Heiterkeit hierzulande (1/2)

Kulturgeschichte des Humors in Deutschland

30:04 Minuten
Die Figur des Till Eulenspiegel von Bert Gerresheim in Düsseldorf
Urfigur des deutschen Humors: Till Eulenspiegel hielt den Oberen mit deftigem Witz den Spiegel vor. © picture alliance / chromorange / Ruth Roeder
Von Christian Berndt und Ralf Bei der Kellen · 23.12.2020
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Mark Twain soll gesagt haben, deutscher Humor sei nichts, worüber man lachen könne. Wir gelten als Spaßbremsen. Aber es gibt ihn: deutschen Witz. Anders als in Frankreich, wo am Hof geistreich gescherzt wurde, entstammt er volkstümlichen Traditionen.
Meine Damen und Herren, soeben erhalten wir aus dem Ausland die Nachricht: Die Deutschen haben Humor!
Zumindest hörte man das in den vergangenen Wochen immer wieder über die Corona-Spots der Bundesregierung. Ach guck mal, schrieben Freunde aus den USA, ihr habt ja doch Humor. Und hierzulande? Gab es in den Medien vor allem Kritik an den Videobotschaften aus dem Kanzleramt.
Wie bitte? Jetzt lachen die anderen endlich über unseren Humor – aber wir nicht? Irgendwie hat dieses Land eine – vorsichtig gesagt – bemerkenswerte Einstellung zum Humor. Wie ist das also mit dem deutschen Humor?
Gerhard Polt: "Ich kann mir schwer vorstellen, dass es ihn persönlich gibt. Mir ist er auch noch nie begegnet, wenn ich ehrlich bin. Es gibt einen schönen Spruch, der mir dazu einfällt, der muss von einem Engländer sei, der hat einmal gesagt: Die Deutschen haben sehr wenig Humoristen hervorgebracht. Dabei sind sie das komischste Volk der ganzen Welt."
Matthias Beltz: "Spaß in Deutschland, das ist eine schöne Sache, das ist selten, das kommt auch immer wieder vor, aber…"
Ernst Jandl: "Wo bleibt da Humor? Wo bleibt da Humor?"
Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier: "Sind Sie auch Germane? Entschuldigung, ich wollte Sie nicht beleidigen, ich dachte nur…"
Karl Dall: "Auf dem letzten deutschen Komikertag in Bad Salzuflen hatte man doch tatsächlich alle drei eingeladen. Die anderen beiden sind nicht gekommen."
Georg Kreisler: "Mein Freund der Fritz hat mir an guten Witz erzählt, jetzt ist mein Herz so schwer."
Auch, wenn der Versuch, den deutschen Humor ergründen zu wollen selbst wie ein Witz erscheint, so wollen wir es doch versuchen. Also: Wie ging das los mit dem Humor, so ganz generell?
"Für mich reicht der Humor bis ins Tierreich. Insofern haben alle Menschen gelacht. Das Lachen ist acht Millionen Jahre alt", meint der Kulturwissenschaftler Rainer Stollmann.

Der Philosoph, der in den Brunnen fiel

In der griechischen Antike beginnt man dann erstmals, das Phänomen systematisch zu analysieren: "Wenn man den Beginn der abendländischen Philosophie sich anguckt, der begann im Prinzip auch mit einem Lachen, nämlich einer thrakischen Magd, die über einen Philosophen lachte, Thales von Milet, der beim Philosophieren in den Himmel guckte und dabei in den Brunnen fiel. Also sieht man schon, auch in der Antike hatten das Lachen und der Humor eine sehr wichtige Bedeutung", so der Historiker Eckart Schörle.
Spaß gehörte früh zu Kultveranstaltungen, hieraus entstand auch das spätere Wort Komik, erzählt der Kulturwissenschaftler Uwe Wirth:
"Der Komos, das ist ein Umzug, den man macht, bevor die eigentlichen Theaterfestspiele beginnen, die ja religiöse Festspiele sind, und insofern ist der Komos der groteske, körperbetonte Umzug, der das eher Sublimere einleitet."

Platon galt als Spaßbremse im antiken Athen

In Athen gab es im vierten Jahrhundert sogar einen ersten Spaßmacher-Klub, allerdings in einer Zeit der abnehmenden Toleranz. Denn bereits damals stritten die Philosophen der Antike darüber, welcher Humor der richtige sei. Sokrates nutzte Ironie, um Ignoranz bloßzustellen, Platon dagegen galt als Spaßbremse und verbot das Lachen an der Akademie:
"Er hatte im Prinzip Angst vor der umwälzenden Kraft des Lachens. Für Platon war das Gute mit dem Ernsten verbunden, und dem Lächerlichen gegenüber war er sehr skeptisch eingestellt, brachte das eher mit negativen Eigenschaften in Verbindung. Und so ist Platon schon früh als ein Feind des Lachens in die Geschichte eingegangen und er hat auch den Göttern das Lachen nicht erlaubt."

Anders Aristoteles: "Für ihn sollte in der Komödie das Lachen zur Verbesserung beitragen, also das Verlachen der Normabweichung sollte beim Publikum zur Verbesserung der eigenen Einstellung führen."

Aristoteles sah im Lachen das Merkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet. In Athen erzählte man gerne Witze, beliebt waren solche über unfähige Ärzte und Städte, deren Bewohner als besonders dumm galten – zum Beispiel die Kymer:
"Ein Bewohner von Kyme brachte nach dem Tod seines Vaters in Alexandria den Leichnam zum Mumien-Hersteller. Als er ihn wieder abholen wollte und bereits mehrere Mumien fertig waren, fragte der Mann den Sohn: Woran erkenne ich Deinen Vater? – Sagt der Sohn: Er hatte Husten."

Die Satire hat ihren Ursprung im alten Rom

Die Römer hielten ihren urbanen Humor dem der Griechen für überlegen, schließlich wurde in Rom die Satire erfunden. Für Cicero sollte Humor geistreich und angemessen sein, plumper Witz gehöre ins gemeine Volk. Allerdings gab es in der römischen Oberschicht durchaus Sinn für derben Witz. Der Dichter Catull reimte über einen dünnen Bekannten:
"Von Dir bleibt der Schweiß fern, der Appetit fehlt auch, sodass Dein Arsch sauberer ist als ein Salzfässchen. Und Du kackst nicht einmal zehnmal im ganzen Jahr, und das ist dann härter als Bohne und Steine."

Bis nach Germanien drang der römische Humor nicht. Dort lachte man zwar auch, aber…
Rainer Stollmann: "Witzesammlungen gibt es in Germanien nicht, denn Witze sind eine Sache von Städten. Witz kommt von Wissen."
Matthias Beltz: "Hermann der Cherusker, der erst Präsident von Arminia Bielefeld, dem haben sie mal so vergammelte Salami auf die Pizza gelegt, da hat seine Frau, die Thusnelda, die ganze Nacht gekotzt. Da ist der am anderen Morgen aber so etwas von in den Teutoburger Wald und hat die Römer rausgeschmissen."

Satirische Esel- und Schweinemessen in Klöstern

Am fehlenden Witz änderte auch die Christianisierung der Germanen nichts – im Gegenteil, nun wurde das Lachen auch noch verdächtig:
"Die Kirche musste gegen die heidnische Lachkultur kämpfen. Die offizielle Begründung war, Jesus hat in der Bibel nie gelacht – und deshalb ist das Lachen des Teufels. Lachen in den Klöstern war verboten. Das galt als Exzess des Leibes, als sinnliche Ekstase, die mit der Frömmigkeit nicht zu vereinbaren ist."

Aber ausgerechnet in den Klöstern begannen nun ab dem frühen Mittelalter Mönche, Witze zu sammeln und selbst wüste Späße zu treiben:
Ein Clown in einer Kirche während einer Clownsmesse
Clownsmessen werden auch heute noch gefeiert: Bereits im Mittelalter hielten Mönche humorvolle Andachten ab.© picture-alliance / Godong / Philippe Lissac
"Sie finden auch in der Mönchsliteratur satirische Messen. Das heißt, in den Klöstern selber gab es zum Beispiel Esel- und Schweinemessen. Da haben die ein Schwein verkleidet mit priesterlichem Gewand um Ostern und haben einen Gottesdienst mit diesem Schwein als Priester gefeiert, und das ist sozusagen die Erlösung aus der Fastenzeit, wie bei uns im Karneval."

Karneval als typisch deutsche Lachkultur

Der Karneval entstammt eigentlich der heidnischen bäuerlichen Kultur. Gefeiert wurde er aus Freude über das Überleben des Winters. Er zählte zu jenen Kulten, die die Kirche verurteilte. Dass die Mönche trotzdem satirische Messen feierten, zeigte ihre Verwurzelung in der antiken Tradition eines ironisch-satirischen Geistes. Das gemeine Volk dagegen frönte einer anderen Form von Spaß:
"Ein Bauer im 13., 14. Jahrhundert hätte einen Witz nicht verstanden. Die Lachkultur des Dorfes ist die karnevalistische Lachkultur, und Karneval besteht ja nicht aus Witzen, sondern aus grotesker Komik, wenn Sie an die dicken Figuren denken, die da auf den Wagen gefahren werden. Und das Stichwort für den ländlichen Humor ist die Groteske."

Im Mittelalter entwickelte der Karneval auch eine provokante, fast politische Seite:
Narren feiern Karneval, bei der Fernsehshow "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht" (2014).
Karneval hat eine lange Tradition und sorgt bis heute für hohe Einschaltquoten: Fernsehshow "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht" (2014).© picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
"In der mittelalterlichen Komik gibt es ja dann diese Idee einer kollektiven Komik, die einmal im Jahr stattfindet, und die nennt man Karneval. Da macht man auf einmal alles verkehrt. Die Welt steht auf dem Kopf, der Bettler zieht sich an wie ein König und darf für die Karnevalszeit den König spielen. Aber, es ist umgekehrt auch so, dass es immer noch eine Autorität gibt, die sagt, wann diese Veranstaltung anfängt und wann sie aufhört, das ist die Kirche."

Mit der Wiederentdeckung antiker Autoren im Hochmittelalter kam es innerhalb der Kirche zu neuen Debatten über Humor:
"Im Prinzip waren mit Platon und Aristoteles die beiden Grundpositionen im Verhältnis zum Lachen genannt. Bekannt sein durfte bei vielen noch Der Name der Rose, der Roman von Umberto Eco. Der hat diese Frage in seinem Roman aufgegriffen."
Ausschnitt aus "Der Name der Rose": "Christus hat nie gelacht. Das Lachen schüttelt den Körper, entstellt die und macht die Menschen den Affen gleich." – "Die Affen lachen nicht, das Lachen ist dem Menschen eigentümlich." – "Nicht alles, was dem Menschen eigentümlich ist, ist deswegen auch schon gut."

"Um diese Debatte spannt sich die Geschichte des Romans, aber auch viele Debatten im Mittelalter." In Frankreich, so Stollmann, hätten am Beginn der Frühen Neuzeit Autoren derbe bäuerliche Komik mit städtischem Witz verbunden und damit, wie etwa François Rabelais, große humoristische Werke geschaffen.

Volkstümliche Groteske statt städtischem Witz

In Deutschland dagegen sei in dieser Zeit keine bleibende Witzkultur in den Städten entstanden, denn hier habe ein selbstbewusstes Bürgertum für solche Art von komischer Literatur gefehlt. Hier glaubte die städtische Oberschicht, sich vom Bauerntum durch Verachtung abgrenzen zu müssen. In Deutschland blieb die volkstümliche Groteske beherrschend, was auch für das wichtigste Werk der spätmittelalterlichen Lachkultur gilt:
"Der Till Eulenspiegel, der ist ja zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert entstanden. Das ist ein typisches, deutsches komisches Buch. Der hat aber keine Witze, zeigt aber in seiner Sammlung den nationalen Humor – im Sinne von Anstiften zum Lachen –, der in dieser Zeit in Deutschland gängig war."
Aus "Till Eulenspiegel": "In der Badestube zu Hannover wollte der Bader nicht, dass sie Badestube, sondern ‚Haus der Reinheit‘ genannt werde. Davon vernahm Eulenspiegel und ging hin. Der Bader hieß ihn willkommen, Eulenspiegel zog sich aus und schiss einen großen Haufen mitten in die Badestube. Da sprach der Bader: Deine Worte waren gediegen, aber Deine Werke stinken übel. Eulenspiegel sagte: Will man rein sein, muss man sich außen und innen reinigen."

Die Politisierung der Karnevalskultur

Till schlägt die Bürger derb – aber pfiffig – mit ihren eigenen Waffen. Das Buch ist eine Sammlung von Geschichten, die, so Stollmann, wahrscheinlich von Wandergesellen weitergegeben wurden. Sie spiegeln den Gegensatz zwischen Stadt, Land und Adel wider:
"Das ist eine Politisierung der Karnevalskultur. Und er spricht in der Sprache der Karnevalskultur – dicke Bäuche, essen und trinken – in der Sprache spricht er plötzlich politisch."

Till hält den arroganten Städtern, die die bäuerliche Kultur verachten, einen Spiegel vor. Auch für viele heutige Humorschaffende ist er noch relevant. So erklärt Dietmar Wischmeyer auf die Fragen nach dem ältesten ihm bekannten Zeugnis deutschen Humors:
"Noch vor dem Godesberger Programm der SPD? Da muss ich kurz überlegen. Ernsthaft: Till Eulenspiegel. Allein der Name Ul den Spegel – auf Hochdeutsch: Leck mich am Arsch – und damit in den deutschen Kulturkanon zu gelangen, spricht schon dafür. Manchmal hilft einem die Heimat in der niederdeutschen Sprache doch. Ich hätte mich Twarsfitzer oder Pittenwieser nennen können und die Aspekte-Redaktion hätte nichts gemerkt."

Wie der Eulenspiegel, so Stollmann, sei auch Grimmelshausens "Simplicissimus", in dem aus Sicht eines Narren die Brutalität des Dreißigjährigen Krieges beschrieben wird, nicht im eigentlichen Sinne komisch:

Ausschnitt aus "Der Abentheuerliche Simplicissimus": "Sie setzten ihn zu einem Feuer, banden ihn, dass er weder Händ‘ noch Füß‘ regen konnte und rieben seine Fußsohlen mit angefeuchtem Salz, welches ihm unsere alte Geiß wieder ablecken und dadurch kitzeln musste, dass er vor Lachen zerbersten mögen. Das kam so artlich, dass ich von Herzen mitlachen musste."
Kleiner Junge auf Eulenspiegel-Statue in Mölln
Bis heute fasziniert Till Eulenspiegel als eine Person anarchischer Unangepasstheit. © picture alliance / imageBroker / Siegfried Kuttig
"Wenn Sie an die berühmteste Szene denken, wo sein Stiefvater von den Soldaten gequält wird, indem die Ziege an seinen mit Salz bestreuten Fußsohlen leckt, und er auf diese Weise zum Lachen gebracht wird, heißt das, selbst das Lachen wird dem noch zur Folter."

Zoten und Hofnarren anstelle von geistvollen Bonmots

Aber Deutschland fehlte es nicht nur an städtischer Witzkultur, sondern auch an einem zentralen Hof wie in Frankreich, wo eine höfische Witzkultur entstand: Selbst an der legendären Tafelrunde am preußischen Hofe Friedrichs des Großen wurden eher Zoten gerissen. Geistvolle Bonmots spielten eine untergeordnete Rolle.
Stattdessen amüsierte man sich noch bis ins 18. Jahrhundert über Hofnarren. Diese Art des Hofvergnügens stieß auf Kritik seitens der Aufklärer, und das neu entstehende Bürgertum setzte dem höfischen Witz das eigene, vernunftbestimmte Humorverständnis entgegen:
"Das Bürgertum hat ein Bild von diesem Hofleben gezeichnet und gesagt, am Hofe herrsche eine oberflächliche Lustigkeit, keine Heiterkeit, die von Herzen kommt. Es wurde die Spötterei bei Hofe, das Verlachen von anderen kritisiert. Das war die Kontrastfolie, die man für dieses positive, bürgerliche Humorverständnis benötigte."
Und mit der Französischen Revolution endete dann der höfische Witz:
"Diese Zeit um 1800, also unsere Primetime mit Romantik und Klassik, ist natürlich auch die Zeit, wo Humor und Witz eine erste Konjunktur in der deutschen Literatur haben. Es gibt eine erste theoriegetriebene Form, komisch, witzig und vor allem ironisch sein zu wollen. Das ist die berühmte romantische Ironie, die eine Doppelbödigkeit hat, die sie sich dadurch erarbeitet, dass sie sich an den philosophischen Systemen dieser Zeit abarbeitet, also am Idealismus, und dort diese hohen Ideale kontrastiert mit dem Allzumenschlichen."

Einer der ersten großen Erfolgsautoren Deutschlands, Jean Paul, versuchte, den englischen Humor eines Laurence Sterne auf den deutschen Kontext zu übertragen:

"Es gibt bei Jean Paul einen erfreulich kurzen Roman, der heißt ‚Leben Fibels’. Diese Geschichte beruht auf einem relativ schlechten Wortwitz, nämlich dass die ABC-Fibel von jemandem geschrieben wurde, der den Namen Fibel trägt. Was sich schnell herausstellt, ist, dass dieser Fibel gerne Schriftsteller wäre, aber keine Ideen hat, was er schreiben soll. Seine Idee ist, dass er einfach Buchstaben abschreibt."
Damit wird er zum Schriftsteller, und hier zeigt sich die typisch romantische Ironie – die Fallhöhe zwischen hehrem Ideal und schnöder Einfallslosigkeit.
"Aber verglichen mit der englischen Literatur ist es eben doch so, dass die deutsche Romantik innerlich und nicht besonders auf das Lachen aus ist."

Mit Witz die Zensur umgehen

In der Revolutionszeit kam es zu einer Gründungswelle sogenannter "Witzblätter", vor allem in Berlin. Sie nannten sich "Berliner Großmaul" oder "Berliner Krakehler" und umgingen mit volkstümlichem Humor geschickt die Zensur, wie hier mit einer Persiflage auf behördliche Anordnungen nach der Niederschlagung der Revolution:
"Es wird in Bezug auf den Weihnachtsmarkt Folgendes bekanntgemacht: 1. Die Nussknacker dürfen keine Ähnlichkeit mit Militär-Oberoffizieren haben. 2. Die Holz-Kanonen werden untersucht, ob sie auch geladen sind. 3. Niemand darf verbotene Flugschriften in Pfefferkuchen backen lassen."
Das Scheitern der Revolution überlebten nur wenige Hefte – wie zum Beispiel der "Kladderadatsch".
Ein Autor, der mit der romantischen Ironie brach, weil er sie als Zeichen der politischen Unfreiheit sah, und zum Modernisierer der Satire in Deutschland wurde, ist Heinrich Heine: "Seitdem es nicht mehr Sitte ist, einen Degen zu tragen, ist es durchaus nötig, dass man Witz im Kopf hat."
"Was ich betonen würde, was doch etwas sehr Jüdisches war bei Heine, das ist der Widerspruchsgeist, die Kritik am Bestehenden, gepaart freilich mit Liebe zu Deutschland. Da kommt, glaube ich, das jüdische Außenseitertum zum Tragen, die Fähigkeit, von außen nach innen zu blicken und Dinge zu sehen, die dem Eingewurzelten, heute würden wir sagen, dem Biodeutschen, nicht aufstoßen", meint der Herausgeber der "Zeit", Josef Joffe, der ein Buch über den jüdischen Witz geschrieben hat.

Die eigene Freiheit wiedererkämpfen

Auch Sigmund Freud hat für seine berühmte Abhandlung "Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten" von 1905 jüdische Witze und ganz besonders Heines "Witzarbeit" als Analysematerial genutzt. Darin habe er, so Uwe Wirth, über den gesellschaftlichen Nutzen des Witzes nachgedacht.
"Gesellschaftliches Leben ist immer eine Zumutung, weil man sich an Regeln halten muss und seine eigenen Freiheiten beschränken muss. Und das löst ein Unbehagen in der Kultur aus. Und ein Ausweg aus diesem Unbehagen ist, indirekte Formen zu finden, wie man sich seine Freiheiten wiedererkämpft. Direkte Freiheiten wären, dass man sagt, am Wochenende bin ich Hooligan und ziehe pöbelnd durch die Innenstadt. Der intellektuelle Hooligan würde sagen, ich mache das im Rahmen eines Comedy-Events oder einer satirischen Aktion."

Witze ersparen einen Gefühlsaufwand, den man sonst mühsam aufbringen müsste, zitiert Uwe Wirth den berühmten Psychoanalytiker.
"Also das berühmte Beispiel, wo der Mann, der am Montag zur Hinrichtungsstelle geführt wird, sagt: Na, die Woche fängt ja schon gut an. Dass er das so in dieser Weise für sich zurechtlegt, ist für den, der sich das anhört, eine Ersparnis, weil er sich sagt: Ach, da muss ich jetzt nicht so viel Mitleid haben, dass der jetzt den Tag nicht überlebt. Es ist im Prinzip auf die Formel zu bringen von einem Supermarkt: Prima lachen und sparen."

Das Kabarett kommt nach Deutschland

1901 kam eine Erfindung aus Frankreich nach Deutschland – das Kabarett. In Berlin gründete Ernst von Wolzogen das "Bunte Theater" - auch "Überbrettl" genannt. Die Eröffnung fand am 18. Januar statt. Exakt 30 Jahre nach der Reichsgründung hatte nun auch deutscher Humor eine feste Heimstatt:
Die merrschten Deitschen sin aus Sachsen.
Das merkt der Mensch uf Reisen schnell:
Aus Chemnitz, wo die Strimpe wachsen
Aus Dresden, wo se hellisch hell
Aus Leipzig, wo se egal drucken –
Der Sachse kriegt den Kram nicht satt
Und alles muss er sich begucken
Was uf der Welt zwee Sternchen hat.

Anders als in dem aus der Pariser Subkultur kommenden Cabaret gab es im deutschen Kabarett keine Sozialkritik, sondern literarische Parodien fürs Bildungsbürgertum. Das "Überbrettl" existierte zwar nur einige Monate, zog aber eine Flut von Kabarett-Gründungen nach sich. Doch in Deutschland war es unter den Bedingungen der Zensur politisch harmloser als das französische Vorbild. Dagegen boten in Berlin die großen Revuen – einer unterhaltsam-großstädtischen Mischung aus Musik, Tanz und Sketchen – erstaunlich kritische Inhalte:
Marlene Dietrich während einer Kabarett-Aufführung im "Café de Paris" (1955).
Frauen als Stars auf den Kabarett-Bühnen: Marlene Dietrich während einer Aufführung im "Café de Paris" (1955).© picture-alliance / Mary Evans Picture Library / Illus
"In ‚Donnerwetter Tadellos‘ zum Beispiel gibt es eine Reformkaserne, eine Karl-Liebknecht-Kaserne, in der den Soldaten verboten ist, zu schießen und zu exerzieren, die sich da den schönen Künsten widmen: also durchaus für die damalige Zeit gewagte satirische Konstrukte. Im Grunde wurde der Stil der Zwanzigerjahre schon vorgeprägt."
Die Revuen, so der Theaterwissenschaftler Stefan Frey, nahmen aktuelle Zeitthemen auf:
"Anglizismen, das war schon 1910 ein Thema. Dass man sich beklagt, dass niemand mehr deutsche Wörter benutzt. Alle gehen in den Grill Room, nehmen einen Lift und geben dem Liftboy Trinkgeld."

Kabarett wird politisch

Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte der Umbruch – nicht nur der Kaiser ist weg, sondern auch die Zensur. Das Kabarett wurde politisch. Es gab Revuen für Arbeiter wie den "Roten Rummel" von Erwin Piscator, aber das Publikum blieb trotzdem meist bürgerlich. Linke Autoren wie Walter Mehring schrieben für Max Reinhardts Kabarett "Schall und Rauch", und auch der explizit politische Autor Kurt Tucholsky versuchte sich an der Revue. Politik und Unterhaltung mischten sich:
"Wenn man Dada als Kunstphänomen nimmt, dann hat Dada ja nicht nur die seriöse Kunst beeinflusst, sondern auch die Unterhaltungskultur. Das wird alles dadaistisch, unsinnig. Diese ganzen Unsinnsschlager der Zwanzigerjahre sind ja eigentlich auch eine humoristische Entladung, das ist wirklich neu. Das ist wie die Inflation, dass die Werte, an die man geglaubt hat, nichts mehr wert sind. Genauso wenig gibt es einen Sinn in irgendwelchen Gedichten, sondern es kommt auf das Absurde an."

Aber der Bezug blieb auch im Nonsens politisch. Etwa wenn der große Bühnenstar der Weimarer Republik, Max Hansen, mit "War’n sie schon mal in mich verliebt?" Hitler parodierte und dem NS-Führer eine homosexuelle Affäre andichtete:
Hitler und der Sigi Kohn
Kennen sich seit Jahren schon
Eines Tages ging’n se aus
Miteinand‘ ins Hofbräuhaus.
Doch schon bei der fünften Mass
Werden Hitlers Augen nass.
Er umarmt den Sigi Kohn und stottert blass:
Warst Du schonmal in mich verliebt?
Und manchmal war in Berlin auch ein ganz spezieller Künstler aus München zu sehen: Karl Valentin.
"Eine singuläre Figur, aber er war damals in Berlin ein gerngesehener Gast in den Kabaretts. Obwohl er nicht gern gereist ist, war er in der Zeit relativ oft in Berlin und hat mit seinem skurrilen und auch schon dadaistischen Humor da sehr gut reingepasst, und ich denke auch, was den Darstellungsstil betrifft, die Kabarettisten beeinflusst, also dieses distanzierte Spielen, das hat er eigentlich als erster entwickelt."

Karl Valentin: eine Ausnahmefigur

"Karl Valentin hat Brecht erst auf den Weg des Verfremdungseffekts und des epischen Theaters gebracht. Ich glaube, das ist die größte Wirkung, die von ihm ausging."
Karl Valentins eigensinniger, verschrobener Humor ist – nicht zuletzt auf der Leinwand – eine Art Wiederkehr der mittelalterlichen Groteske. Überhaupt gehört Valentin zu den Ausnahmefiguren unter den hiesigen Humorschaffenden. Das erfährt auch Samuel Beckett, als er Valentin 1937 besucht. Angeblich soll der Münchener dem Iren zuerst einen Zahnstocher mit Pelzüberzug hingehalten haben mit den Worten: "Bei der Kält’n braucht’s was Warmes."

"Der Karl Valentin ist, ähnlich wie heute Helge Schneider, ein Bauer in München. Das ist im Wesentlichen alte Lachkultur. Ich glaube, der macht auch keine Witze im engeren Sinne, sondern der ist grotesk. Eigentlich ist er mehr Dörfler und Karnevalist, als er Städter ist. Städter ist Harald Schmidt, Dieter Hildebrandt, der jüdische Humor im Deutschland, der Weimarer Republik, das sind alles Städter, die machen Witze. Aber Karl Valentin hat etwas von dem Dörflich-Bäuerischen, das er in die Stadt trägt."
Karl Valentin (Foto um 1930)
Karl Valentin beeinflusste mit seinem Humor zahlreiche Künstler, darunter Bertolt Brecht und Samuel Beckett.© picture alliance / akg-images

Frauen als Stars des Kabaretts der Zwanziger

In den Zwanzigerjahren erlebte die Revueoperette, in der Nonsens, Zeitkritik und Jazz verschmolzen, ihren Höhepunkt. 1928 feierte Mischa Spolianskys "Es liegt in der Luft" am Kurfürstendamm Premiere:
"Das war ja das Stück, in dem Marlene Dietrich entdeckt wurde und sie eine Nummer mit Margo Lion und Oskar Karlweis hat: ‚Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin‘. Da geht es um eine Ménage-à-trois, wo eben sie mit ihm und mit ihr ins Bett geht, das ganz neue Verständnis von Sexualität und Geschlechterrollen, ironisch, aber doch ernsthaft durchgespielt, das ist eine typische Nummer."

Juden in der Unterhaltungsbranche

Überhaupt spielen Frauen im Kabarett der Zwanzigerjahre eine große Rolle. Neben Margo Lion gab es Blandine Ebinger, Käthe Kühl, Ursula Herking, Isa Vermehren, Trude Hesterberg, Annemarie Hase und viele andere herausragende Künstlerinnen. Und Claire Waldoff war als Solokünstlerin in den wichtigsten Varietés ein Star ihrer Zeit. Im Anzug und mit ihrer Lebenspartnerin pflegte sie einen die Konventionen sprengenden Lebensstil. Ein anderes typisches Merkmal der Humor- und Unterhaltungsbranche war der hohe Anteil jüdischer Autoren und Komponisten:
"Juden hatten ja bis ins 20. Jahrhundert keine Chance im normalen Leben, also Handwerk, Wirtschaft, Banken, Politik. Was machst du dann? Sie gingen in neue Bereiche, die damals aufkamen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien und Berlin: also Theater, Kunst, Presse, Literatur, Film, wo das Wort und nicht die Herkunft entscheidend war."
Zugute kam vielen Juden dabei ihre kulturelle Prägung:
"Die Kunst des Wortes hatten sie ja im lebenslangen Talmudstudium gelernt. Also raus aus dem Bethaus, rauf auf die Bühne. Da kommt, glaube ich, noch was dazu. Wer Witze reißt, ist sympathisch. Du konntest lachen, über dich selber lachen, und das ließ dich sympathisch wirken. Deshalb, glaube ich, entstand der jüdische Humor in der Moderne."
Und der zeigte sich exemplarisch in den Kabarett- und Operettentexten in der für die Zwanzigerjahre typischen Selbstironie. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Conference des 1880 in Brünn geborenen Autors und Kabarettisten Fritz Grünbaum aus dem Jahre 1931:
"Ich war ja auch einmal Unternehmer, hatte ein eigenes Cabaret. Drei Tage vor der Eröffnung bin ich darauf gekommen, dass ich noch gar keinen Conférencier engagiert habe. Aber ich dachte: Es ist kein Malheur, ich sitz ja an der Quelle, ich nehm‘ mir den Grünbaum. Das ist ein vornehmer, geistreicher Künstler, hübsch ist er auch – den hol ich mir!"
Grünbaum lädt sich also selbst zum Vorstellungsgespräch ein und – es kommt wie es kommen muss:
"Ich habe mich entschlossen, meinen entehrenden Vorschlag anzunehmen. Aber auf das eine mache ich mich aufmerksam: Segen werde ich an dem Geld nicht erleben, dass ich mir am eigenen Leib heruntergerissen hab. Ich wünsche mir, dass ich mitsamt meinem ganzen Cabaret pleitegehen soll! Was soll ich Ihnen viel erzählen? Mein Wunsch ist mir in Erfüllung gegangen."
"Ein Kern des jüdischen Witzes ist, dass die Juden sich über sich selbst lustig machen. Und das hat, glaube ich, eine dialektische Funktion. Nehmen wir einen ganz kurzen Witz wie diesen: Ein Freund fragt seinen Freund, der gerade seine Redeprobe im Radio als Nachrichtensprecher geleistet hat: Na, sagt er, hast Du den Job bekommen? Und der antwortet: a-a-a alles A-a-antise-e-mi-i-ten. Das heißt, die Juden machen sich sogar über den Antisemitismus lustig und zeigen: Wir können sogar den Antisemitismus besser als ihr!"

Machtübernahme durch die Nazis

1933 war es damit vorbei. Ein Großteil der Unterhaltungsbranche der Weimarer Republik ging nach Hollywood. Andere schafften den Absprung nicht rechtzeitig. Fritz Grünbaum zum Beispiel wurde 1941 im Konzentrationslager Dachau ermordet.
Im Exil lebte ein Teil des Witzes und des Geistes der Weimarer Republik weiter, Erika Manns "Pfeffermühle" wurde mit über 1000 Aufführungen in ganz Europa zum führenden Exil-Kabarett. "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, wer immer lügt, dem wird man glauben", hat sie noch in Deutschland über Hitler gedichtet. Andere, wie Werner Finck vom "Kabarett der Komiker" bleiben in Deutschland: "Ich finde so wenig Anklang bei den Großen. Häusern."

Nach der Machtübernahme durch die Nazis versuchte Fink, mit doppelbödigem und – vor allem – mit Halb-Gesagtem die Zensur zu umgehen und damit auch das Humorverständnis der Nazis. Das er dann auch gleich auf die Schippe nimmt – in einer Nummer, in der er sich als Komiker einem Agenten vorstellt:
Impresario: "Wo bleibt der Humor?"
Finck: "Ja, das frage ich mich auch… Das erste, was ich hätte, wäre vielleicht der volkstümliche Ansager. Ich werde Ihnen das mal zeigen. Ich stehe einfach da und strahle. Ich komme raus und verbreite Sonne. Sonne. Sonne verbreite ich. Also, ich komme auf die Bühne und sage: Meine Lieben, da sind wir ja alle mal wieder zusammen, jetzt will ich mal erst vorstellen für die drei bis vier, die mich vielleicht noch nicht kennen: Ich heiße Werner! Überhaupt, der Herr da unten, der hat ein Loch im Strumpf. Nehmen Sie Kakao – das stopft!"
Aber Goebbels versteht keinen Spaß. Fink kommt 1935 in das Konzentrationslager Esterwegen, eines der ersten. Aufgrund der Fürsprache von Kollegen bei Hermann Göring kommt er wieder frei. Bis 1939 kann er sich halten, dann erteilt Goebbels ihm Auftrittsverbot. Den Krieg überlebt er, indem er sich an den einen Ort zurückzieht, an dem Goebbels seiner nicht habhaft werden kann: die Ostfront.
"Der Herr Fink, der würde es wahrscheinlich so machen, der würde, nachdem er eine Nummer angesagt hat, schließen, indem er sagt: Meine Damen und Herren, wer mich heute nicht erkannt hat, dem möchte ich mich noch gerne vorstellen: Also, ich bin der Finck – leicht gedrosselt."
Impresario: "Wo ist denn da der Witz?"
Finck: "Sie werden lachen – das ist gar keiner."

Sprecher: Gilles Chevalier
Ton: Hermann Leppich
Regie: Stefanie Lazai
Redaktion: Susanne Arlt

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