Heiter und melancholisch

Von Dirk Schneider |
Der Hamburger Nils Koppruch verfremdet in seinen eigenwillig-naiven Bildern maritime Klischees wie Segelschiffe oder Hafenansichten. Der Heiterkeit dieser Bilder steht die Melancholie seiner Country-Musik entgegen.
Hamburg St. Pauli, eine Ladenfläche im Souterrain. Das Atelier des Malers Sam. Im vorderen Raum hängen die neuesten Bilder, eine Reihe von Seemannsporträts.

"Das kommt aus einer kleinbürgerlichen Tradition, der Seemann mit dem Südwester auf, mit der Pfeife im Mund. Bei meiner Großmutter hing das in gestickter Form in der Wohnung. Und ich beschäftige mich gerne mit so Schnittmengen eben von: Wo fängt Kunst an, wo fängt so Volkskunst an, was darf man überhaupt noch bezeichnen als Kunst."

Volkskunst könnte man vielleicht auch das nennen, was Sam, mit bürgerlichem Namen Nils Koppruch, malt. Seine Bilder sind für junge Menschen inzwischen etwa das, was der röhrende Hirsch über dem Sofa ihrer Großeltern war.
In fast jeder zweiten Wohnung in den Hamburger Szenevierteln hängt ein Sam, was auch an den Preisen liegt: Ein großformatiger Sam kostet um 1000 Euro, einen kleinen gibt es schon ab 200. Der Malstil ist naiv, die Bilder oft comic-haft flächig gemalt, in gedeckten Farben, auf jeden Fall dekorativ. Und das Spiel mit dem Klischee kommt auch gut an.

"Und dann habe ich hier noch ne Kogge mit nem Riesenkraken, der die Kogge einfängt. Und hier stehen noch zwei andere Motive…"

Noch ein Schiff und eine Hafenansicht mit Kränen und Dampfer.

"…so klischeehaft hamburgisch."

Auch der 41-jährige Koppruch erfüllt zumindest äußerlich das romantische Klischee des Malers: lange braune Haare, ein kurzer Vollbart, braunes Holzfällerhemd, Jeans, schwere Stiefel. Inzwischen sitzen wir im dunklen Hinterraum seines Ateliers, ein paar Stühle, ein Kühlschrank, alles sehr provisorisch.

"Ach, ich kann mich ziemlich gut von Dingen trennen."

Fast denkt man an Dostojewskijs Kellerloch, wären da nicht diese freundlichen Augen, die einen anlachen und in dem Kellerloch willkommen heißen. Koppruch raucht Filterzigaretten und trinkt Apfelschorle, erst aus dem Pappbecher, dann aus der Flasche.

"Also ich komme aus einer relativ kleinbürgerlichen Familie, wo Kultur fast keine Rolle gespielt hat. Radiomusik, ja schon, aber bildende Kunst überhaupt nicht."

Koppruchs Vater war Polizist, seine Mutter Übungsleiterin im Turnverein. Die Eltern sind mit dem jungen Nils aus Hamburg weggezogen, in die Vororte. Mit 16 dann hat Nils eine Lehre angefangen, weil er nichts Besseres vorhatte.

"Also bin ich Koch geworden und bin eine Weile relativ orientierungslos durch die Welt gelaufen, weil ich wusste: Das will ich nicht machen. Ich funktionier nicht in so einer normalen bürgerlichen Biografie, das ist etwas, was mich sehr unglücklich macht."

Mit Mitte 20 dann hat er sein Abitur nachgemacht. Als Schüler hatte er viel Zeit, hat Musiker und Künstler kennen gelernt. Plötzlich wusste er, was er werden wollte: Musiker und Künstler.

Dass ein solches Leben möglich schien, verdankt er Punk:

"Ich war nicht wirklich Punk. (…) Aber Punk oder die Idee von Punk hat mein Selbstbewusstsein als Künstler fundiert. Also diese Idee von Selbstermächtigung. Sich einfach zu ermächtigen, etwas zu tun, was eigentlich traditionell anderen Leuten vorbehalten ist."

Nämlich den Leuten, die eine Ausbildung haben. Koppruch ist Autodidakt, er hat damals zum Pinsel gegriffen und losgelegt. Weit über tausend Bilder hat er inzwischen gemalt – und verkauft. Koppruch bewegt sich völlig abseits des Kunstbetriebs und kann doch von seinen Bildern leben.

Auch mit dem Gitarrespielen hat Koppruch damals angefangen. Aber er wurde kein Punkmusiker. Mit seiner Band Fink hat er melancholisch-minimalistische Musik gemacht, zunächst düsteren Country, später etwas, das einmal recht treffend als "Folk Noir" bezeichnet wurde.

"Das ist ähnlich wie bei der Kunst vielleicht: So eine Art Folk-Idee. Nicht ausgebildet zu sein, nicht akademisch, unprätentiös, aber möglichst – ich sag das Wort nicht gerne – 'wahr'."

Der Melancholie in der Musik scheint die naive Heiterkeit von Koppruchs Bildern entgegenzustehen. Dabei tun die Bilder vielleicht nur so harmlos – für Koppruch ist das Malen zumindest genauso wichtig wie das Musikmachen.

"Manche Dinge, die sehr schnell gemacht aussehen, benötigen aber eine lange Zeit, bis sie so aussehen, als ob sie schnell gemacht seien. Ich möchte was ausdrücken, und dafür bin ich am Ball. (…) das braucht ne ungeheure Menge Energie und ne Menge Zeit. (…) Und das widerspricht so ein bisschen der Bohemien-Idee, die ich damit verbinde."

Auch wenn Koppruch sich nicht als Bohemien versteht, lebt er doch als freier Künstler nicht gerade in der Mitte der Gesellschaft. Er genießt die Unabhängigkeit, die künstlerische wie die persönliche – Familie hat er keine.

"Aber ich bin nun mal innerhalb dieser Gesellschaft, und das gibt oft ein Gefühl von … ja, Fremdsein. Ein gewisses Fremdfühlen in seiner Lebenswirklichkeit."

Und so ist es auch die Suche nach einem Zuhause, die Koppruch jeden Tag aufstehen und ein Bild malen oder einen Song schreiben lässt.

"Wenn man eigentlich an nichts glaubt, auch nicht ne Ideologie oder ne Religion als Konzept hat, das einen stützt, ist es jeden Tag wieder unglaublich anstrengend, seine Lebenszeit, die begrenzt ist, mit Sinn zu füllen. Und damit bin ich beschäftigt."