Herr der Worte

Von Christian Linder · 08.04.2010
Der Name Wilhelm von Humboldt steht für eine große Bildung. "Er war Gelehrter, Dichter, Forscher und Staatsmann, aber das alles in solcher geistigen Höhe, dass nichts zum Beruf in ihm ward, alles nur zum Stoff für ein höchstes, ideales Gepräge der Humanität." In solch hohen Tönen wurde und wird Humboldt bis heute gefeiert.
Natürlich wusste Wilhelm von Humboldt, wer er war und was er geleistet hatte, er ahnte wohl auch seinen Nachruhm, den nach seinem Tod am 8. April 1835 jedes Lexikon weitererzählt: Er war, als Sohn eines preußischen Offiziers, am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren und zusammen mit seinem jüngeren und später ebenso berühmten Bruder Alexander von privaten Hauslehrern umfassend unterrichtet, nicht nur einer der großen Gelehrten seiner Zeit geworden, Freund Goethes und Schillers, sondern auch einer der bedeutendsten Staatsmänner Preußens, unter anderem Ministerresident am Heiligen Stuhl in Rom, Gesandter in Österreich, wo er am Wiener Kongress teilnahm, später Leiter der Sektion für Kultur und Unterricht im preußischen Innenministerium und als solcher Gründer der Berliner Universität und wichtigster Anreger einer humanistischen Bildungspolitik.

Aber als Humboldt im Alter auf sein bewegtes und auch von vielen Reisen geprägtes und erfülltes Leben voller intellektueller Neugier zurückblickte, erschien ihm manches sonderbar – vor allem sein Ruhm.

"Wie die Leute darauf kommen, so oft und ohne äußere Veranlassung in Zeitungen von mir zu reden! Es beweist recht, wie das Privatgeklatsche zur öffentlichen Sache geworden ist, da man nicht die Naivität haben muss zu glauben, dass es aus wahrem Anteil geschehe. Es ist die Sucht, Neuigkeiten mitzuteilen, welcher Art sie auch sein mögen."

Tegel, im März 1835, war der Brief an eine Freundin datiert. Dorthin, ins Familienschloss, hatte sich Humboldt knapp 15 Jahre zuvor zurückgezogen, nach seiner Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst am 31. Dezember 1819 - seine Ideen für politischen Liberalismus, Freiheitsrechte und gegen bürokratische Willkürmaßnahmen wollte man so ohne Weiteres nicht mehr goutieren. Humboldt tat das Beste, was er tun konnte: er führte, seinem Wesen gemäß, das Leben eines Privatgelehrten:

"Ich bin entschlossen, von jetzt an mein inneres Sein keiner gesellschaftlichen Konvenienz mehr zu opfern, und meine Lage verstattet mir, es durchzusetzen."

Immer wieder beschwor er seine "einsame Ruhe hier in Tegel" und wusste für sich:

"Ich hasse nichts so sehr, als mit Grundsätzen Parade zu machen und ein Märtyrertum zu affektieren."

Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die Entfaltung der eigenen inneren Welt:

"Es muss im Innern eine eigene Welt geben, über die die Wellen des Lebens nur hinwegschlagen und die still und verborgen sich fortbildet."

Ein liebenswürdiger, warmherziger Mensch, so haben ihn viele erlebt. Eine stark ausgebildete individuelle Lebenserfahrung und ein sicheres Gefühl für Authentizität sowie ein klarer Blick für Menschen und für Situationen ermöglichten es Humboldt, gegen die schon zu seiner Zeit sehr ausgeprägte Abhängigkeit vieler von Moden, allgemeinen Meinungen, Ideologien und anderen Kriterien sekundärer Art anzuleben und anzuschreiben. Neben seiner täglichen Korrespondenz arbeitete er, wenn er seinem staatsphilosophischen Interesse nicht folgte, an seinem anderen großen Lebensthema, der Bedeutung der Sprache:

"Insofern ... die Sprache, indem sie bezeichnet, eigentlich schafft, dem unbestimmten Denken ein Gepräge verleiht, dringt der Geist ... auch auf neuen Wegen in das Wesen der Dinge selbst ein."

Sprechen, "um alles Fremde wie Eigenes zu fassen", wie Humboldt sich wünschte. Dabei erschien ihm die Gelassenheit als eine der ganz großen menschlichen Möglichkeiten, und seine eigene persönliche Gelassenheit nahm im Alter zu – trotz der Beschwerden, die er keinem seiner Briefpartner verschwieg. Aber:

"Die Zeit ist da, wie der Mensch, dass sie verrinne. Ein Vorurteil, wenn man von dem Wert der Zeit und ihrer Benutzung spricht und über ihr Vergehen klagt. Sie kann es ja nicht, ohne dass, wie er es auch anfangen möge, wider seinen eigenen Willen sogar, er darin reife, und sein Zweck auf Erden ist erfüllt, wenn er reif ins Grab sinkt."

Den Tod hat Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt nicht gefürchtet, ihn vielmehr als "eine wohltätige und heilende Macht" gepriesen. An seinem Sterbetag beobachtete er sich genau:

"In mir ist es ganz still, hell und besonnen, so dass ich nicht klagen kann."

Vorher hatte er noch einen Wunsch geäußert:

"Gedenket meiner nicht in Trauer, sondern in Heiterkeit."