Heldengeschichten

Rezensiert von Adelheid Wedel · 30.05.2006
Der Schriftsteller James Krüss, der am 31. Mai 80 Jahre alt geworden wäre, wurde vor allem durch sein Buch "Timm Thaler oder das verkaufte Lachen" bekannt. Doch es ist nur eines von insgesamt 160 Büchern, die Krüss der Nachwelt hinterlassen hat. Mit dem Buch "Mein Urgroßvater, die Helden und ich" schaffte Krüss den Durchbruch. Nun hat der Verlag Kein & Abel diese Geschichtensammlung zum runden Geburtstag als Hörbuch produziert.
James Krüss gehört zu der seltenen Gruppe von Schriftstellern, die für klein und groß, für jung und alt gleichermaßen schreiben. Das kommt daher, dass seine Kinderbücher immer so viel Weisheit in sich tragen, dass sie auch von Erwachsenen mit Genuss gelesen werden. Und so lädt das Hörbuch "Mein Urgroßvater, die Helden und ich" zum gemeinsamen Hören ein. Die ganze Familie kann sich dabei versammeln, von den Großeltern bis zu den Enkeln, ja sogar von den Urgroßeltern bis zu den Urenkeln. Und genau jene Personen machte James Krüss zu den Protagonisten dieses Buches und zu dessen Helden.

"Der große Boy war niemand anderes als mein Urgroßvater. Der kleine Boy war ich. Wir wurden nämlich beide mit Boy angeredet."

Diese beiden verkriechen sich auf dem Dachboden und denken sich Geschichten aus: sehr verschiedene Heldengeschichten über sehr unterschiedliche Helden und stellen fest, dass man über Helden verschiedener Meinung sein kann.

"Mein Urgroßvater sagte, er habe Helden, die sich zu einer Tat erst überwinden müssten, besonders gern. Sie packen das, was sie tun, eine bittere, aber notwendige Aufgabe an, meint er."

Als Zuhörer nehmen wir daran teil, wie die Geschichten entstehen, wie sich die beiden diese einander erzählen und wie sie die Helden abschließend beurteilen:

"Eines steht jedenfalls fest, sagte mein Urgroßvater schließlich: Nicht jeder, dem man ein Denkmal erreichtet, ist ein Held. Und nicht jeder, der ein Held ist, bekommt ein Denkmal."

Von Salonhelden wird berichtet, von einem Eisbären, der sich von einem Tintenfisch einen Frack aufs Fell malen lässt, damit er zur Pinguinparty gehen kann, von Helden, die all ihren Mut zusammen nehmen, um ihre richtige Entscheidung zu verteidigen. Alles wird in leichtem Ton erzählt, die Sprache ist unkompliziert. Manchmal mischen sich Verse unter die Prosa. Ansteckend ist die Lust, mit der die beiden Boys ihr Erzähltalent erproben.

So muss dieses Buch wohl auch auf Wiglaf Droste gewirkt haben, der als Vorleser zu hören ist. Er liest diese ihm sehr vertrauten Geschichten, kennt er sie doch aus seinen Kindertagen. Die gelegentlich geringe Einfärbung in den nordischen Dialekt lässt die Landschaft aufscheinen, in der die Hummer-, Eisbären- und Seefahrergeschichten spielen. Im Booklet schwärmt Wiglaf Droste: " Das ist ein Buch über Großherzigkeit und Mut, über wahres und falsches Heldentum, über Klugheit, List und Zivilcourage. Es ist, ohne den Leser mit der Drangsal dogmatischer Rechthaberei zu langweilen, ein politisches Buch. Krüss schrieb für Leser, die nicht aufhören wollen zu lernen. Er setzte auf Naivität im eigentlichen Sinn dieses Wortes – auf Natürlichkeit und Unschuld. Einfältig war er deshalb kein bisschen." Man kann Wiglaf Droste zustimmen, dass es zwanglos und fröhlich zugeht in diesen Geschichten wie selten in der deutschen Literatur.

Am Wochenende wird er bei der Geburtstagsfeier für James Krüss auf Helgoland dabei sein. Die Insel widmet ihrem Dichter ein Museum, das in diesem Jahr eingeweiht werden soll. Zwei nachgebaute Hummerbuden werden dann auch Kinder und Illustratoren zu Workshops einladen. Die ansteckende Wirkung von Krüss, Geschichten zu erfinden und zu erzählen, bleibt nicht geografisch begrenzt. In Berlin feiert die Literaturwerkstatt zusammen mit "Lesart" und vielen Kindern am 1. Juni in der Kulturbrauerei einen "Tag mit James Krüss". Als literarische Vorlage für diesen Tag dient "Mein Urgroßvater, die Helden und ich". Erbsensuppe aus der Gulaschkanone, Rosinenbrot und Apfelschorle werden zur Feier gehören, denn so sagen die Veranstalter, für James Krüss "war Dichten auch ein kulinarisches Erlebnis". In seinem Buch erklärt Krüss:

"Auf kleinen Inseln mit wenig Auslauf, da muss man sich die Zeit vertreiben, da kommt man von selber ins Geschichten erzählen."

Seine Insel hat Krüss zum Erzählen gebracht. Und nun, zu seinem 80. Geburtstag, verwandelt er mitten in Berlin einen Ort in eine Insel, eine Erzählinsel für Kinder. Es ist, als würde sich sein Vermächtnis erfüllen:

"Eigentlich lebe ich ja noch eine ganze Weile über meinen Tod hinaus. Nicht unbedingt in dieser Hose und diesen wollenen Socken und schwarzen Schuhen. Aber als Figur in Dir und in den Büchern. In welchen Büchern, fragte ich erstaunt. In deinen Büchern, Boy. Das Lächeln wurde immer weiter wie eine Lampe, die heller wird. ... Mein bisschen Weisheit ist gut aufgehoben. Und du wirst nie mehr falsche Helden loben."

James Krüss: Mein Urgroßvater, die Helden und ich
Gelesen von Wiglaf Droste
Erschienen bei Kein &Aber Records,
2 CDs mit Booklet, Spieldauer 102 Minuten
19,90 Euro