Hektiker, Verdränger und Workaholic
Als einer der großen spirituellen Lehrer ist Henri Nouwen vor allem in Holland, Frankreich, den USA und Kanada bekannt. Anlässlich seines 10. Todestages ist die Biografie "Glaube heißt Sehnsucht" erschienen. Sie spart Fakten wie seine Sucht nach Zuwendung sowie seine Homosexualität nicht aus.
Nouwen war ein Hektiker, Verdränger, ein Workaholic wie aus dem Lehrbuch, ein Getriebener und Verzweifelter, der als hervorragender Psychologe genau wusste, was erfalsch machte und doch mit seiner gnadenlos aufrichtigen Selbstanalyse unzählbaren Leidensgenossen zu helfen vermochte.
Nanu? Es geht um Henri Nouwen? Den sanften spirituellen Lehrer, den holländischen katholischen Theologen und Psychologen, den Professor an Amerikas Elite-Universitäten Yale und Harvard, der mit Ratgeberbüchern in Millionenauflage zu einem der einflussreichsten spirituellen Lehrer des 20 Jahrhunderts wurde?!
" Er analysiert gnadenlos seine eigenen Besessenheiten, seinemanische Sucht nach Zuwendung, seinen Hunger nach Liebe, was dazu führt, dass er klammert. Und Leute, die ihn eigentlich mögen, erstickt mit seinen Erwartungen. Sein Misstrauen, das immer wieder die Bestätigung braucht: Ich bin akzeptiert, ich werde geliebt ! Damit zusammenhängend seine Schwierigkeiten, an einen liebenden Gott zu glauben ... "
Das sagt der Theologe Christian Feldmann aus Regensburg, Autor einer neuen Biografie, die unter dem Titel "Glaube heißt Sehnsucht" zum 10. Todestag Henri Nouwens am21. September 2006 erstmals auch kritische Faktenpräsentiert.
Eine vor 10 Jahren erschienene Biografie hatte den großen Gelehrten zum geistlichen Guru vergoldet. Wie er am II. Vatikanischen Konzil teilgenommen hatte, wie er mit Martin Luther King marschiert war, wie er Anfang der 80er Jahre das Leben der Armen in den Slums Lateinamerikas geteilt hatte.
Christian Feldmann dagegen schildert diese biografischen Brüche als Nouwens Flucht vor sich selbst und als Ausdruck einer sehnsuchtsvollen Gottsuche. Damit wird der vermeintlich weltentrückte Weise eine sehr alltagsnahe Identifikationsfigur. Das macht die Lektüre dieses Buches spannend.
" Er hat in Lateinamerika einen Gott gefunden, über den man nicht redet und diskutiert, sondern der – wie er immer wieder schreibt – über das Elend seiner Menschen weint, der zornig ist, der sie leidenschaftlich liebt und der denen, die an ihn glauben, die Kraft und auch die Fantasie gibt, Widerstand zu leisten."
Die Biografie "Glaube heißt Sehnsucht" besticht trotz ihres lauwarmen Allerwelts-Titels damit, dass sie das wechselvolle Leben des Psychologie- und Theologieprofessors Henri Nouwen nicht als chronologische Draufsicht, sondern als zitatreiche Innenansicht unter den Stichworten "Nähe", "Einsamkeit", "Flucht" und "Heimat" erzählt.
Zitat: "Geistig Behinderte zu betreuen schien genau das Gegenteil dessen zu sein, wozu ich durch Ausbildung und Berufserfahrung qualifiziert war. Wie soll ich mich Menschenmitteilen, die an hochgestochenen Diskussionen kein Interesse haben? Und doch sagten mir die Behinderten immer wieder, leise, aber beharrlich: Hier ist für dich ein zu Hause! Vielleicht brauchst du uns?!"
" Heimat hat er eigentlich erst ganz am Schluss, in den letzten zehn Jahren, in der "Arche"-Gemeinschaft, also im Zusammenleben mit Behinderten, gefunden. Erst in Troisly bei Paris und dann in Daybreak bei Toronto/Kanada, da hat er nun wirklich gelebt bis zu seinem Tod. Menschen, die teils nicht sprechen konnten, sich kaum bewegen konnten, aber eben auch fähig waren, sich unbefangen zu freuen, die gelernt hatten, Schwächen und Schmerzen zuzulassen – was immer sein Problem war: Schmerzen zuzugeben ! – die nicht produktiv waren, die nichts leisteten und die einfach lebten und die ihm klar machten, dass Leben immer ein Geschenk ist und keine Leistung. Da war kein Fassade möglich, da konnte er nicht klug daherreden, da sind seine Titel unwichtig. Gefragt war seine Aufrichtigkeit, seine Menschlichkeit, sein Herz. Und das hat ihn offensichtlich auch befreit."
Was sich bei Nouwen-Biograf Christian Feldmann anfänglich wie eine Denkmals-Demontage liest, wandelt sich auf knapp 130 Seiten zu der Frage: Ist ein geweihter Priester, der auf höchstem Niveau Seelsorger und Therapeuten ausbildet, nur dann glaubwürdig und vorbildlich, wenn er auch selbst alles richtig macht? Und zum Beispiel mit 53 ganz entsagungsvoll vom Harvard-Professor zum Behindertenpfleger wird? Oder ist er auch und gerade dann glaubwürdig, wenn er Glaubenszweifel und persönliche Abstürze erlebt hat?
Henri Nouwen, der prominente Katholik, verschwieg am Ende seines Lebens nicht mehr, was später sein erster Biograf Jurien Beumer verschwieg:
" Überhaupt nicht erwähnt er Nouwens homosexuelle Neigung, die seinem Umgang mit Menschen, mit Ausgrenzungsgefühlen, mit Problemen der Einsamkeit natürlich eine besondere Qualität gibt, aber auf der anderen Seite auch für ihn persönlich eine gewaltige Belastung dargestellt hat. Weil er diese Prägung sehr lange verschwiegen hat, wohl auch verdrängt hat und erst gegen Ende seines Lebens darüber gesprochen hat. Diese absolute Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, dieses Wissen um die eigenen Tiefen und Abgründe und das "Trotzdem-sich-nicht-aufgeben" macht Nouwen meines Erachtens so glaubwürdig und seine Bücher zeitlos wichtig. "
Christian Feldmann: Henri Nouwen. Glaube heißt Sehnsucht
Herder-Verlag 2006, 128 Seiten, 14,90 €.
Nanu? Es geht um Henri Nouwen? Den sanften spirituellen Lehrer, den holländischen katholischen Theologen und Psychologen, den Professor an Amerikas Elite-Universitäten Yale und Harvard, der mit Ratgeberbüchern in Millionenauflage zu einem der einflussreichsten spirituellen Lehrer des 20 Jahrhunderts wurde?!
" Er analysiert gnadenlos seine eigenen Besessenheiten, seinemanische Sucht nach Zuwendung, seinen Hunger nach Liebe, was dazu führt, dass er klammert. Und Leute, die ihn eigentlich mögen, erstickt mit seinen Erwartungen. Sein Misstrauen, das immer wieder die Bestätigung braucht: Ich bin akzeptiert, ich werde geliebt ! Damit zusammenhängend seine Schwierigkeiten, an einen liebenden Gott zu glauben ... "
Das sagt der Theologe Christian Feldmann aus Regensburg, Autor einer neuen Biografie, die unter dem Titel "Glaube heißt Sehnsucht" zum 10. Todestag Henri Nouwens am21. September 2006 erstmals auch kritische Faktenpräsentiert.
Eine vor 10 Jahren erschienene Biografie hatte den großen Gelehrten zum geistlichen Guru vergoldet. Wie er am II. Vatikanischen Konzil teilgenommen hatte, wie er mit Martin Luther King marschiert war, wie er Anfang der 80er Jahre das Leben der Armen in den Slums Lateinamerikas geteilt hatte.
Christian Feldmann dagegen schildert diese biografischen Brüche als Nouwens Flucht vor sich selbst und als Ausdruck einer sehnsuchtsvollen Gottsuche. Damit wird der vermeintlich weltentrückte Weise eine sehr alltagsnahe Identifikationsfigur. Das macht die Lektüre dieses Buches spannend.
" Er hat in Lateinamerika einen Gott gefunden, über den man nicht redet und diskutiert, sondern der – wie er immer wieder schreibt – über das Elend seiner Menschen weint, der zornig ist, der sie leidenschaftlich liebt und der denen, die an ihn glauben, die Kraft und auch die Fantasie gibt, Widerstand zu leisten."
Die Biografie "Glaube heißt Sehnsucht" besticht trotz ihres lauwarmen Allerwelts-Titels damit, dass sie das wechselvolle Leben des Psychologie- und Theologieprofessors Henri Nouwen nicht als chronologische Draufsicht, sondern als zitatreiche Innenansicht unter den Stichworten "Nähe", "Einsamkeit", "Flucht" und "Heimat" erzählt.
Zitat: "Geistig Behinderte zu betreuen schien genau das Gegenteil dessen zu sein, wozu ich durch Ausbildung und Berufserfahrung qualifiziert war. Wie soll ich mich Menschenmitteilen, die an hochgestochenen Diskussionen kein Interesse haben? Und doch sagten mir die Behinderten immer wieder, leise, aber beharrlich: Hier ist für dich ein zu Hause! Vielleicht brauchst du uns?!"
" Heimat hat er eigentlich erst ganz am Schluss, in den letzten zehn Jahren, in der "Arche"-Gemeinschaft, also im Zusammenleben mit Behinderten, gefunden. Erst in Troisly bei Paris und dann in Daybreak bei Toronto/Kanada, da hat er nun wirklich gelebt bis zu seinem Tod. Menschen, die teils nicht sprechen konnten, sich kaum bewegen konnten, aber eben auch fähig waren, sich unbefangen zu freuen, die gelernt hatten, Schwächen und Schmerzen zuzulassen – was immer sein Problem war: Schmerzen zuzugeben ! – die nicht produktiv waren, die nichts leisteten und die einfach lebten und die ihm klar machten, dass Leben immer ein Geschenk ist und keine Leistung. Da war kein Fassade möglich, da konnte er nicht klug daherreden, da sind seine Titel unwichtig. Gefragt war seine Aufrichtigkeit, seine Menschlichkeit, sein Herz. Und das hat ihn offensichtlich auch befreit."
Was sich bei Nouwen-Biograf Christian Feldmann anfänglich wie eine Denkmals-Demontage liest, wandelt sich auf knapp 130 Seiten zu der Frage: Ist ein geweihter Priester, der auf höchstem Niveau Seelsorger und Therapeuten ausbildet, nur dann glaubwürdig und vorbildlich, wenn er auch selbst alles richtig macht? Und zum Beispiel mit 53 ganz entsagungsvoll vom Harvard-Professor zum Behindertenpfleger wird? Oder ist er auch und gerade dann glaubwürdig, wenn er Glaubenszweifel und persönliche Abstürze erlebt hat?
Henri Nouwen, der prominente Katholik, verschwieg am Ende seines Lebens nicht mehr, was später sein erster Biograf Jurien Beumer verschwieg:
" Überhaupt nicht erwähnt er Nouwens homosexuelle Neigung, die seinem Umgang mit Menschen, mit Ausgrenzungsgefühlen, mit Problemen der Einsamkeit natürlich eine besondere Qualität gibt, aber auf der anderen Seite auch für ihn persönlich eine gewaltige Belastung dargestellt hat. Weil er diese Prägung sehr lange verschwiegen hat, wohl auch verdrängt hat und erst gegen Ende seines Lebens darüber gesprochen hat. Diese absolute Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, dieses Wissen um die eigenen Tiefen und Abgründe und das "Trotzdem-sich-nicht-aufgeben" macht Nouwen meines Erachtens so glaubwürdig und seine Bücher zeitlos wichtig. "
Christian Feldmann: Henri Nouwen. Glaube heißt Sehnsucht
Herder-Verlag 2006, 128 Seiten, 14,90 €.