Hermann Vinke: "Das Dritte Reich"

Rezensiert von Gisela Steinhauer · 12.04.2005
Hermann Vinke will gegen die Unwissenheit der jungen Generation anschreiben. Sein Buch "Das Dritte Reich" kommt 60 Jahre nach Kriegsende auf den deutschen Buchmarkt und trotzdem keine Minute zu spät.
"Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit haben das Dritte Reich nicht nur überdauert; sie nehmen in Deutschland inzwischen ein beängstigendes Ausmaß an."

…schreibt Hermann Vinke im Vorwort zu seinem Buch "Das Dritte Reich".

"Bomberjacken, Springerstiefel und Glatzen sind Zeichen einer braunen Jugendszene, die sich ausbreitet. … Unverhohlen wird zu Hass und Gewalt aufgerufen, und die Wirkung auf Jugendliche, denen jede Kenntnis des Dritten Reichs fehlt, bleibt nicht aus."

Hermann Vinke versucht, die Wissenslücken zu füllen, denn …

"Das Wissen um die Verbrechen der Nationalsozialisten ist noch immer das wirksamste Gegenmittel gegen den Rechtsextremismus."

Aber wollen Jugendliche überhaupt das Gegenmittel? Stimmt Vinkes Beobachtung, dass ihnen jede Kenntnis fehlt, oder hängt ihnen der Stoff nicht längst zum Hals heraus, weil das Dritte Reich in der Schule Pflicht ist?

Wer viel mit Jugendlichen zu tun hat, kennt die Antwort. Sie finden es ätzend, immer wieder mit NS-Zeit und Judenverfolgung konfrontiert zu werden. Sie rollen mit den Augen, wenn auch noch die zehnte Unterrichtsstunde für Hitlers Machtergreifung draufgeht, und sie wollen nichts mehr hören von der Schuld, die Deutsche auf sich geladen haben. Denn für sie ist die Sache erledigt, das Ganze ist 60 Jahre her und der Zweite Weltkrieg allenfalls ein Thema für ihre Eltern und Großeltern.

Wie also - trotz allem - die Erinnerung wach halten? Indem man es genauso macht wie der Journalist Hermann Vinke. Sein Buch "Das Dritte Reich" trägt den Untertitel

"Eine Dokumentation mit zahlreichen Biografien und Abbildungen"

Und das wird auch eingelöst. Jede Seite ist mit schwarz-weiß Fotos und Kurztexten bestückt, die vom Ersten Weltkrieg bis zum Mauerfall deutsche Geschichte dokumentieren und zwar so, dass man sie versteht. Der Autor war jahrelang Hörfunkkorrespondent in Japan und den USA und hat gelernt, fürs Radio zu schreiben, also so zu formulieren, dass man seinen Gedanken mühelos folgen kann. Auch das macht sein Buch zu einer leichten Lektüre.

"Mit großem Getöse betritt Adolf Hitler am 30. Januar 1933 als Reichskanzler die politische Bühne. Fackelzüge, Massenaufmärsche – der Aufwand macht deutlich: Niemand soll auf die Idee kommen, es handele sich um einen normalen Regierungswechsel."

Während wir so Seite für Seite durch die Geschichte des Dritten Reichs geführt werden, lernen wir in 45 Kurzbiografien prägende Persönlichkeiten dieser Zeit kennen. Wegbereiter:
"Franz von Papen und Alfred Hugenberg"

Täter:
"Heinrich Himmler und Hermann Göring"

Opfer:

"Carl von Ossietzky und Marek Edelmann"

Widerstandskämpfer:

"Graf von Moltke und Genevieve de Gaulle."

Aber es sind nicht nur die großen Namen, an die Hermann Vinke erinnert. Das Kapitel "Widerstand im Alltag" erzählt von völlig unbekannten Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um anderen zu helfen. Da ist z.B. die Hamburger Dolmetscherin Hiltgunz Zassenhaus, die die Post von jüdischen Häftlingen in Polen kontrollieren soll.

"Briefe, in denen Gefangene … um Lebensmittel, Kleidung und Medikamente bitten, sollen aussortiert und vernichtet werden. Hiltgunt Zassenhaus tut jedoch das Gegenteil. Sie nimmt einzelne Schreiben an sich und sorgt … dafür, dass sie an die richtigen Adressaten gelangen."

Auf die Frage nach dem Motiv für ihr Handeln sagt sie später:

"Es war so etwas wie menschlicher Anstand."

Möglicherweise sind das die entscheidenden Stichworte, die hängen bleiben, wenn man Vinkes Dokumentation zu Ende gelesen hat. Für sein Buch über Sophie Scholl bekam der Emsländer vor
18 Jahren den Deutschen Jugendliteratur-Preis. Man spürt, wie sehr ihm Geschichte für jugendliche Leser am Herzen liegt, ohne dass er auch nur ein einziges Mal den pädagogischen Zeigefinger hebt. Und so setzt auch nicht er selbst den Schlussakzent, sondern unter der Überschrift "Erinnern und versöhnen" überlässt Hermann Vinke die Schlussworte dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, indem er aus seiner Rede vom 8. Mai 1985 zitiert.

"Die bitte an die jungen Menschen lautet: Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen. … Lernen Sie miteinander zu leben, nicht gegeneinander."

Hermann Vinke: Das Dritte Reich - Eine Dokumentation mit zahlreichen Biografien und Abbildungen, Ravensburger, Februar 2005, 19.95 Euro.