Henri de Toulouse-Lautrec

Chronist des Pariser Rotlichtmilieus

Eine Besucherin betrachtet in den Kunstsammlungen Chemnitz die Lithografien "Bruant im Eldorado" und "Bruant im Ambassadeurs" (vorn) aus dem Jahre 1892 von Henri de Toulouse-Lautrec (1864 - 1901).
Bis heute werden Lautrecs Lithografien gern angeschaut. © picture-alliance/dpa - Wolfgang Thieme
Von Björn Stüben · 24.11.2014
Er begann schon als Kind zu malen, doch verlegte sich später auf Plakatkunst: Henri de Toulouse-Lautrec porträtierte das Leben am Pariser Montmartre und legte eine kometenhafte Karriere hin. Sie brachte ihm jedoch kein Glück.
Henri de Toulouse-Lautrec stamme aus einer alten adligen Familie, die sich bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückverfolgen ließe, erfährt das begeisterte Publikum des Moulin Rouge zu Beginn der 1890er-Jahre. Die Szene stammt aus einem Spielfilm über das Leben des am 24. November 1864 im südwestfranzösischen Albi geborenen Künstlers.
Ein junger Adliger aus der Provinz, der als Maler, Zeichner und Lithograf zum Chronisten des Pariser Rotlichtmilieus wurde? Und der, genetisch bedingt, als tragische Figur auf viel zu kurzen Beinen in den verruchten Kreisen des Montmartre eine kometenhafte Karriere machte? Das bleibt ein dankbarer Stoff für unzählige Filmprojekte. Seine ungeschminkten Milieustudien sicherten ihm aber auch einen bedeutenden Platz in der Kunstgeschichte wie die Direktorin des Toulouse-Lautrec-Museums in Albi, Daniele Devynck, betont:
"Lautrec tauchte völlig ins Montmartre-Viertel ein und entschloss sich bald auch, dort Wohnung und Atelier zu beziehen. Hier traf er auch auf seine ersten Modelle. Das waren natürlich die Mädchen, die auf der Straße arbeiteten, die Prostituierten. Seine Bildinhalte bezeichnen wir heute gerne als Themen der Moderne in der Kunst. Baudelaire hat uns hierzu damals die Definition geliefert: Zeitgenössische Kunst müsse den Alltag der Menschen darstellen im Gegensatz zur akademischen Salonkunst, die immer nur Themen der glorreichen Vergangenheit aufgegriffen hätte."
Seine Werke sollten vervielfältigt werden können
Lautrecs künstlerische Laufbahn begann früh. Aufgrund seiner labilen Gesundheit häufig ans Bett gefesselt, begann er als Jugendlicher zu zeichnen. Seine Eltern förderten seine schnell sichtbare Begabung. In Paris lernte er nicht nur die alten Meister im Louvre kennen, sondern auch die Kunst der Impressionisten und kopierte sie. Doch was ihn eigentlich fesselte, waren die Motive, Szenen und Gestalten der kleinen Welt des Montmartre, die ihn bald von der Leinwandkunst abrücken ließen. Seine Werke sollten vervielfältigt werden und ein großes Publikum ansprechen. Bertrand Lorquin, Konservator am Pariser Musée Maillol, über Lautrecs Plakatkunst:
"Lautrecs Plakate waren bei allen sehr beliebt, sie galten als Attraktionen. In Paris eröffneten damals unglaublich viele Konzertcafés und Music-Halls. Im wahrsten Wortsinn lag Musik in der Luft. Der französische Cancan etwa war ein stark erotischer Tanz, den das Publikum begeistert entdeckte. Und der Cancan steckt gewissermaßen in Lautrecs Plakaten."
Lautrec verkehrte mit Vorliebe in Schauspieler- und Künstlerkreisen. Für Aristide Bruant, den er markant mit schwarzem Hut und rotem Schal über dunklem Cape wiedergab, entwarf er das Werbeplakat für dessen Cabaret Le Chat Noir. Die langen schwarzen Handschuhe und der feuerrot geschminkte Kussmund der Yvette Guilbert hatten es ihm besonders angetan.
Daniele Devynck: "Lautrec faszinierte das Bild, das Yvette Guilbert von sich selber erschaffen hatte, ganz ähnlich wie wir es heute von berühmten Schauspielern kennen. Lautrec konzentrierte sich auf das Spiel ihrer Mimik, denn sie hatte keine große Stimme, sondern widmete sich eher dem Sprechgesang. Ihr Artikulieren ging einher mit einem extrem expressiven Gesichtsausdruck und genau den wusste Lautrec meisterhaft abzubilden."
Alkoholabhängig und von Syphilis gezeichnet
Einige Zeitgenossen warfen Lautrec vor, er deformiere seine Figuren fast bis zur Unkenntlichkeit.
Bertrand Lorquin: "Wir können bei Lautrecs Werken sicher schon von Karikatur sprechen, aber nicht im herkömmlichen Sinne. Es geht ihm nicht um die Deformierung ins Lächerliche, ganz im Gegenteil. Seine Art von Karikatur unterstreicht die Individualität der Dargestellten und legt ihr Inneres offen."
Alkoholabhängig und von Syphilis gezeichnet starb Henri Toulouse-Lautrec 1901 nach einer Entziehungskur im Schloss Malromé, das seine Mutter bei Bordeaux besaß. Da war er gerade 37 Jahre alt. Bertrand Lorquin relativiert das tragische Bild, das die Nachwelt von ihm zeichnete.
"Es gab bei Lautrec eine Lebenskraft, die mir besonders ausgeprägt gewesen zu sein scheint. Wie hätte er sonst solche lebensbejahenden und avantgardistischen Werke erschaffen können, wenn er nicht diesen Appetit nach Leben und Vergnügungen gehabt hätte, den seine Kunst widerspiegelt?"
Mehr zum Thema