Helge-Ulrike Hyams: "Alphabet der Kindheit"

Ein Hausbuch der Kindheit – poetisch und nostalgisch

Mehr als ein Lexikon:Helge-Ulrike Hyams "Alphabet der Kindheit"
Mehr als ein Lexikon:Helge-Ulrike Hyams "Alphabet der Kindheit" © Cover: Berenberg-Verlag/picture alliance/dpa/Foto: Matthias Bein
20.10.2017
130 alphabetische Einträge und doch kein Lexikon: In ihrem "Alphabet der Kindheit" spannt die Erziehungswissenschaftlerin Helge-Ulrike Hyams ein Panorama der Kindheit - von Atem über Einsamkeit, Sehnsucht bis Zaubern.
Atem, Baum, Einsamkeit, Lachen, Quälen, Sehnsucht, Würde, Zeit – in ihrem umfangreichen "Alphabet der Kindheit" spannt Helge-Ulrike Hyams die ganze schillernde, zwiespältige, niemals wiederkehrende Kindheit auf – zwischen poetischem Sehnsuchtsort, anarchistischem Glück und düsterem Abgrund.
Nicht als Ratgeber, nicht als wissenschaftliches Lexikon, sondern als "Hausbuch" möchte der Verlag das Buch verstanden wissen – und genauso ist es auch: Viele der 130 Einträge, von der Autorin ganz subjektiv und "eigensinnig", wie sie im Vorwort sagt, zusammengetragen, durchweht eine eigenartige Nostalgie. Vom unauslöschlichen Geschmack von Brot ist da die Rede, vom Klauen, das jedes Kind irgendwann einmal betreibt – mal harmloser, mitunter aber auch an der Grenze zur Polizeimaßnahme, und von den Großeltern, denen gegenüber sich ein Kind anders verhalten kann als gegenüber seinen Eltern und die ihm mit ihrem Lebenshorizont einen weiten Raum in vergangene Zeiten eröffnen. Auch vom "Morgenkind" und vom "Abendkind" wird in diesem Hausbuch erzählt – das eine spielt in der Früh schon seit Stunden, während sich das andere noch müde die Augen reibt.

Poetischer und vielschichtiger Ausdruck

Deutlich spricht aus dem "Alphabet der Kindheit" die Stimme einer älteren Frau, die vieles gesehen und reflektiert hat. Dennoch stellt sie sich immer wieder auf die Höhe der Zeit – auch von neuen Medien, vom neuen Mobbing, der neuen Zeitknappheit und den neuen Modewörtern ist die Rede. Zudem bindet Helge-Ulrike Hyams ihre persönlichen Reflexionen über sich selbst als Kind, als Mutter und Großmutter zurück an Kunst und Kultur, streift berühmte Kinderbücher und lässt Erkenntnisse der psychologischen, pädagogischen und soziologischen Forschung einfließen.
Trotz des akademischen Hintergrundes der Autorin als Professorin für Erziehungswissenschaften bleibt ihre Sprache immer leicht und verständlich, sie lässt konsequent jedes Fachvokabular außen vor und sucht statt dessen in den knappen Einträgen, die teils nur einige Absätze, meist wenige Seiten umfassen, einen poetischen und vielschichtigen Ausdruck.

Botschaften, aus denen Menschenfreundlichkeit spricht

Und immer wieder, obwohl doch "Das Alphabet der Kindheit" ausdrücklich kein Ratgeber sein will, legt die Autorin ihren Leserinnen und Lesern Botschaften an Herz, aus denen pädagogisches Wissen ebenso spricht wie Menschenfreundlichkeit und Liebe: Bitte lachen Sie mehr mit ihrem Kind - lieber einmal zu viel als einmal zu wenig, lieber einmal zu laut als einmal zu leise. Nehmen Sie die Scham Ihres Kindes ernst – alles Entwürdigende und Bloßstellende sollte tabu sein. Ihr Kind schwänzt hin und wieder eine Schulstunde? Geben Sie sich einen Ruck und lassen Sie ihm seinen Willen, denn niemand sollte jahrelang ohne jede Ausnahme ständig seine Pflicht erfüllen müssen. Es ist diese Mischung aus Altersweisheit und sanfter Anarchie, die das "Alphabet der Kindheit" so klug und so liebenswert macht – ein Buch, das gewiss mit jedem Lesen schöner wird.

Helge-Ulrike Hyams: "Das Alphabet der Kindheit – Von A wie Atmen bis Z wie Zaubern"
Berenberg Verlag, Berlin 2017
448 Seiten, gebunden, 29,00 Euro

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