Hermann Hesses Kaleidoskop der Weihnachtsstimmungen

Von Susanne Mack · 18.12.2010
Volker Michels, Leiter des Hermann-Hesse-Archivs, hat Betrachtungen und Gedichte zur Winter- und Weihnachtszeit ausgewählt. Im Alter brachte Hesse fernöstliche und christliche Gedanken zusammen und schlug vor, Weihnachten neu zu begehen.
Weihnachten und Neujahr sind, alles in allem, Feste, die ich gern entbehren würde. Die Hunderte von gut gemeinten und zum Teil auch wirklich lieben Briefe, fast alle von Unbekannten, übersteigen mein Aufnahmevermögen.

Ein überforderter Dichter in einem Brief an einen Freund. Hermann Hesse, anno 1950, ist ein berühmter Mann, dem das schlechte Gewissen den Schlaf raubt, weil er die Flut der gut gemeinten Weihnachtspost beim besten Willen nicht bewältigen kann.

Hesse gehört zu jenen Klassikern, deren Werk man entweder im Ganzen mag oder verschmäht. Wer Hesse mag, wird dieses Büchlein lieben, denn seine Gedanken über die Weihnacht präsentieren in nuce des Dichters Blick auf die Welt - und seine Sprache in schönster Blüte. Zum Beispiel, wenn er ein Blumengebinde beschreibt, das ihm eine gärtnernde Verehrerin zum Weihnachtsfest hatte schicken lassen.

Ein liebevoll gebundener Strauß in den Farben Rotbraun, Violett, Rosa und etwas Weiß, Zweige und Steingartenpflanzen, kleine, harte Rosenknospen dazwischen, auch ein paar rote und weiße Beeren, ein verspätetes Oktobergedicht. Es erinnerte mich an frühe Tage, an meine Mutter, die eine große Blumenfreundin und Straußdichterin war.

Rund 100 Seiten mit Hesses Gedanken über die Winter- und Weihnachtszeit: Poetische Landschaftsbilder, kleine Gedichte, philosophische Überlegungen, in Weihnachtsbriefe an Freunde verpackt. Doch der Schatz dieses Buches sind die Geschichten, Hesse erzählt mit psychologischem Scharfblick.

Da erinnert er sich, inzwischen knapp 50-jährig, an einen Heiligabend im Elternhaus als er 14 war: Die Stube vom Kerzenschein festlich erleuchtet, der Vater liest das Weihnachtsevangelium, die Kinder schielen ungeduldig nach dem Gabentisch. Endlich, Bescherung! Und noch Jahrzehnte später steht Hesse das Gesichtchen seines Bruders Hans vor Augen, damals acht Jahre alt, der sein Geschenk auspackt: Winziges Geschirr, aus Ton gebrannt, jede Tasse kleiner als ein Fingerhut. "Tand im Grunde, billiges Zeug!" denkt Hermann im Stillen. Der Kleine aber lächelt selig: Ein von Glück und Freude verzaubertes Kindergesicht.

Es forderte zum Neid heraus, aber auch zum Spott. Und wenn ich schon des Glückes nicht mehr fähig war, so war ich dafür des Spottes fähig und der Kritik. Und wahrscheinlich hatten die Jünger des Heilands einst genauso auf die seliggepriesenen Kinder geblickt wie ich auf Hans, mit Neid nämlich und zugleich mit etwas Spottlust. Sie wussten sich erwachsen, wussten sich klüger, erfahrener, wissender, sie waren überlegen. – Nur dass die Erwachsenheit, Klugheit und Überlegenheit kein Glück war und nicht selig gepriesen wurde und keinen ins Reich Gottes führen konnte.

Für das Buch hat Herausgeber Volker Michels aus der Fülle von Hesses Winter- und Weihnachgedanken rund 30 Texte ausgewählt und chronologisch geordnet - von 1902 bis 1959, ein Kaleidoskop der Weihnachtsstimmungen des Hermann Hesse im Wandel der Zeit. 1917 zum Beispiel, anlässlich der vierten Weihnacht im Weltkrieg, bekennt er der "Neuen Zürcher Zeitung":

Gewiss, ich feiere Weihnachten, weil ich Kinder habe, die ich nicht um eine Freude bringen will. Aber ich begehe diese Kinderweihnacht als einen festlich-offiziellen Akt verjährten Herkommens, verstaubter Sentimentalität. Die Weihnacht und das Fest der Liebe ist für uns alle schon längst nicht mehr Ausdruck eines Gefühls. Es ist das Gegenteil, ist längst nur noch Ersatz und Talmi-Nachahmung eines Gefühls.

In seinem Nachwort schreibt Michels, Hesse habe ein feines Sensorium besessen für Differenzen zwischen Schein und Sein, für jede Art Verlogenheit, besonders für den Willen zur Macht, der im Priestergewand des Weges kommt. Darum habe er dem amtskirchlichen Christentum den Rücken gekehrt.

Hesse hat sich auf die Suche gemacht nach echter Spiritualität und ist fündig geworden in altindischen und chinesischen Weltbildern. Erst im Alter bringt er fernöstliches und christliches Gedankengut wieder zusammen - in einem sehr persönlichen, mystischen Monotheismus. 1951, wiederum in der "Neuen Zürcher Zeitung", schlägt Hesse vor, Weihnachten neu zu begehen - als Fest einer tiefen Begegnung mit dem Gott der Liebe.

In einer am Mangel an Sinn erkrankten Zivilisation gibt es ja für den einzelnen wie für die Gemeinschaft kein anderes Heil- und Nahrungsmittel, keine andere Kraftquelle fürs Weiterleben … als der Glaube an die Erreichbarkeit Gottes vom innersten Kern unseres Wesens aus.