Herbst im Iran

Auf anrührende Weise zeichnet Dalia Sofer ein Bild vom "anderen" Iran. Jede Figur in ihrem Roman ist irgendwann Gewalt und Ungerechtigkeit ausgesetzt, die Grenzen zwischen Täter und Opfer sind fein gezeichnet. Das ist eine der vielen Qualitäten des Romans. Die Bösen werden nicht verteufelt, die Guten nicht verklärt, Schmerz, Trauer und Unvereinbares nicht aufgelöst.
Schiras, Hauptstadt der iranischen Provinz Fars, ist eine legendäre Stadt. Wegen ihres Blumenreichtums und der berühmten Rosenzüchtungen, auch weil sie Geburtsstadt von zwei der bekanntesten persischen Dichter, Saadi und Hafis, ist.

Schiras ist für Isaac Amin, die Hauptfigur im Debütroman der amerikanischen, aus dem Iran stammenden Autorin Dalia Sofer, auch Stadt der Liebe. Als junger Mann, Sproß einer alteingesessenen jüdischen Familie, war er stets von Teheran aus im Sommer hierher gefahren. Hatte Kurse in Lyrik genommen und dabei seine spätere Frau kennen gelernt.

Dalia Sofer beginnt ihren Roman im September 1981. Zweieinhalb Jahre zuvor war Schah Reza Pahlavi in den Westen geflohen, islamische Revolutionäre regieren seitdem das Land. Isaac Amin arbeitet erfolgreich als Diamantenhändler. Ohne Angabe von Gründen wird er eines Tages in seiner Teheraner Firma von zwei "Revolutionswächtern" verhaftet. Ein Leidensweg beginnt, auf dem Isaac immer wieder seine Vergangenheit und die seines Landes Revue passieren lässt.

Erinnerungen an den Iran bevor er "Islamische Republik" wurde, an seine Frau und die geliebten Kinder, an die Kleinigkeiten des Alltags, an Reisen nach Europa - sie alle wiegen nun mehr als jeder hochkarätige Diamant. Sie geben Isaac die Kraft, Erniedrigungen und Folter in einem der berüchtigtsten Gefängnisse Teherans zu überstehen. Und ermöglichen ihm auch die Erkenntnis, dass er sein Leben zu lange schon der Arbeit geopfert hat - deren Früchte ihm nicht bleiben werden.

Dalia Sofer lässt lange offen, ob Isaac Amin das Gefängnis je wieder lebend verlassen wird. Obwohl unpolitisch und großzügig, ist er vom Standpunkt der islamischen "Revolutionswächter" schuldig - einfach weil er reich ist. Er hat Luxusgüter gefertigt, war Nutznießer des Schah-Regimes, ist obendrein Jude.
Letztlich gelingt es dem Diamantenhändler, sich freizukaufen. Das junge, moralisch argumentierende Revolutions-Regime erweist sich als genauso korrupt wie das alte des Schahs. Und damit in gewisser Weise als menschlich.

Dalia Sofer lässt jede Partei zu Wort kommen. Jede Figur in ihrem Roman ist irgendwann Gewalt und Ungerechtigkeit ausgesetzt, die Grenzen zwischen Täter und Opfer sind fein gezeichnet. Das ist eine der vielen Qualitäten des Romans. Die Bösen werden nicht verteufelt, die Guten nicht verklärt, Schmerz, Trauer und Unvereinbares nicht aufgelöst.

Der melancholische Roman birgt manch überraschende Wende. Mit gefälschtem Pass fliehen Isaac und seine Familie aus der Heimat. Er erinnert sich an das Sommerende im geliebten Schiras, von wo er als junger Mann immer aufbrach. "Anders als der gegenwärtige September trugen die September von Schiras die Verheißung der Rückkehr in sich."

Dalia Sofers Debütroman ist eine beglückende literarische Entdeckung. Autobiografische Trauerarbeit und Hymne auf das Leben. Die Handlung ist durch Parallelmontagen über Zeit- und Raumgrenzen hinweg verdichtet. Der ruhige, melodische Sprachfluss der Autorin von Schönheit und Klarheit gesättigt, von Lebenserfahrung gefüllt. Sofers Bilder sind voller Details, funkelnd oder fleckig, poetisch und nie sentimental. Das Leben erscheint in ihnen als unaufhebbares Wechselspiel von Ursache und Wirkung menschlicher Handlungen, als fortwährendes Auf und Ab, das verletzt, aber auch heilen kann.

Rezensiert von Carsten Hueck

Dalia Sofer: Die September von Schiras.
Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth,
C. Hanser Verlag, München 2007,
334 Seiten, 19,90 €.