Herr Landauer und der FC Bayern

14.04.2011
Ein jüdischer Vereinspräsident namens Kurt Landauer führte den FC Bayern 1932 zum seinem ersten Meistertitel. Während seiner Schulzeit in England hatte er den Fußball entdeckt und mit ins Deutsche Reich gebracht. Ein Hort des Widerstands war der Club deshalb aber noch lange nicht, schreibt der Autor dieses Sachbuchs.
Die Geschichte von Fußballvereinen aufzuschreiben, ist nicht leicht. Abgesehen von Spielergebnissen und Tabellen haben die meisten Vereine nie besonderen Wert darauf gelegt, anständige Archive anzulegen. Sport ist Unterhaltung. Das ist beim FC Bayern, dem erfolgreichsten deutschen Fußballverein, nicht anders. Dietrich Schulze-Marmeling stellt das vor eine schwierige Aufgabe. Wie soll eine vielschichtige Wahrheit abgebildet werden, wenn die Hauptquellen seiner Arbeit vom Verein herausgegebene Festschriften und wenige Interviews mit längst verstorbenen Zeitzeugen sind?

Schulze-Marmeling, der sich intensiv mit der Geschichte der jüdischen Fußballer in Europa beschäftigt hat, löst die Aufgabe trotzdem, weil sein Horizont eben nicht nur auf Fußball und auf die Bayern beschränkt ist. So beschreibt er, wie sich das wilhelminisch geprägte München von 1900 an, dem Gründungsjahr des FC Bayern, langsam in eine weltoffne Stadt verwandelt, die immer mehr Künstler und Intellektuelle anzieht. In diesem liberalen Milieu haben auch junge deutsche Juden ihren Platz. Als Kinder wohlhabender Kaufleute, meist in England ausgebildet, haben sie dort den Fußball entdeckt und mit ins Deutsche Reich gebracht.

Auch der FC Bayern München wird von Deutschen jüdischen Glaubens gegründet. Eine dieser prägenden Figuren ist Kurt Landauer. Der Sohn wohlhabender jüdischer Eltern, die in München ein Oberbekleidungsgeschäft betreiben, spielt 1901 das erste Mal für die Bayern und wird später vier Mal zum Vereinspräsidenten gewählt. Landauer, den seine Vereinskollegen als visionär und zuverlässig beschreiben, ist Patriot: Er meldet sich freiwillig, um als Soldat in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. In erster Linie versteht er sich als Bayer, dann als Deutscher und zuletzt als Jude.

Ein knappes halbes Jahr vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wird der FC Bayern München am 12. Juni 1932 zum ersten Mal Deutscher Meister, angeführt vom jüdischen Präsidenten Kurt Landauer und dem jüdischen Meistertrainer Richard Dombi. Schulze-Marmeling verknüpft die Ereignisse nach der Machtübernahme der Nazis mit der Entwicklung beim FC Bayern und stellt fest: In vorauseilendem Gehorsam zerstört der Club seine liberale Vereinskultur, in der Juden ihren Platz hatten.

Noch bevor der gleichgeschaltete DFB die Vereine auffordert, sich von ihren jüdischen Mitgliedern zu trennen, übernehmen das die meisten Vereine – so auch Bayern München – selbst. Weltkriegsteilnehmer Landauer, der ins KZ Dachau verschleppt wird, emigriert in die Schweiz. Nach dem Krieg kehrt er zurück und wird noch einmal Vereinspräsident. Nach Demütigung und Verfolgung ist das eine schier unglaubliche Wendung.

Das Buch ist keine schlichte Vereinsgeschichte mit Titeln und Trophäen. Vielmehr konzentriert sich Schulze-Marmeling auf den Zeitraum von 1900 bis in die frühe Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er beschreibt und analysiert, wie sich der Verein unter den veränderten politischen Vorzeichen wandelt, und er porträtiert die handelnden Personen jener Zeit – vom Präsidenten bis zur Spielerfrau. In mühevoller Kleinarbeit arbeitet er heraus, dass der "Judenklub" Bayern München kein Hort des Widerstands gegen die Nazis war, sondern ein Club, in dem der Opportunismus siegte, weil sich jeder selbst der Nächste war.

Mittlerweile ist sich der Rekordmeister seines jüdischen Erbes bewusst. "Ohne Kurt Landauer wäre der FC Bayern nicht das, was er heute ist", sagt der aktuelle Präsident Uli Hoeneß.

Besprochen von Thomas Jaedicke

Dietrich Schulze-Marmeling: Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011
256 Seiten, 14,90 Euro