Helgoland

Ein Bunkerstollen wird zum Museum

06:40 Minuten
Jörg Andres, Direktor des Museums Helgoland, steht in einem alten Bunkerstollen, der zur Zeit renoviert wird. Später soll hier eine Ausstellung Besucher über das Leben im Bunker informieren.
Jörg Andres leitet das Museum Helgoland seit 25 Jahren. Zu seiner neuen Attraktion sollen auch die Tagesgäste auf der Insel Zugang haben. © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Von Jörn Schaar · 29.12.2022
Audio herunterladen
Helgoland war erst dänisch, dann britisch, dann deutsch, während der beiden Weltkriege wurde die Insel zur Festung. Ein neues Museum in einem Bunkerstollen klärt nur über die bewegte Geschichte des Nordsee-Felsens auf.
Seit 25 Jahren leitet Jörg Andres das Helgoländer Inselmuseum. Er ist ein Experte für die hiesigen Bunker. Jetzt hat er ein neues, ungewöhnliches Museum geschaffen: eine Ausstellung im historischen Bunkerstollen, in der die Besucher in beklemmender Umgebung mehr über die Schrecken des Krieges auf Helgoland erfahren sollen.
Der Zugang musste eigens in den roten Felsen der Insel gebohrt werden. Er befindet sich im unteren Teil der Insel, der knapp über dem Meeresspiegel liegt. Drei Monate habe es gedauert, bis die Bergleute diesen Zugangstunnel fertig hatten und auf einen historischen Bunkerstollen trafen, berichtet Andres.
286 Meter ist die neueste Attraktion der Insel lang. Im eigenen Tempo kann man den historischen Bunker erkunden. Die Wände bestehen aus Spritzbeton, an manchen Stellen tropft es von der Decke, es ist kalt und der Gang wird nur von den Texttafeln an der Wand beleuchtet. An der Decke hängen Bildschirme, auf denen fliegende Bomber gezeigt werden.
Diese Bomber werden in einer Einbuchtung in der Wand auch auf den Fels projiziert. "Es soll hier schon etwas bedrückend sein, aber wir machen nicht zu viele Bilder. Wir wollen eigentlich, dass die endgültigen Bilder im Kopf des Betrachters entstehen", so Andres.

Ständig Fliegeralarm

Durch die exponierte Lage der Insel 70 Kilometer vor dem Festland gab es während des Zweiten Weltkriegs nirgendwo so oft Fliegeralarm wie auf Helgoland, denn die alliierten Bomberstaffeln flogen fast alle über Helgoland hinweg:
"Helgoland ist der Vorposten in der Nordsee gewesen und hat als allererstes ankommende Flugzeuge gemeldet. Das heißt, es gab immer zuerst hier Alarm, alle Menschen mussten in den Bunker, und dann hat man festgestellt: Die Staffeln fliegen irgendwo ins Deutsche Reich. Dann gab’s Entwarnung, aber irgendwann kamen die Staffeln zurück, dann gab’s wieder Alarm, die Menschen mussten wieder runter. Es gab also ab 1942, 1943 kaum einen Tag, wo man nicht in den Bunker musste, und viele Tage, an denen man mehrfach runter musste."
Historisches Schwarzweißfoto eines Tunneleingangs, der in einen großen Fels gehauen ist. In den Eingang verlaufen Schienen, darauf sind eine Lore und mehrere Männer unterwegs.
Der Tunneleingang im Unterland 1918. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde Helgoland wegen seiner strategisch günstigen Lage zur Festung ausgebaut und nahezu vollständig untertunnelt.© ullstein bild via Getty Images / ullstein bild Dtl.
Gleichzeitig mit dieser Bedrohung nutzten die Nazis auch die strategisch wichtige Position der Insel aus und bauten die Festungsanlagen aus dem Ersten Weltkrieg weiter aus. Flugabwehrstellungen und tausende Soldaten waren auf dem roten Felsen stationiert.
Die militärischen Bunkeranlagen haben die Insel durchlöchert wie einen Schweizer Käse: "Insgesamt hat dieser Felsen 13,8 Kilometer Bunkergänge in sich gehabt. Wenn man überlegt, dass der Felsblock eigentlich nur 0,7 Quadratkilometer groß ist, dann bleibt nicht mehr viel. Die ganze Insel war untertunnelt: Man konnte tatsächlich am Hafen anlegen und in den Tunnel gehen bis hinten zur Langen Anna. Und da waren auch Gleise verlegt, mit Weichen drin und Gegenverkehr, wo die Geschütze bedient wurden, wo einmal hier im Süden der Insel die große Raumanlage war, da war Platz für 4.000 Soldaten, da waren Großbäckereien drin, da war eigentlich eine ganze Stadt unter der Erde inklusive Krankenhaus und allem."

7.600 Tonnen Sprengstoff

Der Großteil der Bunker wurde von den Briten gesprengt. Für die Operation "Big Bang" wurden 7.600 Tonnen Sprengstoff am 18. April 1947 um 13 Uhr deutscher Zeit zur Explosion gebracht.
Die Geschichte dieser Bunker fasziniert aber viele Menschen bis heute. So viele, dass die geführten Touren durch den Zivilschutzbunker im Helgoländer Oberland die Nachfrage nicht bedienen können: "Wir müssen permanent Gäste ablehnen, obwohl wir schon über 20.000 Gäste hier durch führen, so dass wir hier die Chance ergriffen und gesagt haben: 'Dann bauen wir noch etwas für die Gäste', die – ich bin überzeugt – hier zu zehntausenden durchlaufen werden."
Weil für den neuen Bunkerstollen keine Führung notwendig ist, können sich jetzt auch Tagesgäste die neueste Helgoländer Attraktion ansehen. Wer mit dem Schiff zum Roten Felsen fährt, hat nur drei bis vier Stunden Aufenthalt, die Führungen durch den alten Zivilschutzbunker beginnen erst, wenn die Tagesgäste wieder abgelegt haben. Der 286 Meter lange neue Tunnel dokumentiert neben dem Schicksal der Zwangsarbeiter auf Helgoland und der ständigen Angst vor Fliegerangriffen auch die Zerstörung der Insel und den Wiederaufbau.

3,5 Millionen Euro Kosten

Je weiter man in den Tunnel geht, desto breiter wird der Stollen, desto weniger Texttafeln und Exponate hängen an der Wand. Kurz vor Schluss läuft man auf das einzige farbige Bild der Ausstellung zu: den Baum der Hoffnung. "Das ist das Wunder von Helgoland. Als 1952 die Menschen wieder hier waren, war wirklich alles zerstört, und unser Maulbeerbaum war auch nur noch ein Stumpf und ziemlich kaputt - aber ein paar grüne Blätter waren dran. Und das war für die Menschen ein Zeichen: Da wächst noch was, da geht also noch was, da können wir vielleicht auch wieder hin, da ist noch Leben. Deswegen wird er bis heute verehrt, dieser Baum, hat sein eigenes Grundstück hier auf der Insel und wird gehegt und gepflegt.“
3,5 Millionen Euro hat die neue Ausstellung gekostet. Die EU und das Land Schleswig-Holstein haben Fördermittel beigesteuert, die Gemeinde Helgoland hat den Löwenanteil gezahlt: "Und ganz viele Helgoländer, und das ist mir auch wichtig, haben gespendet. Für die Erweiterung des Museums, des Haupthauses also, und auch hier für den Tunnel. Das ist etwas ganz Wertvolles, deswegen haben die auch gleich ihre Tafel am Eingang, neben dem Schild für die EU und dem Land und die Gemeinde wird auch jeder einzelne Spender nochmal aufgelistet. Das sind zwar andere Summen, aber das gehört sich so."
Mehr zum Thema