Heißes Eisen Türkei

Von Alexander Schuller |
Oben Diesel, unten Nike, die Brandfackel in der Hand und brüllend vor Hass, so hatten wir uns die multikulturelle Gesellschaft jedenfalls nicht vorgestellt. Lieb sollten alle sein und fleißig und ein wenig exotisch. Schaschlik mit Capuccino.
Wir waren gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass die anderen andere Vorstellungen vom Zusammenleben haben könnten, nämlich ihre eigenen. Ausländer, so dachten wir, seien wie wir, Deutsche oder Franzosen oder Engländer oder Holländer, aber mit Pfiff und mit dunklen Locken. Wir dachten, dass alle so denken wie wir, dass alle sich Multikulti und Frieden und Zimtsterne wünschen. Jetzt entdecken wir, dass sie sich weder Multikulti, noch Frieden, noch Zimtsterne wünschen und Bildung und Mozart erst recht nicht, auch Gesetz und Ordnung nicht, jedenfalls nicht unser Gesetz und unsere Ordnung, sondern Identität und Heimat – ihre Identität und ihre Heimat.

Dazu gehört, dass islamische Mädchen, die sich mit Deutschen einlassen, die Familienehre verletzen und erschossen werden. In Holland werden Holländer erstochen, wenn sie den Koran nicht ernst nehmen. Auch das ist eine Frage der islamischen Ehre. Das alles ist nicht verwunderlich.

Verwunderlich ist nur, dass wir Europäer so lange gebraucht haben, das alles in seiner kulturellen Logik zu verstehen - wo wir doch immer von den Menschenrechten reden. Gehört es nicht zum ureigensten Menschenrecht, der sein zu dürfen, der man ist? Soll ein Deutscher Türke werden müssen, wenn er seinen Wohnsitz am Marmara-Meer bezieht? Wird ein Franzose Marokkaner, wenn er die Renault-Vertretung in Marrakesch übernimmt? Warum sollen Türken, Algerier, Marokkaner, Inder und Indianer, meinetwegen auch Kroaten oder Afrikaner Deutsche werden, wenn Sie hier arbeiten? Ist das nicht eine Form der kulturellen Vergewaltigung? Handelt es sich nicht um ein gigantisches kulturelles Missverständnis – der Europäer.

Die Ausländer wollen nicht so sein wie wir. Das ist nicht nur verständlich, das ist im höchsten Maße legitim. Die Folge ist: Die Türken wollen – auf deutschem Boden - in der Türkei leben. Die Algerier wollen – auf französischem Boden – in Algerien leben, die Pakistani wollen - auf englischem Boden – in Pakistan leben. Sie wollen offenbar nicht Besucher sein oder Gäste oder Arbeiter.

Was also bleibt? Sie wollen Eroberer sein. Das hat uns spätestens der Mörder von Theo van Gogh gelehrt. Und jetzt lehren uns das die Jungs aus dem Magreb. Sie sind Soldaten, Kämpfer, Kulturkämpfer. Sie sind hier geboren und aufgewachsen, aber sie hassen uns, wie der französische Philosoph André Glucksman konstatiert. Es geht nämlich um die moderne und aktuellste Phase jener groß angelegten conquista, die mit der Unterwerfung und Eroberung des christlichen Morgenlandes im frühen Mittelalter begann, des einst orthodoxen Syrien, der koptischen Kultur in Ägypten, von Nordafrika, Spanien, Sizilien von Konstantinopel. Eine lange und langsam herangereifte Kulturlandschaft, Altertum und Christentum, wurde systematisch verwüstet, geistig und physisch. Die Zerstörung der Bibliothek in Alexandria, der größten Bibliothek der damaligen Welt, durch den Kalifen Omar im Jahre 641 gilt den Mohammedanern noch heute als Ruhmestat.

Mit Mohammed, der 610 zum ersten Mal als Prophet auftritt, beginnt der islamische Imperialismus. Dessen Ziel war und ist noch immer – wie man von Al Quiada hören kann – die Zerstörung Europas, dem Land der Ungläubigen, der Christen und der Juden. Die islamische conquista ist ein Langfristprojekt, wie unsere Politiker sagen würden, ein Projekt der long duree, wie es der französische Historiker Fernand Braudel nennt.

Wer nur die aktuellen Ereignisse im Auge hat - Birmingham, Amsterdam, Paris - kann glauben, mit Bildungsangeboten, Sprachkursen und Arbeitslosengeld die Heerscharen der selbstbewussten, Fackel schwingenden Jugendlichen bändigen zu können. Die sind hier als Erbe einer 1400-jährigen siegreichen Geschichte. Die setzten auf "Sieg", ein Wort, das die meisten Europäer verabscheuen.

Die Frage geht an uns und heißt: Wollen wir die sein, die wir sind? Und wollen wir siegen? Die Frage ist nicht nur grundsätzlich, sie ist auch aktuell. Im Wahlkampf hatte die CDU das Versprechen abgegeben, unser Volk vor der islamischen conquista zu schützen. Die Union wollte eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei. Jetzt hat sie in den Koalitionsverhandlungen dieses Versprechen gebrochen. Nun also anstatt einer privilegierten, aber distanzierten Partnerschaft die Pespektive einer Intifada. Was sagt all das über das Geschichtsverständnis der Christlich Demokratischen Union Deutschlands?

Alexander Schuller ist Soziologe, Publizist und Professor in Berlin. Er hatte Forschungsprofessuren in den USA (Princeton, Harvard) und ist Mitherausgeber von "Paragrana" (Akademie-Verlag). In seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen befasst er sich mit Fragen der Anthropologie und der Bildungs-, Medizin-, Geschichts- und Alltagssoziologie. Er arbeitet als Rundfunk-Autor sowie für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und gelegentlich für die TAZ, die Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Die Zeit und für die Zeitschriften Merkur und Universitas.