Helden um jeden Preis - Welchen Spitzensport wollen wir?

14.07.2007
Hat er oder hat er nicht? Diese Frage geht wohl jedem Zuschauer der "Tour de France" durch den Kopf. Das Thema Doping überschattet jeden Etappensieg, stellt jede Höchstleistung infrage. Sorgt aber vielleicht auch dafür, dass um der Skandale willen genauer hingesehen wird.
"Doping ist der Treibstoff der Tour", sagt der Sportjournalist Thomas Kistner, das Spritzen und Schlucken von zig Substanzen gehöre zur Tour wie das Auftanken zur "Formel 1". Der Radsport sei aber nur die Spitze des Eisbergs: Ob in der Leichtathletik, im Skisport, beim Schwimmen oder im Fußball – kaum ein Profisportler könne es sich noch leisten, auf Doping zu verzichten, so der Sportredakteur der "Süddeutschen Zeitung".

"Deutschland war und ist ein Hochdopingland, da träumen andere Länder von." Das Belügen der Zuschauer sei zur Routine geworden – mit fatalen Folgen für das Image des Spitzensports, "Beim Sport werden viele Botschaften transportiert, alles, was sozusagen den ´edlen Menschen` ausmacht. Sportler, die dopen, betrügen ja nicht nur ihre Kollegen. Sie betrügen ihre Fans, besonders die jungen Fans."

Thomas Kistner, der mehrere Bücher über die kriminellen Machenschaften im Profisport geschrieben hat, sieht die Verantwortung aber auch selbstkritisch im Feld der Medien, ein "quotengeiles Fernsehen und eine kritiklose Sportpresse verbreiten Triumphgeschichten, hinter denen ein Abgrund an Kriminalität gähnt."

Doping sei längst zum "Systemzwang" geworden. "Wenn ich Senderechte kaufe und jemandem wie Ullrich 200.000 Euro für die Interviewrechte zahle, dann muss die Tour erfolgreich werden! Das ist meilenweit von journalistischem Ethos entfernt, was da passiert. Dazu kommt diese Sportkameradschaft, die Duzmaschinerie in allen Bereichen, das ist endemisch und nicht die Ausnahme. Es gibt auch keine interne Wächterposition."

Auch Prof. Dr. Gunter Gebauer sieht beim Doping im Spitzensport einen undurchdringbaren Filz von ökonomischen Interessen und der Gier nach Rekorden, nach dem Übermenschlichen. "Im Sport herrscht ein System der Kumpanei und Seilschaften, das längst auch die Politik erreicht hat." Der Philosoph und Sportwissenschaftler von der Freien Universität Berlin beschäftigt sich seit langem mit dem Heldenmythos im Sport. Seine Einschätzung: Es geht nicht mehr um Ästhetik, um Technik, sondern nur noch um Bestzeiten. Nur, wer eine Medaille gewonnen habe, stehe in der Zeitung. Dass dabei Doping geradezu im Spiel sein musste, sei zu lange stillschweigend in Kauf genommen worden. Als Konsequenz aus den Dopingvorwürfen forderte er im Jahr 2006 die Abschaffung der Tour de France.

Seine Mahnung: "Ein Sport, der nur noch Robotersport ist, verrät seine Ursprünge. Er wird nicht überleben. Nehmen Sie das Beispiel Leichtathletik: Dafür interessiert sich kaum noch jemand. Früher vermittelten die Athleten Freude am Laufen, am Springen. Das Interesse an Rekorden hat das alles verdrängt. Der 100-Meter-Lauf wurde dadurch ruiniert."

Gunter Gebauer, der anlässlich der Fußball-WM 2006 eine viel beachtete "Poetik des Fußballes" verfasst hat, appelliert an die Medien, aber auch an die Zuschauer und Fans, einen ´sauberen Sport` zu fordern: "Sie sollten sich wieder mit Höchstleistungen zufrieden geben, die durch Training und nicht durch Spritzen ermöglicht werden. Und wieder ein Auge für die Schönheit des Sports bekommen. Heute schreibt doch keiner mehr, dass ein Sprinter schön gelaufen ist, über seine Lauftechnik. Sondern es geht darum, dass er ein Hundertstel unter dem Rekord gelaufen ist. Aber das sehen wir als Zuschauer gar nicht!"

"Helden um jeden Preis – Welchen Spitzensport wollen wir?" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr mit dem Sportjournalisten Thomas Kistner und dem Philosophen Gunter Gebauer, in der Sendung "Radiofeuilleton – Im Gespräch". Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/2254-2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Literaturtipp:
Gunter Gebauer. Poetik des Fußballs. Campus Verlag, 2006