Helge Malchow: Geistige Arbeit hat ihren Preis

Moderation: Stephan Karkowsky · 29.04.2008
Im Kampf gegen Raubkopien und illegale Downloads hofft der Verleger Helge Malchow auf einen Sinneswandel. Die Meinung sei weit verbreitet, dass alle Informationen frei zugänglich sein sollten. Dass aber hinter Büchern wie Frank Schätzings "Der Schwarm" ein "enormer Aufwand von künstlerischer Arbeit" stehe, und diese Arbeit auch einen Preis habe, werde allzu oft vergessen.
Stephan Karkowsky: Rund 200 prominente Deutsche Künstler und Verleger haben die Bundeskanzlerin aufgefordert: Machen Sie den Kampf gegen Raubkopien zur Chefsache! Das hat Angela Merkel nun getan: In ihrem jüngsten Videoblog verspricht die Kanzlerin:

"Ich kann dieses Ansinnen gut verstehen und werde versuchen, mich im nationalen und internationalen Rahmen besonders darum zu kümmern. Ich weiß, dass wir eine gesellschaftliche Diskussion brauchen, die deutlich macht: Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt!"

Karkowsky: Ich begrüße zu diesem Thema einen der Verleger, der diesen Dialog mit angestoßen hat, Helge Malchow vom Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. Guten Tag!

Helge Malchow: Guten Tag!

Karkowsky: Wer nur an illegale Musik-Downloads denkt beim Thema Raubkopien, wird sich jetzt vielleicht wundern, Herr Malchow, worunter denn Ihr Buchverlag leidet. Klären Sie uns auf!

Malchow: Ja, also ich habe zum Beispiel vorgestern einen Anruf bekommen von einem unserer wichtigsten und erfolgreichsten Autoren, Frank Schätzing, von dem Sie vielleicht das Buch "Der Schwarm" kennen oder andere, der mich darauf hinwies, dass über einen österreichischen Provider der gesamte Text seines Romans illegal ins Netz gestellt worden ist und von jedermann heruntergeladen werden kann.

Das ist eine Information, bei der man jetzt auf den ersten Blick sagen kann, gut, das ist ein Roman von fast 1000 Seiten, und niemand wird diesen Roman so gerne an seinem PC lesen, bei dem es dann flackert und die Auflösung nicht so besonders gut ist. Das liest man lieber in Form eines gedruckten Buches.

Aber Sie kennen auch die neuesten Entwicklungen in der Technologie. Es gibt neuerdings sogenannte E-Books, das heißt Endgeräte, bei denen man mittlerweile schon auf eine sehr angenehme Art und Weise über einen Bildschirm Texte zu sich nehmen kann, Texte lesen kann.

Auch das geschriebene Wort und das gedruckte Wort ist ja geschützt, rechtlich geschützt, urheberrechtlich geschützt, und zu Recht, denn hinter jedem Text, hinter einem Text von Frank Schätzing steht ein enormer Aufwand von künstlerischer Arbeit, der hier investiert worden ist über Jahre, um einen bestimmten Text zu produzieren. Und wie bei einem Nahrungsmittel, so gilt das auch für geistiges Eigentum. Der Preis spiegelt ja im Grunde genommen nichts anderes wider als die Arbeit, die investiert worden ist, um ein solches Produkt herzustellen. Und genauso, wie es verboten ist, in einem Supermarkt Bananen oder Wurststücke zu ...

Karkowsky: Zu klauen, sagen Sie es ruhig!

Malchow: ... zu klauen, genauso sollte es auch selbstverständlich sein, dass man geistiges Eigentum als Produkt geistiger Aktivitäten begreift, in einer Gesellschaft, die hauptsächlich oder nicht zuletzt auf geistiger Produktion basiert.

Karkowsky: Wie ist das denn mit den Hörbüchern? Erscheinen bei Ihnen nicht auch Namen wie Nick Hornby und Jürgen Becker auf CD?

Malchow: Nicht direkt bei uns, aber das läuft über sogenannte Nebenrechte, das heißt abgeleitete Rechte. Das Ursprungsrecht ist gewissermaßen der Text, der vom Autor schriftlich verfasst worden ist, von Nick Hornby in dem Fall, und dann lizenzieren wir - in unserem Fall, andere Verlage machen das auch im Selbstverfahren - lizenzieren wir an einen Hörbuchverlag, der auf Hörbücher spezialisiert ist, dieses Recht, der es dann verwerten darf in unserem Auftrag gewissermaßen und mit unserer Zustimmung.

Karkowsky: Und kriegen Sie da mal Rückmeldung, was illegale Downloads angeht?

Malchow: Ja, da ist natürlich die Situation mittlerweile brenzliger als das bei gedruckten Büchern bisher der Fall ist, denn ein Hörbuch ist ja im Prinzip von der, sagen wir mal vom Gegenstand der Ware her nicht anders zu betrachten als ein Musikstück. Das heißt, das, was im letzten entscheidenden Augenblick im Ohr des Hörers landet, bei dem ist es eigentlich egal, auf welchem Weg oder über welches Trägersystem es dorthin gelangt ist, das Ergebnis, ob Sie das als legal erworbene CD oder auf welchem Wege auch immer in Ihr Ohr transportieren, das Ergebnis im Ohr ist dasselbe.

Karkowsky: Nun gibt es ja auch viele, die sagen, das hat ja auch einen gewissen Werbeeffekt, dieses illegale Downloaden, weil ihre Künstler dadurch sehr viel mehr Verbreitung finden. Erhöht das nicht am Ende auch den Absatz der Bücher?

Malchow: Tja, also wenn ich mit den Autoren über dieses Thema spreche, dann sagen die zu Recht, das Ausmaß, in dem wir bereit sind, aus Werbegründen jemandem etwas zu schenken, möchten wir schon selbst bestimmen. Das kann ich gut nachvollziehen.

Karkowsky: Sie wissen ja, dass es auf der Musikseite zum Beispiel Bands wie R.E.M. gibt, die ihr neues Album komplett erst mal zum Download ins Internet gestellt haben.

Malchow: Na ja, ich denke mal, das sind Reaktionen jetzt auf eine Situation, die eingetreten ist und die eigentlich ja für die Musikindustrie oder für die urheberrechtliche Situation bereits verheerend ist. Ein Großteil der Musikindustrie ist zusammengebrochen. Das Konsumverhalten gegenüber Musik hat sich weltweit so fundamental verändert, dass den Bands mittlerweile ja gar keine andere Chance mehr sich stellt, als auf diesem Wege auf ihr neues Produkt aufmerksam zu machen.

Es haben sich ja da neue Entwicklungen ergeben, dass beispielsweise die Musikbands dann als Einnahmequelle jetzt wieder sehr viel stärker über Konzerte und über öffentliche Auftritte usw. sich vermarkten und die Tonträger selber als Quelle für die Bezahlung der geistigen Leistung geschrumpft sind. Aber das ist eigentlich ein Missstand, auf den jetzt nur noch reagiert wird. Aber man darf nicht davon absehen, dass es rechtlich gesehen ein dramatischer Missstand ist.

Karkowsky: Wir reden mit Helge Malchow, dem Verleger von Kiepenheuer & Witsch, über den Dialog deutscher Künstler mit der Bundeskanzlerin. Herr Malchow, Sie haben da mit anderen zusammen einen offenen Brief geschrieben an die Kanzlerin. Sie hat reagiert, sie sagt, ich helfe euch. Was für eine Hilfe erwarten Sie konkret, was muss passieren?

Malchow: Wir haben ja in diesem offenen Brief sogar schon angedeutet, dass es eine Reihe von Initiativen vor allen Dingen im Ausland gibt, frühzeitig gegenzusteuern. Im Bereich des, sagen wir mal, geistigen Eigentums, was das gedruckte Wort betrifft, da ist die Situation eher noch nicht so dramatisch wie im Musikgeschäft, sondern da bestehen noch die Chancen, die Strukturen, die wir haben und die richtig sind, zu erhalten.

Eine Idee ist, aus dieser Klemme herauszukommen, in der wir im Augenblick stehen. Wenn wir Zuwiderhandlungen beobachten, fällt es uns im Augenblick sehr schwer, wegen der sogenannten Geringfügigkeit von Rechtsverletzungen überhaupt diese Straftatbestände zu verfolgen, weil die Provider die Adressen nicht herausgeben, von denen aus dieses Unrecht begangen worden ist usw. Und wir wollen natürlich auch nicht die Menschen, die vielleicht aus Unüberlegtheit heraus sich so verhalten und illegal downloaden, illegalisieren.

Also es gibt in Frankreich und in England Ideen von freiwilligen Vereinbarungen zwischen den Rechteinhabern auf der einen Seite und den Providern auf der anderen Seite, bei denen dann Stellen geschaffen werden, bei denen man sich beschweren kann, bei denen sich die Rechtinhaber beschweren können, dass illegal Rechte genutzt worden sind. Und dann müsste dieser Provider sich gewissermaßen bereiterklären, gegen diese illegale Nutzung ermitteln, ohne dass der Verletzer deswegen darüber erfährt, um dann einen Warnhinweis loszuschicken ...

Karkowsky: Und nach drei Versuchen wird er dann vom Internet gesperrt, das ist das, was ich lesen konnte.

Malchow: Ja, da gibt es dann verschiedene Stufen. Aber die wichtige Information ist, dass bereits 70 Prozent des Missbrauchs aufhört beim ersten Warnhinweis. Weil dann einfach ein Bewusstsein dafür existiert oder entsteht, dass da eine Handlung vollzogen worden ist, die rechtlich nicht in Ordnung ist. Und das ist, glaube ich, das Entscheidende.

Also wir leben im Augenblick in einer Situation, was die Informationsgesellschaft betrifft, wo permanent behauptet wird, dass der freie Zugang zu Informationen gewissermaßen ein freies demokratisches Recht sein müsste für jedermann, an jedem Ort und zu jeder Zeit auf alle Informationen zugreifen zu können. Und gegen diese Einstellung muss man deswegen einschreiten und immer wieder das Wort erheben, weil hinter den geistigen Leistungen, die dort zugänglich gemacht werden sollen, ja konkrete Arbeit steht von Menschen, die diese Produkte erzeugt haben. Und das Bewusstsein dafür, dass ein geistiges Produkt das Ergebnis von Arbeit ist genauso wie ein materielles Produkt, das ist im Augenblick gesellschaftlich unterentwickelt.

Karkowsky: Und daran arbeiten Sie mit Ihrem Aufruf, und da verspricht die Kanzlerin Hilfe in ihrem jüngsten Video-Blog auf den offenen Brief von 200 Künstlern an die Kanzlerin mit der Bitte um Schutz, bei der Hilfe zum Schutz des geistigen Eigentums. Das war Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch, einer der Unterzeichner dieses Briefes.