Ukraine-Flüchtlinge

"Dehydriert und völlig unterkühlt"

06:10 Minuten
Ukrainische Flüchtlinge warten mit Decken an der polnischen Grenze auf ihre Einreise.
Zehntausende ukrainische Frauen und Kinder warten an der Grenze zu Polen. Die Männer müssen im Kriegsgebiet bleiben. © picture alliance / abaca / Laine Nathan
Serkan Eren im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 01.03.2022
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Hundertausende Menschen sind auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine. Stundenlang warten sie an der Grenze in der Kälte, vor allem Frauen und Kinder. Die Lage vor Ort sei katastrophal, berichtet Serkan Eren von der Hilfsorganisation Stelp.
Seit sechs Tagen fallen russische Bomben nun schon auf die Ukraine. Hundertausende haben sich deshalb auf den Weg gemacht, um das Land zu verlassen. Die Lage hinter den Grenzübergängen sei erschreckend, erzählt Serkan Eren von der Stuttgarter Hilfsorganisation Stelp, die zwei LKW mit Hilfsgütern in die Region gebracht hat.

Zehntausende warten an den Grenzen

An der Grenze hätten sich ihm katastrophale Bilder geboten, berichtet Eren. In der Vergangenheit sei er schon in Afghanistan und im Libanon gewesen und habe daher bereits einiges erlebt. "Aber diese Bilder waren ein Level, das man nicht jeden Tag erlebt. Wir haben Zehntausende Frauen und Kinder gesehen." Die meisten seien bereits zwei, drei Tage unterwegs gewesen.
"Wenn sie weiter aus dem Osten gekommen sind, war die Flucht noch wesentlich schlimmer." Die Erlebnisse und die Flucht hätten den Frauen und Kindern schwer zugesetzt, so Eren: "Dehydrierte Menschen, völlig unterkühlte Menschen."

Unfassbare Dankbarkeit für jede Hilfe

Jeder, dem er und seine Helfer Essen oder Medikamente gegeben haben, sei "unfassbar dankbar" gewesen, so der Gründer der Hilfsorganisation, die momentan in der Stadt Lwiw unterwegs ist. Wenn man für die Menschen einkaufe, klopften sie einem 15 bis 20 Mal in der Stunde auf die Schulter und bedankten sich. "Es ist eine Wärme und eine Dankbarkeit hier zu spüren, in dieser unfassbar schwierigen und komplizierten Situation: Man kann es sich gar nicht vorstellen."

Viele sind am Limit

Gleichzeitig sei die Stimmung in der Stadt sehr dünnhäutig, erzählt Eren. Wenn man mit dem Wagen kurz anhalte, um sich zu orientieren, könne man schnell als russischer Agent verdächtigt werden. "Alle sind sehr nervös." In dem Hotel, in dem er und seine Helfer sich aufgehalten hätten, habe man hinter jeder Tür jemanden weinen gehört.
"Die Menschen, den man begegnet, haben alle extreme Augenringe, sind übermüdet, haben lange nichts gegessen. So geht es der ganzen Stadt. Viele sind am Limit angekommen."
(ckü)
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