünftigen Nouvelle Vague. Das Schiff aus Abdellatif Kechiches Film „Couscous mit Fisch“ wird in eine schwimmende Filmschule umgewandelt und wirft ab Januar 2010 an mehreren Orten Anker. Als „Filmmatrosen“ dürfen sozial benachteiligte Jugendliche aus der Banlieue anheuern. Eines von zehn Projekten, die Marin Karmitz als Generalsekretär des Rates für künstlerische Kreation präsentierte:

„Ein großes Problem des heutigen französischen Kinos rührt von der Ausbildung der Regisseure und Techniker. Derzeit wird dafür meist ein vier- oder fünfjähriges Studium verlangt. Das bedeutet, dass nur ein bestimmter Studententyp und eine bestimmte soziale Klasse in diesen Film-Schulen zu finden sind. Und da die Regisseure davon erzählen, was sie kennen, was sie erlebt haben, finden wir das im französischen Kino wieder. Das ist eine sehr begrenzte Form, die Komplexität unseres Landes zu sehen. Wir müssen schnellstmöglich diese Vision erweitern.“

Statt großer Reden gab es im Musée Branly „Petits fours“, kleine Frühstücks-Häppchen, serviert auf dem Silbertablett für die wenigen auserwählten Journalisten. Marin Karmitz versuchte, den Anwesenden den von ihm geleiteten Rat für die künstlerische Kreation schmackhaft zu machen. Der Rat sei kein Ersatz-Kulturministerium, sondern ein geistiger Werkzeugkasten für die Renaissance der Kulturnation Frankreich:

„Wir haben uns absichtlich geweigert, mit großen Absichtserklärungen über die Kulturpolitik zu starten, sondern wir wollten mit sehr konkreten Projekten anfangen. Wir sind eine Art Werkzeugkasten – darin sind unterschiedliche Werkzeuge untergebracht.“

Vor der Tür demonstrierten unterdessen Künstler- und Kulturgewerkschaften für die Abschaffung des Rates. Für sie ist in dem von Präsident Sarkozy eingerichteten Werkzeugkasten vor allem ein Hammer untergebracht, mit dem die bisherige Kultur- und Subventionspolitik zertrümmert werden soll. In der Tat ist der Rat nicht dem Kulturminister, sondern nur Präsident Sarkozy höchstpersönlich Rechenschaft schuldig. Sarkozy ist auch Präsident dieser Einrichtung. Eine absolute Abhängigkeit, die Marin Karmitz nicht als Nachteil, sondern als Vorteil sieht:

„Das zeigt zwei Dinge: sein tiefgehendes Interesse für die Kultur. Das ist wichtig für uns. Außerdem, so wie Frankreich funktioniert: Wenn der Staatspräsident nicht direkt betroffen ist und sich nicht als großer Schutzherr der Künste und der Kultur versteht, dann können wir nichts machen.“

Zehn Projekte hat Sarkozy abgesegnet – und ein Zehn-Millionen-Euro-Budget. Lachhaft gegenüber den drei Milliarden Euro des Kulturministeriums, aber entscheidend ist, dass der Rat künftig als Abteilung für kulturelle Forschung und Entwicklung die Richtung vorgibt. Er fällt das Urteil, ob etwas rentabel oder sinnvoll ist. Choreografin und Ratsmitglied Dominique Hervieu:

„Es geht darum, Pilot-Projekte zu finden und zu schauen, ob es Sinn macht, diese zu produzieren oder nicht. Wir lancieren diese Projekte, wir beurteilen sie, schauen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Die zehn Millionen Euro erlauben es, diese Pilotprojekte zu lancieren, am Ende entscheidet die Politik.“

Als finanzielle Leitlinie gilt: Zugelassen sind ausschließlich Koproduktionen, die maximal zu einem Drittel finanziert werden. Deshalb verleibt sich Karmitz gerne die jahrelange Arbeit anderer ein: etwa mit seinem Projekt einer „Colline des Arts“ – einem vernetzten Museums-Hügel mit gemeinsamer Metro- und Eintrittskarte. Damit soll Paris wieder zur weltweiten Kunstmetropole aufsteigen. Ein „mobiles Centre Pompidou“ bringt die Kunst kostengünstig zu den Menschen. Im Kinobereich will er Studenten einen Gratis- Zugriff auf eine Filmbank ermöglichen, wobei weder Umfang noch Finanzierung bislang geklärt sind. In sozial benachteiligten Stadtvierteln sollen Spitzenmusiker „bis dahin nicht musizierende Jugendliche im Alter zwischen sieben und 15 Jahren“ an die Musik heranführen. Jacques Blanc, Direktor der staatlichen Theaterbühne in Brest, koordiniert ein spartenübergreifendes Projekt für die junge Kreation in acht französischen Städten:

„Das ist ein originelles Projekt, das spartenübergreifend arbeitet, das einen jungen Koch mit einem jungen Tänzer zusammenbringt, einen jungen Designer mit einem jungen Bildhauer oder einem jungen Wissenschaftler. Wir wollen ein Land zeigen, das jung und dynamisch ist. Wie können die Leute zusammenarbeiten? Was bringen sie uns, der Bevölkerung, als Saat für die Zukunft? Das Projekt heißt: ‚Stellt Euch das Jetzt vor’!“

Auch wenn einigen die Projekte wie ein kultureller Schaschlik ohne Spieß vorkommen, eines hat Präsident Sarkozy erreicht: Sogar im Kulturbereich bindet er damit sämtliche Initiativen an seine Person.