"Es geht darum, diesen Schock zu überwinden"
09:21 Minuten
Vor allem Frauen erleben regelmäßig unangenehme Berührungen oder werden mit sexistischen Kommentaren konfrontiert. In Berlin gibt es einen Workshop, der ihnen dabei hilft, mit übergriffigem Verhalten umzugehen.
Martin Böttcher: "Argumentationstraining gegen Sexismus" – so heißt der Workshop, bei dem du in Berlin warst. Das klingt natürlich sehr schön akademisch und sperrig, soll Frauen aber dabei helfen sich, gegen Alltagsexismus zu wehren. Wie lässt sich dieses Training beschreiben?
Helene Nikita Schreiner: Jeder der schon mal an einer Teambuildingmaßnahme von der Arbeit war, oder bei einem Lesezirkel, kennt ihn: den Stuhlkreis. Der war auch für das Argumentationstraining gegen Alltagssexismus obligatorisch. Und so saß ich dann auf einem Klappstuhl mit 20 weiteren Frauen in Berlin-Neukölln, einem Bezirk in dem ganz schön viel toxische Männlichkeit in der Luft schwebt.
Und wie das bei einem Stuhlkreis so ist, da stellt sich jeder am Anfang vor. Bei uns hat jede Frau über eine sexistische Erfahrung gesprochen, die sie gemacht hat. Ich hab zum Beispiel erzählt, dass mir neulich ein Freund bei einer hitzigen Diskussion beruhigend die Schulter getätschelt hat und meinte, ich solle doch bitte nicht so hysterisch sein.
Alle Erlebnisse zu hören in dieser Häufung, tat ganz schön weh, weil wir alle ähnliche oder genau die gleichen Situationen schon mal erlebt haben. Am Ende dieser Runde war, glaube ich, jede Frau im Raum etwas mitgenommen.
Helene Nikita Schreiner: Jeder der schon mal an einer Teambuildingmaßnahme von der Arbeit war, oder bei einem Lesezirkel, kennt ihn: den Stuhlkreis. Der war auch für das Argumentationstraining gegen Alltagssexismus obligatorisch. Und so saß ich dann auf einem Klappstuhl mit 20 weiteren Frauen in Berlin-Neukölln, einem Bezirk in dem ganz schön viel toxische Männlichkeit in der Luft schwebt.
Und wie das bei einem Stuhlkreis so ist, da stellt sich jeder am Anfang vor. Bei uns hat jede Frau über eine sexistische Erfahrung gesprochen, die sie gemacht hat. Ich hab zum Beispiel erzählt, dass mir neulich ein Freund bei einer hitzigen Diskussion beruhigend die Schulter getätschelt hat und meinte, ich solle doch bitte nicht so hysterisch sein.
Alle Erlebnisse zu hören in dieser Häufung, tat ganz schön weh, weil wir alle ähnliche oder genau die gleichen Situationen schon mal erlebt haben. Am Ende dieser Runde war, glaube ich, jede Frau im Raum etwas mitgenommen.
"Der Kurs war übrigens offen für Männer"
Böttcher: Ich stelle mir das schwierig vor, zu lernen, mit sexistischen Übergriffen umzugehen und sich auch noch dagegen zu wehren – quasi im Schockzustand. Und andererseits liegt die Verantwortung für sexistisches Verhalten nicht bei den Frauen. Sollten nicht eher Männer zu Workshops gehen, in denen sie ihr eigenes sexistisches Verhalten reflektieren und ablegen?
Schreiner: Klar, da bin ich absolut bei dir! Wir können es nicht schönreden: Wenn man eine fremde Hand am Bein oder Po spürt, ist das schrecklich und der Schock ist definitiv da. Aber es geht eben genau darum, diesen Schock zu überwinden und ganz deutlich zu machen: Hier wird eine Grenze überschritten und mein Körper ist kein öffentliches Gut. Der Kurs war übrigens offen für Männer, es hat sich allerdings kein Mann angemeldet. Scheint also bisher noch eine Utopie zu sein, dass Männer sich ganz spezifisch mit ihrem eigenen Sexismus auseinandersetzen – egal wie stark oder schwach der ausgeprägt ist.
Böttcher: Und weil die Männer nicht bereit sind, an sich zu arbeiten, muss es also für die Frauen heißen: Selbstverteidigung.
Schreiner: Genau, aber eben nicht körperlich, sondern argumentativ, denn es war ja schließlich ein Argumentationstraining. Ich hab mich am Anfang des Workshops mit Elena und Terra unterhalten, die hatten verschiedene Gründe zu dem Workshop zu kommen.
Elena, 30 aus Neukölln: "Ich bin gekommen, weil ich ziemlich oft in Situationen komme, in denen ich mit Sexismus konfrontiert bin. Das ist oft relativ subtil. Das geht dann alles immer, immer so schnell, dass ich perplex zurückbleibe. Im Nachhinein fallen mir dann gute Argumente ein, aber in der Situation kann ich nicht so reagieren, wie ich möchte. Ich erhoffe mir, dass ich lerne, wie ich schnell reagieren kann."
Terra, 26 aus Schöneberg: "Eigentlich wollte ich nie zu so einem Training gehen, das ist wie zu einem Selbstverteidigungskurs zu gehen. Da denkt man dann: Jetzt bin ich total gewappnet. Aber in der Situation selbst verteidigt man sich eben doch intuitiv und nicht nach irgendwelchen Schritten. Ich glaube, es ist wichtig, einen Safe Space zu haben und zu merken, dass man nicht alleine ist. Wir haben alle ähnliche Erfahrungen gemacht. Es ist kein individuelles Problem ist, sondern, dass man sich solidarisieren, austauschen und bestärken kann…"
Schreiner: Klar, da bin ich absolut bei dir! Wir können es nicht schönreden: Wenn man eine fremde Hand am Bein oder Po spürt, ist das schrecklich und der Schock ist definitiv da. Aber es geht eben genau darum, diesen Schock zu überwinden und ganz deutlich zu machen: Hier wird eine Grenze überschritten und mein Körper ist kein öffentliches Gut. Der Kurs war übrigens offen für Männer, es hat sich allerdings kein Mann angemeldet. Scheint also bisher noch eine Utopie zu sein, dass Männer sich ganz spezifisch mit ihrem eigenen Sexismus auseinandersetzen – egal wie stark oder schwach der ausgeprägt ist.
Böttcher: Und weil die Männer nicht bereit sind, an sich zu arbeiten, muss es also für die Frauen heißen: Selbstverteidigung.
Schreiner: Genau, aber eben nicht körperlich, sondern argumentativ, denn es war ja schließlich ein Argumentationstraining. Ich hab mich am Anfang des Workshops mit Elena und Terra unterhalten, die hatten verschiedene Gründe zu dem Workshop zu kommen.
Elena, 30 aus Neukölln: "Ich bin gekommen, weil ich ziemlich oft in Situationen komme, in denen ich mit Sexismus konfrontiert bin. Das ist oft relativ subtil. Das geht dann alles immer, immer so schnell, dass ich perplex zurückbleibe. Im Nachhinein fallen mir dann gute Argumente ein, aber in der Situation kann ich nicht so reagieren, wie ich möchte. Ich erhoffe mir, dass ich lerne, wie ich schnell reagieren kann."
Terra, 26 aus Schöneberg: "Eigentlich wollte ich nie zu so einem Training gehen, das ist wie zu einem Selbstverteidigungskurs zu gehen. Da denkt man dann: Jetzt bin ich total gewappnet. Aber in der Situation selbst verteidigt man sich eben doch intuitiv und nicht nach irgendwelchen Schritten. Ich glaube, es ist wichtig, einen Safe Space zu haben und zu merken, dass man nicht alleine ist. Wir haben alle ähnliche Erfahrungen gemacht. Es ist kein individuelles Problem ist, sondern, dass man sich solidarisieren, austauschen und bestärken kann…"
"Viele Frauen haben schon die gleichen Erfahrungen gemacht"
Schreiner: Durch den Austausch, den wir im Workshop miteinander hatten, wurden unsere Blicke auf uns selbst und auch unsere Umwelt geschärft. Sich mit den anderen Teilnehmerinnen auszutauschen, zeigt, dass man mit solchen Erfahrungen nicht allein ist, dass viele Frauen schon die gleichen Erfahrungen gemacht haben und die vielen Gefühle, die man in so einer Situation durchlebt, nachvollziehen können. Das schafft ein großes, kollektives Selbstbewusstsein und das ist sehr empowernd.
Böttcher: Das heißt, es ist jetzt nicht wie in so einem Selbstverteidigungskurs, wo man bestimmte Schritte und Schläge lernt, sondern man tauscht sich eher aus?
Schreiner: Erstmal ist es viel Erfahrungsaustausch und auch Austausch darüber, welche Reaktionen gut oder nicht gut geklappt haben, womit man sich in der jeweiligen Situation wohl gefühlt hat und womit nicht. Wir hatten dann auch einen kurzen Input zu den verschiedenen Formen von Sexismus. Mit diesem neuen Wissen sind wir alle dann in eine kleine Übung gegangen – das Forumtheater, eine Art Rollenspiel.
Böttcher: Das heißt, es ist jetzt nicht wie in so einem Selbstverteidigungskurs, wo man bestimmte Schritte und Schläge lernt, sondern man tauscht sich eher aus?
Schreiner: Erstmal ist es viel Erfahrungsaustausch und auch Austausch darüber, welche Reaktionen gut oder nicht gut geklappt haben, womit man sich in der jeweiligen Situation wohl gefühlt hat und womit nicht. Wir hatten dann auch einen kurzen Input zu den verschiedenen Formen von Sexismus. Mit diesem neuen Wissen sind wir alle dann in eine kleine Übung gegangen – das Forumtheater, eine Art Rollenspiel.
Meine Gruppe hat sich dafür entschieden, eine Szene von der Arbeit nachzustellen: Schmieriger Chef macht sich an die neue, junge Kollegin ran und die übrigen Kollegen finden es nicht weiter schlimm, sondern lästern sogar noch über die Kollegin. Im Forumtheater läuft es dann so: Eine Gruppe führt ihre Szene auf und jede Person kann durch ein lautes Klatschen in die Szene eingreifen und eine Person in der Szene ersetzen, um so die vorgeführte Geschichte zu verändern. Das Ziel war natürlich: Die neue Kollegin vor dem schmierigen Chef zu retten.
Die Übung soll natürlich zeigen: Ey, allein durch eine kleine Veränderung der Situation, dadurch dass DU einschreitest, kann sich was ändern, also sei solidarisch mit den Betroffenen von sexueller Belästigung!
Die Übung soll natürlich zeigen: Ey, allein durch eine kleine Veränderung der Situation, dadurch dass DU einschreitest, kann sich was ändern, also sei solidarisch mit den Betroffenen von sexueller Belästigung!
"Das Fehlverhalten konkret benennen"
Böttcher: Also kann man sich merken: Als außenstehende Person ist es wichtig, Courage zu zeigen und in solche Situationen einzuschreiten. Aber was sind denn konkrete Tipps, um sich gegen sexistische Sprüche oder Übergriffe zu wehren?
Schreiner: Eigentlich ist alles okay, solang ich mich dabei gut fühle. Es kommt immer ein bisschen darauf an, was die betroffene Frau sich in der Situation wünscht. Und natürlich auch darauf, was sie sich traut. Wenn ich also in einer unangenehmen Situation bin, dann frage ich mich erstmal: Was will ich jetzt? Wenn man sich für die Konfrontation entschieden hat, dann gibt es verschiedene Optionen: Die Person laut ansprechen und das Fehlverhalten konkret benennen, als Betroffene kann man auch Hilfe von Menschen, die die Situation miterleben, einfordern.
Böttcher: Auf jeden Fall gut, das einzuüben! Hat dir das denn etwas gebracht?
Schreiner: Zwei Tipps, die ich auch noch hilfreich, und auch ein bisschen witzig fand, war einmal die "Paradoxe Intervention" – das kann helfen beim sogenannten Catcalling, also wenn dir jemand hinterher pfeift oder was anzügliches zuruft. Die Paradoxe Intervention wäre dann mit der aufgezwungenen sexualisierten Rolle zu brechen, indem man auf den Boden rotzt oder sich am Po kratzt, eben irgendwas macht, was überhaupt nicht "sexy" ist.
Der zweite Tipp ist das Aufzeigen von Handlungsalternativen, das könnte zum Beispiel helfen, wenn dich jemand immer "Süße" oder "Mausi" nennt – die Person kann man dann freundlich darauf hinweisen, dass sie auch einfach einen beim Vornamen nennen soll. Durch Tipps wie diese fühlten sich auch die Teilnehmerinnen Elena und Terra am Ende des Workshops gewappnet um besser reagieren können.
Elena: "Ich fand den Austausch mit den Frauen toll. Das hat mich wirklich sehr bestärkt. Ich habe das Gefühl, dass wir alle an einem Strang ziehen und das ist sehr schön."
Schreiner: Eigentlich ist alles okay, solang ich mich dabei gut fühle. Es kommt immer ein bisschen darauf an, was die betroffene Frau sich in der Situation wünscht. Und natürlich auch darauf, was sie sich traut. Wenn ich also in einer unangenehmen Situation bin, dann frage ich mich erstmal: Was will ich jetzt? Wenn man sich für die Konfrontation entschieden hat, dann gibt es verschiedene Optionen: Die Person laut ansprechen und das Fehlverhalten konkret benennen, als Betroffene kann man auch Hilfe von Menschen, die die Situation miterleben, einfordern.
Böttcher: Auf jeden Fall gut, das einzuüben! Hat dir das denn etwas gebracht?
Schreiner: Zwei Tipps, die ich auch noch hilfreich, und auch ein bisschen witzig fand, war einmal die "Paradoxe Intervention" – das kann helfen beim sogenannten Catcalling, also wenn dir jemand hinterher pfeift oder was anzügliches zuruft. Die Paradoxe Intervention wäre dann mit der aufgezwungenen sexualisierten Rolle zu brechen, indem man auf den Boden rotzt oder sich am Po kratzt, eben irgendwas macht, was überhaupt nicht "sexy" ist.
Der zweite Tipp ist das Aufzeigen von Handlungsalternativen, das könnte zum Beispiel helfen, wenn dich jemand immer "Süße" oder "Mausi" nennt – die Person kann man dann freundlich darauf hinweisen, dass sie auch einfach einen beim Vornamen nennen soll. Durch Tipps wie diese fühlten sich auch die Teilnehmerinnen Elena und Terra am Ende des Workshops gewappnet um besser reagieren können.
Elena: "Ich fand den Austausch mit den Frauen toll. Das hat mich wirklich sehr bestärkt. Ich habe das Gefühl, dass wir alle an einem Strang ziehen und das ist sehr schön."
Terra: "Das klingt so ein bisschen wie Youtube – die zehn heißen Tipps gegen Sexismus! Wie haben das gerade besprochen: Es ist situationsabhängig und auch abhängig vom Charakter der Person. Deshalb kann man keine Pauschalantwort geben. Das ist generell auch das Grundproblem. Sexismus klingt so pauschal, aber wir haben heute gesehen, dass es ganz viele Facetten hat. Deswegen gibt es leider kein Rezept dagegen…"
"Jede Situation ist individuell"
Schreiner: Genau, das muss man wirklich noch mal deutlich machen. Jede Situation ist individuell und nur weil man sich ein bisschen vorbereitet hat, heißt das leider nicht, dass einen sexistische Übergriffe nicht mehr aus der Bahn werfen werden.
Böttcher: Um diesen Schock zu überwinden, bietet der Jugendverband "Naturfreundejugend" ein Argumentationstraining gegen Sexismus an, ein Workshop in dem Frauen lernen, sich gegen Alltagssexismus, sexistische Sprüche und sexuelle Belästigung zu wehren. An den Workshops dürfen übrigens nicht nur Frauen teilnehmen, sondern auch Männer. Wenn man als Mann also denkt: Verhalte ich mich vielleicht unbewusst sexistisch und wie kann ich das ändern?, kann man sich gerne anmelden. Wann genau der nächste Workshop stattfindet ist noch nicht klar, aber auf der Website der "Naturfreundejugend" wird es dazu bald Informationen geben.
Böttcher: Um diesen Schock zu überwinden, bietet der Jugendverband "Naturfreundejugend" ein Argumentationstraining gegen Sexismus an, ein Workshop in dem Frauen lernen, sich gegen Alltagssexismus, sexistische Sprüche und sexuelle Belästigung zu wehren. An den Workshops dürfen übrigens nicht nur Frauen teilnehmen, sondern auch Männer. Wenn man als Mann also denkt: Verhalte ich mich vielleicht unbewusst sexistisch und wie kann ich das ändern?, kann man sich gerne anmelden. Wann genau der nächste Workshop stattfindet ist noch nicht klar, aber auf der Website der "Naturfreundejugend" wird es dazu bald Informationen geben.