Helen Oyeyemi: "Was du nicht hast, das brauchst du nicht"

Geschichten wie kleine Traummaschinen

Cover von Helen Oyeyemis Buch "Was du nicht hast, das brauchst du nicht". Im Hintergrund ist ein exotischer Garten zu sehen.
Oyeyemis Personal ist so schrill, so schräg und bunt, als stammte es aus der Schwarzen Romantik, als wäre es von E.T.A. Hoffmann erfunden. © Unsplash / Florian Giorgio
Von Edelgard Abenstein · 03.01.2019
Eine überbordende Fantasie zeichnen die Geschichten von Helen Oyeyemi aus. Auch in ihrem Erzählungsband "Was du nicht hast, das brauchst du nicht" passieren sonderbare Dinge zwischen Komik und Magie. Die Wirklichkeit wird zum schwankenden Boden.
Helen Oyeyemi ist 1984 in Nigeria geboren und im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern nach London gekommen, wo sie aufgewachsen ist. Was es heißt, anders zu sein, darüber schrieb sie in ihrem Erstling "Das Ikarus-Mädchen". Damals war sie 19 Jahre alt, das Buch wurde in 14 Sprachen übersetzt, ihre seither entstandenen vier Romane wurden mehrfach preisgekrönt.
Oyeyemis Markenzeichen sind groteske Geschichten, angesiedelt irgendwo in einem fernen Märchenland, das bis direkt vor die Haustür reicht, zu Whatsapps und Talentshows. Auch in ihrem Erzählungsband "Was du nicht hast, das brauchst du nicht" passieren sonderbare Dinge zwischen Komik und Magie. Es geht um Liebe, Liebesprüfungen und immer wieder um den Wandel der Identität.

Zwei Liebende suchen nach dem schönsten Geschenk

Da treten zwei Liebende im permanenten Wettbewerb gegeneinander an, auf der Suche nach dem schönsten, kostbarsten und unvergesslichsten Geschenk. Ein geheimer Garten, zu dem keiner Zugang hat, eine verborgene Bibliothek, von deren Existenz niemand weiß. Da breiten sich giftgrüne Nebel aus, um in einem Aquarium den totalen Krieg anzuzetteln.
Besorgte Gespenster treffen auf fleißige Doktoranden. In einer Klinik werden nach "Schweizer Vorbild" Klienten medikamentös in Tiefschlaf versetzt, um träumend abzunehmen. Büroangestellte tragen während der Arbeit Handschuhe, um verräterische Spuren zu vermeiden. Ein Paar, kurz vor der Trennung, halluziniert sich einen Sohn, den es nie hatte.
Alles ist im Fluss, die erzählte Wirklichkeit ein schwankender Boden. Mit überbordender Fantasie verwandelt die Autorin Helden in Diebe, junge Väter sterben im nächsten Moment als alte Männer, Schönheit ist ein verderbliches Gut, wenn sie nicht überhaupt nur eine Grille ist.
Weinerliche Tyrannen, verliebte junge Männer, ein schwarzes Findelkind, durchgeknallte weibliche Popfans, Schluffis. Zirkusdarsteller, Puppen und Puppenspieler und eine Katze namens Kleinzach – Oyeyemis Personal ist so schrill, so schräg und bunt, als stammte es aus der Schwarzen Romantik, als wäre es von E.T.A. Hoffmann erfunden.

Manchmal geht die Ideenflut mit Oyeyemi durch

Der Begriff des Magischen Realismus fällt einem ein, wenn die unglaublichen Stränge der Handlung wie selbstverständlich mit der Schilderung eines männlich dominierten Cambridge geerdet werden, um eine dritte Realität zu bilden. So erscheinen die weiblichen Hauptfiguren in einer der besten Erzählungen einerseits wie Ufos, die aus einer fernen Welt mitten im akademischen Betrieb von 1949 gelandet sind – andererseits aber wie ein frecher selbstbewusster Teil aus der Zukunft.
Manchmal geht die Ideenflut mit der Autorin durch, nicht jede der zehn Geschichten überzeugt, manche zerfasern. Auch das Switchen zwischen den Identitäten gelingt nicht immer. Erzählerisch knirscht das schon mal – wenn sich das Personalpronomen, von keiner Handlung begründet, von "er" zu "sie" wandelt (und umgekehrt).
Oyeyemis Geschichten sind leicht und präzise formuliert: kleine Traummaschinen, die denjenigen, die sich auf sie einlassen, einiges mitgeben. Wie jede gute Literatur.

Helen Oyeyemi: Was du nicht hast, das brauchst du nicht
Aus dem Englischen von Zoë Beck
Culturbooks Verlag, Hamburg 2018
288 Seiten, 20 Euro

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