Heißer Draht und kühler Kopf
Pfälzer exportieren 46 Prozent ihrer Produkte und sind deshalb anfällig für eine Weltwirtschaftskrise. Durch die Finanzkrise unverschuldet in Not geratene Mittelständler können sich mit ihren Problemen an die "Koordinierungsstelle Unternehmenshilfe und Beschäftigungssicherung" wenden.
800 Millionen Euro. Das ist eine stolze Summe. Zumindest für ein kleines Land, das schon 30 Milliarden Euro Schulden hat. Aber weil die Zeiten schwer sind und weil in schweren Zeiten der Staat stabilisieren muss, hat das kleine, verschuldete Rheinland-Pfalz seinen Bürgschaftsrahmen für Unternehmen auf 800 Millionen Euro verdoppelt. Und bei 30 Milliarden Euro Schulden kommt es darauf wahrscheinlich auch nicht mehr an.
"Als Mittelstandsland war es uns wichtig, eine Organisationsstruktur zu schaffen, dass gerade kleinen Unternehmen genau so schnell geholfen wird wie anderen Unternehmen. Und deswegen haben wir schnell gehandelt."
Schnell haben sie in Mainz eine Hotline für Unternehmer in Not, für Betriebe in der Kreditklemme eingerichtet: Wer die Mainzer Telefonnummer 16-2777 anruft, der landet bei Joe Weingarten. Joe Weingarten könnte von Statur, Physiognomie und Begeisterung fürs eigene Tun ein kleiner Bruder von Kurt Beck, dem Landesvater, sein. Jetzt ist Joe Weingarten erst einmal die Stimme und das Gesicht hinter der Hotline, die offiziell "Koordinierungsstelle für Unternehmenshilfe und Beschäftigungssicherung" heißt und die ein paar zupackende Jungs Ende vergangenen Jahres in einer ziemlichen Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Hochflorboden des Wirtschaftsministeriums gestampft haben. Es war kurz vorm Wochenende im Advent, erinnert sich Joe Weingarten:
"Es war in der Tat so, dass an einem Freitagabend rundgerufen wurde, wir sollen uns beim Minister treffen. Und dann ist ziemlich schnell klar geworden aus den Berichten verschiedener Kollegen, dass wir in mehreren Branchen Probleme haben. Und dann haben wir uns hingesetzt und gesagt: "Wir überlegen uns mal übers Wochenende ein Konzept", und haben dann binnen einer Woche eine Kabinettsvorlage gemacht und die Landesregierung konnte sachlich entscheiden, was sie da machen will. Also das war ein sehr kurzfristiges Entscheiden."
Kurzfristig wird auch über die Hilfsanträge entschieden: Zehn Werktage Bearbeitungszeit verspricht das Land, verspricht Joe Weingarten ganz persönlich. Seitdem rufen sie an, die Kleinunternehmer und Mittelständler, denen die Aufträge wegbrechen und die Luft auszugehen droht. Fast 400 Anfragen gab es bisher, 250 Firmenchefs haben Hilfe vom Land beantragt. Die Namen der Firmen und ihrer Chefs verrät einem Joe Weingarten natürlich nicht, denn die ohnehin lahmenden Geschäfte würden noch schlechter laufen, wenn rauskäme, dass ein Unternehmen sich unter den Landesrettungsschirm geflüchtet hat, um finanziell ins Trockene zu kommen. Aber soviel kann Joe Weingarten sagen: Kerngesunde Unternehmen seien das, die sich an die Hotline wendeten, Firmen, die noch nie auf staatliche Unterstützung zurückgegriffen hätten. Also: die meisten jedenfalls.
"Wir haben es jetzt mit Unternehmen zu tun, von denen es ganz praktisch gesehen überhaupt keine Akten und Unterlagen hier gibt, weil die noch niemals beispielsweise in einem Förderfall bei der Landesregierung vorgesprochen haben, weil die eigentlich immer alleine zurecht gekommen sind. Und so soll es ja eigentlich auch sein. Also im Grunde kerngesunde Unternehmen, die im November, Dezember realisiert haben, dass aus Gründen, die nicht sie zu verantworten haben, die Aufträge drastisch weggebrochen sind. Sie haben sozusagen die ganze Wertschöpfungskette vor sich: Sie haben einen Automobilproduzenten, der in Schwierigkeiten geraten ist, das zieht Schwierigkeiten bei den Automobilzulieferen nach sich, das zieht Schwierigkeiten nach sich in einem Sektor, in dem wir in Rheinland-Pfalz sehr stark sind, die zweite Reihe der Automobilzulieferer, die wirklich von den Hauptzulieferern abhängig sind, aber eben auch hochqualifiziert für die arbeiten. Sie haben die Speditionen, die dann weniger zu transportieren haben. Sie haben die Dienstleister für diese Unternehmen. Am Schluss haben Sie dann das Problem der Werkskantine einer großen Spedition, die für ein großes Automobilunternehmen fährt, und alle drei Beteiligten sind in Schwierigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen - also von zehn bis in die Hunderten von Beschäftigten."
Ihnen allen fehlen erst die Aufträge und dann das Geld.
Wessen Auftragseingang binnen dreier Monate um 25 Prozent oder mehr zurückgegangen ist, der darf die 16-2777 anrufen und sich helfen lassen. Natürlich zahlt nicht Joe Weingarten irgendwelches Geld aus, er leitet ja nur eine Koordinierungs- keine Zahl- oder Zapfstelle. Was Joe Weingarten tut, ist: Er lotst die Hilfesuchenden durch den Wirtschaftsförderungsparcours bis zur Liquiditätsquelle. Die heißt in Rheinland-Pfalz Investitions- und Strukturbank. Die ISB bürgt für sogenannte Betriebsmittelkredite bis zu einer Million Euro. 20 Prozent des Risikos muss allerdings die Hausbank des in die Klemme geratenen Unternehmens tragen. Denn: Natürlich kann niemand, nicht die Experten der ISB, nicht einmal der unerschütterliche Joe Weingarten, innerhalb der versprochenen Bearbeitungszeit von zehn Arbeitstagen wirklich gründlich prüfen, wie es um eine Firma steht, ob sie das Potenzial hat, die Krise zu überleben.
"Also die Hausbanken sind Teil des Hilfsprojekts. Wir verlassen uns auch auf die Expertisen dieser Banken, die ihre Kunden auch kennen, die einen Teil des Risikos des Kredits auch mittragen müssen. Die Beschleunigung des Prozesses kommt daher, dass wir in dieser Situation darauf verzichten, sozusagen die durch eine Expertise unterlegte Entscheidung der Bank nochmal langwierig zu überprüfen. Sondern wir haben gesagt, wir geben da jetzt einfach mal einen Vertrauensvorschuss an die Banken und sagen: Wenn die sagen, das ist zu tragen und die kommen wieder raus aus den Schwierigkeiten, dann gehen wir diesen Weg auch mit."
Die Hausbank sagt also: Alles bestens, das Unternehmen ist trotz Krise kreditwürdig - und die ISB, also das Land Rheinland-Pfalz, also schlussendlich der rheinland-pfälzische Steuerzahler bürgt dafür. Klingt völlig unlogisch. Denn wenn die Hausbank findet, dass ein Unternehmen kreditwürdig ist - dann hat die Hausbank doch üblicherweise kein Verlangen, den Kredit mit einer Bürgschaft abzusichern. Joe Weingarten findet diesen Einwand sichtlich blöd. Erstens, sagt er, sei die Situation nicht danach, unnötige Fragen zu stellen. Und zweitens kenne man sich doch untereinander und vertraue sich. Und was, wenn nicht Vertrauen, sei wohl die Basis des anständigen Kaufmanns? Eben.
"Es hat jetzt auch keinen Sinn, grundsätzlich zu philosophieren, warum diese Zurückhaltung da ist. Wir haben gesagt, den Punkt diskutieren wir an anderer Stelle, sondern wir versuchen jetzt, möglichst schnell zu helfen. Die einen geben die Expertise, die anderen geben die Sicherheit. Und dann viele Gespräche mit den Bearbeitern, mit den Firmenkundenbetreuern in den Banken, in den Sparkassen, und da ist deutlich zu spüren: Die kennen natürlich die Firmen vor Ort. Man kennt sich auch rein menschlich, man läuft sich über den Weg. Und denen ist klar, was das bedeutet, wenn - ich nehme ein willkürliches Beispiel - in einem Ort wie Pirmasens ein Unternehmen mit 20, 30 oder 40 Beschäftigten in Schwierigkeiten ist. Dann werden die alles tun, um das zu erhalten, weil diese 40 Arbeitsplätze mal irgendwann neu zu schaffen viel aufwändiger ist als sie jetzt hier zu halten. Diese Vernetzung haben wir im Land, und das macht die Dinge definitiv leichter."
Die Maxime ist also: Erst einmal handeln, erst einmal helfen. Über die Kosten reden wir später. Wettretten könnte man das nennen. Auf dem Weg nach Wolfstein in der tiefsten Pfalz ist genug Zeit, darüber nachzudenken, was einem Joe Weingarten erzählt hat. In Wolfstein in der Pfalz produziert die Karl Otto Braun GmbH & Co. KG seit 105 Jahren medizinische Binden für Mensch und Tier: Fixierbinden, Stützbinden, Kompressionsbinden. Ein krisensicheres Geschäft, denn gestürzt und operiert und anschließend mit Verbandsmaterial aus Wolfstein verbunden wird immer. Weltweit. Auch in der Wirtschaftskrise. Wahrscheinlich ist der Geschäftsführende Gesellschafter der Karl Otto Braun GmbH & Co. KG auch deswegen so entspannt. Dr. Gerhard F. Braun braucht für sein Familienunternehmen keine Hilfe vom Land, aber im Nebenberuf ist Dr. Gerhard F. Braun Präsident der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz. Und als solcher findet er das Kriseninterventionsprogramm, die Krisenhotline und das Krisenmanagement der Regierung Beck nicht verkehrt. Auch wenn das Problem mehr im psychologischen als im ökonomischen Bereich lauert, sagt Gerhard F. Braun.
"Man hört sehr viel von der Kreditkrise. Ich habe aus unserer Mitgliedschaft und aus den Gesprächen, die ich ja sehr viel führe mit Unternehmerkollegen kein verstärktes Kreditproblem gehört. Was wir ganz vordringlich brauchen ist das Zurückgewinnen von Vertrauen. Deswegen ist dieser wie andere Schutzschirme beziehungsweise Netze, die wir aufspannen, wichtig, um die Psychologie im Lande wieder ins richtige Lot zu bekommen. Der rein wirtschaftliche Nutzen aus diesem Programm, den kann man sicher im ein oder anderen Fall hinterfragen. Aber auch gerade für die mittelständische Wirtschaft ein Signal zu setzen, dass etwas getan wird, wenn sie von der Krise übermäßig stark betroffen sind, das halte ich für ein wichtiges Signal. Aber es gibt auch Unternehmen, die nicht wegen dieser Krise, sondern wegen ganz anderer, wegen Strukturproblemen Probleme haben. Die versuchen jetzt unter diesen Schutzschirm zu kommen, und das muss vermieden werden. Das Schlechteste, was wir jetzt tun könnten, wäre mit diesem Geld schlechte Strukturen zu erhalten. Der Markt ist ja dazu da, solche Unternehmen aus dem Markt zu werfen, die nicht richtig wirtschaften, die sich nicht richtig aufstellen. Und diese Marktfunktion darf nicht ausgehebelt werden durch dieses Rettungspaket."
So ein Unternehmen, das der "Marktfunktion" entkommen möchte, ist der einstmals stolze Nähmaschinenhersteller Pfaff in Kaiserslautern, der allerdings schon lange keine Nähmaschinen baut, sondern industrielle Nähgroßanlagen. Zum zweiten Mal in zehn Jahren musste dort eine Geschäftsführung den Gang zum Amtsgericht antreten, um Insolvenz anzumelden. Das war im September vergangenen Jahres, also lange bevor sie in Berlin und Mainz und im Dienstzimmer von Joe Weingarten den Kampf gegen die Wirtschaftskrise aufgenommen haben. Pfaff ist einfach pleite, weil keiner mehr Pfaff-Nähgroßanlagen gekauft hat. Das Land möchte trotzdem helfen und das Problem lösen, das Insolvenzverwalter Paul Wieschemann so beschreibt:
"Die Problematik bei Pfaff ist nicht der Kaufpreis, der ist vom Gesamtvolumen relativ gering. Das Hauptproblem sind bei Pfaff die mit der Übernahme verbundenen Folgekosten. Die treffen den neuen Investor und diese Summe macht eben die Übernahme von Pfaff so schwierig."
Doch Pfaff beschäftigt immer noch 400 Leute. 400 Leute sind in einer ohnehin strukturschwachen, ohnehin nicht vom Wohlstand verwöhnten Region wie der Pfalz eine Menge. Jedenfalls landespolitisch gesehen. Und deswegen soll sich jetzt auch Pfaff unter den Rettungsschirm des Landes Rheinland-Pfalz flüchten dürfen. Denn, so die Logik, wenn nicht die Wall Street Banken den Bach runtergegangen wären, dann wäre der amerikanische Hedgefonds QVT nicht in Schwierigkeiten geraten, wodurch dessen britische Mehrheitsbeteiligung ACP Capital in Schwierigkeiten kam, die damit ihre deutsche Tochter CGI in München in Schwierigkeiten brachte, die deswegen bei ihrem Investment Pfaff in der Pfalz kein Geld mehr nachschießen konnte. Und so ist für die Landesregierung auch Pfaff am Ende ein Opfer der globalen Finanzkrise. Unternehmerpräsident Gerhard F. Braun kräuselt die Lippen, wenn er so was hört.
"Also das Beispiel Pfaff ist ein sehr trauriges. Ich bin der Ansicht, dass es nicht gerechtfertigt ist, diesem Unternehmen weiter Steuergelder zuzuführen. Wir haben viele Millionen in den letzten Jahren in Pfaff investiert. Und das Ergebnis sehen wir heute. Ich persönlich bin fest überzeugt, dass es verschwendetes Geld wäre. Pfaff ist für mich ein wirkliches Beispiel, bei dem Geld gnadenlos verbrannt worden ist."
Es gibt da so eine Eigenwerbung des Landes, in der sich die Regierung von Kurt Beck ihrer wirtschaftpolitischen Erfolge rühmt. Gut, der Spot stammt aus besseren Tagen, als von Krise keine Spur und Rheinland-Pfalz auf dem Weg in die ökonomische Bundesliga unter den Bundesländern war. Aber der Spruch am Ende, der gilt mehr denn je:
Rheinland-Pfalz - wir machen's einfach!
"Wir sind ja hier keine Hasardeure, die wild versuchen, jedes Unternehmen zu retten. Sondern wir versuchen, in einem bestimmten Segment zu helfen. Jetzt. Akut. Niemand läuft hier mit der Gießkanne durchs Land und fragt: Wer braucht noch einen Kredit? Sondern wir verbürgen Kredite. Das sind Unternehmen, die diese eines Tages wieder zurückzahlen müssen. Also das ist schon ein sehr rationaler Ansatz. Hier werden nicht wild Subventionen verstreut."
... sagt in seinem Büro in Mainz Joe Weingarten. Und man möchte es ihm so gerne glauben. Aber man weiß ja auch, dass die Landesregierung intern damit rechnet, am Ende für zwölf, vielleicht auch 15 Prozent der vom Land verbürgten Krisenkredite einstehen zu müssen. Im schlimmsten Fall wären das 120 Millionen Euro. Aber vielleicht ist das in dieser Lage und bei Landesschulden von 30 Milliarden Euro wirklich egal. Joe Weingarten und sein Team werden weiterarbeiten. So lange, bis die Krise vorüber ist, bis sie sich in der "Koordinierungsstelle für Unternehmenshilfe und Beschäftigungssicherung" selbst überflüssig gemacht haben und guten Gewissens das im Dezember hastig angefertigte Schild mit dem Landeswappen und dem Namen ihrer Einrichtung wieder von den Glastüren des Ministeriumsgebäudes abknibbeln können.
""Ich glaube, der Minister würde sich freuen, wenn er verkünden könnte "Thema erledigt!" und wir stellen diese Stelle ein und kümmern uns wieder um unsere anderen Aufgaben. Aber so lange das notwendig ist, so lange bleibt dieses Schild dort hängen.!"
"Als Mittelstandsland war es uns wichtig, eine Organisationsstruktur zu schaffen, dass gerade kleinen Unternehmen genau so schnell geholfen wird wie anderen Unternehmen. Und deswegen haben wir schnell gehandelt."
Schnell haben sie in Mainz eine Hotline für Unternehmer in Not, für Betriebe in der Kreditklemme eingerichtet: Wer die Mainzer Telefonnummer 16-2777 anruft, der landet bei Joe Weingarten. Joe Weingarten könnte von Statur, Physiognomie und Begeisterung fürs eigene Tun ein kleiner Bruder von Kurt Beck, dem Landesvater, sein. Jetzt ist Joe Weingarten erst einmal die Stimme und das Gesicht hinter der Hotline, die offiziell "Koordinierungsstelle für Unternehmenshilfe und Beschäftigungssicherung" heißt und die ein paar zupackende Jungs Ende vergangenen Jahres in einer ziemlichen Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Hochflorboden des Wirtschaftsministeriums gestampft haben. Es war kurz vorm Wochenende im Advent, erinnert sich Joe Weingarten:
"Es war in der Tat so, dass an einem Freitagabend rundgerufen wurde, wir sollen uns beim Minister treffen. Und dann ist ziemlich schnell klar geworden aus den Berichten verschiedener Kollegen, dass wir in mehreren Branchen Probleme haben. Und dann haben wir uns hingesetzt und gesagt: "Wir überlegen uns mal übers Wochenende ein Konzept", und haben dann binnen einer Woche eine Kabinettsvorlage gemacht und die Landesregierung konnte sachlich entscheiden, was sie da machen will. Also das war ein sehr kurzfristiges Entscheiden."
Kurzfristig wird auch über die Hilfsanträge entschieden: Zehn Werktage Bearbeitungszeit verspricht das Land, verspricht Joe Weingarten ganz persönlich. Seitdem rufen sie an, die Kleinunternehmer und Mittelständler, denen die Aufträge wegbrechen und die Luft auszugehen droht. Fast 400 Anfragen gab es bisher, 250 Firmenchefs haben Hilfe vom Land beantragt. Die Namen der Firmen und ihrer Chefs verrät einem Joe Weingarten natürlich nicht, denn die ohnehin lahmenden Geschäfte würden noch schlechter laufen, wenn rauskäme, dass ein Unternehmen sich unter den Landesrettungsschirm geflüchtet hat, um finanziell ins Trockene zu kommen. Aber soviel kann Joe Weingarten sagen: Kerngesunde Unternehmen seien das, die sich an die Hotline wendeten, Firmen, die noch nie auf staatliche Unterstützung zurückgegriffen hätten. Also: die meisten jedenfalls.
"Wir haben es jetzt mit Unternehmen zu tun, von denen es ganz praktisch gesehen überhaupt keine Akten und Unterlagen hier gibt, weil die noch niemals beispielsweise in einem Förderfall bei der Landesregierung vorgesprochen haben, weil die eigentlich immer alleine zurecht gekommen sind. Und so soll es ja eigentlich auch sein. Also im Grunde kerngesunde Unternehmen, die im November, Dezember realisiert haben, dass aus Gründen, die nicht sie zu verantworten haben, die Aufträge drastisch weggebrochen sind. Sie haben sozusagen die ganze Wertschöpfungskette vor sich: Sie haben einen Automobilproduzenten, der in Schwierigkeiten geraten ist, das zieht Schwierigkeiten bei den Automobilzulieferen nach sich, das zieht Schwierigkeiten nach sich in einem Sektor, in dem wir in Rheinland-Pfalz sehr stark sind, die zweite Reihe der Automobilzulieferer, die wirklich von den Hauptzulieferern abhängig sind, aber eben auch hochqualifiziert für die arbeiten. Sie haben die Speditionen, die dann weniger zu transportieren haben. Sie haben die Dienstleister für diese Unternehmen. Am Schluss haben Sie dann das Problem der Werkskantine einer großen Spedition, die für ein großes Automobilunternehmen fährt, und alle drei Beteiligten sind in Schwierigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen - also von zehn bis in die Hunderten von Beschäftigten."
Ihnen allen fehlen erst die Aufträge und dann das Geld.
Wessen Auftragseingang binnen dreier Monate um 25 Prozent oder mehr zurückgegangen ist, der darf die 16-2777 anrufen und sich helfen lassen. Natürlich zahlt nicht Joe Weingarten irgendwelches Geld aus, er leitet ja nur eine Koordinierungs- keine Zahl- oder Zapfstelle. Was Joe Weingarten tut, ist: Er lotst die Hilfesuchenden durch den Wirtschaftsförderungsparcours bis zur Liquiditätsquelle. Die heißt in Rheinland-Pfalz Investitions- und Strukturbank. Die ISB bürgt für sogenannte Betriebsmittelkredite bis zu einer Million Euro. 20 Prozent des Risikos muss allerdings die Hausbank des in die Klemme geratenen Unternehmens tragen. Denn: Natürlich kann niemand, nicht die Experten der ISB, nicht einmal der unerschütterliche Joe Weingarten, innerhalb der versprochenen Bearbeitungszeit von zehn Arbeitstagen wirklich gründlich prüfen, wie es um eine Firma steht, ob sie das Potenzial hat, die Krise zu überleben.
"Also die Hausbanken sind Teil des Hilfsprojekts. Wir verlassen uns auch auf die Expertisen dieser Banken, die ihre Kunden auch kennen, die einen Teil des Risikos des Kredits auch mittragen müssen. Die Beschleunigung des Prozesses kommt daher, dass wir in dieser Situation darauf verzichten, sozusagen die durch eine Expertise unterlegte Entscheidung der Bank nochmal langwierig zu überprüfen. Sondern wir haben gesagt, wir geben da jetzt einfach mal einen Vertrauensvorschuss an die Banken und sagen: Wenn die sagen, das ist zu tragen und die kommen wieder raus aus den Schwierigkeiten, dann gehen wir diesen Weg auch mit."
Die Hausbank sagt also: Alles bestens, das Unternehmen ist trotz Krise kreditwürdig - und die ISB, also das Land Rheinland-Pfalz, also schlussendlich der rheinland-pfälzische Steuerzahler bürgt dafür. Klingt völlig unlogisch. Denn wenn die Hausbank findet, dass ein Unternehmen kreditwürdig ist - dann hat die Hausbank doch üblicherweise kein Verlangen, den Kredit mit einer Bürgschaft abzusichern. Joe Weingarten findet diesen Einwand sichtlich blöd. Erstens, sagt er, sei die Situation nicht danach, unnötige Fragen zu stellen. Und zweitens kenne man sich doch untereinander und vertraue sich. Und was, wenn nicht Vertrauen, sei wohl die Basis des anständigen Kaufmanns? Eben.
"Es hat jetzt auch keinen Sinn, grundsätzlich zu philosophieren, warum diese Zurückhaltung da ist. Wir haben gesagt, den Punkt diskutieren wir an anderer Stelle, sondern wir versuchen jetzt, möglichst schnell zu helfen. Die einen geben die Expertise, die anderen geben die Sicherheit. Und dann viele Gespräche mit den Bearbeitern, mit den Firmenkundenbetreuern in den Banken, in den Sparkassen, und da ist deutlich zu spüren: Die kennen natürlich die Firmen vor Ort. Man kennt sich auch rein menschlich, man läuft sich über den Weg. Und denen ist klar, was das bedeutet, wenn - ich nehme ein willkürliches Beispiel - in einem Ort wie Pirmasens ein Unternehmen mit 20, 30 oder 40 Beschäftigten in Schwierigkeiten ist. Dann werden die alles tun, um das zu erhalten, weil diese 40 Arbeitsplätze mal irgendwann neu zu schaffen viel aufwändiger ist als sie jetzt hier zu halten. Diese Vernetzung haben wir im Land, und das macht die Dinge definitiv leichter."
Die Maxime ist also: Erst einmal handeln, erst einmal helfen. Über die Kosten reden wir später. Wettretten könnte man das nennen. Auf dem Weg nach Wolfstein in der tiefsten Pfalz ist genug Zeit, darüber nachzudenken, was einem Joe Weingarten erzählt hat. In Wolfstein in der Pfalz produziert die Karl Otto Braun GmbH & Co. KG seit 105 Jahren medizinische Binden für Mensch und Tier: Fixierbinden, Stützbinden, Kompressionsbinden. Ein krisensicheres Geschäft, denn gestürzt und operiert und anschließend mit Verbandsmaterial aus Wolfstein verbunden wird immer. Weltweit. Auch in der Wirtschaftskrise. Wahrscheinlich ist der Geschäftsführende Gesellschafter der Karl Otto Braun GmbH & Co. KG auch deswegen so entspannt. Dr. Gerhard F. Braun braucht für sein Familienunternehmen keine Hilfe vom Land, aber im Nebenberuf ist Dr. Gerhard F. Braun Präsident der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz. Und als solcher findet er das Kriseninterventionsprogramm, die Krisenhotline und das Krisenmanagement der Regierung Beck nicht verkehrt. Auch wenn das Problem mehr im psychologischen als im ökonomischen Bereich lauert, sagt Gerhard F. Braun.
"Man hört sehr viel von der Kreditkrise. Ich habe aus unserer Mitgliedschaft und aus den Gesprächen, die ich ja sehr viel führe mit Unternehmerkollegen kein verstärktes Kreditproblem gehört. Was wir ganz vordringlich brauchen ist das Zurückgewinnen von Vertrauen. Deswegen ist dieser wie andere Schutzschirme beziehungsweise Netze, die wir aufspannen, wichtig, um die Psychologie im Lande wieder ins richtige Lot zu bekommen. Der rein wirtschaftliche Nutzen aus diesem Programm, den kann man sicher im ein oder anderen Fall hinterfragen. Aber auch gerade für die mittelständische Wirtschaft ein Signal zu setzen, dass etwas getan wird, wenn sie von der Krise übermäßig stark betroffen sind, das halte ich für ein wichtiges Signal. Aber es gibt auch Unternehmen, die nicht wegen dieser Krise, sondern wegen ganz anderer, wegen Strukturproblemen Probleme haben. Die versuchen jetzt unter diesen Schutzschirm zu kommen, und das muss vermieden werden. Das Schlechteste, was wir jetzt tun könnten, wäre mit diesem Geld schlechte Strukturen zu erhalten. Der Markt ist ja dazu da, solche Unternehmen aus dem Markt zu werfen, die nicht richtig wirtschaften, die sich nicht richtig aufstellen. Und diese Marktfunktion darf nicht ausgehebelt werden durch dieses Rettungspaket."
So ein Unternehmen, das der "Marktfunktion" entkommen möchte, ist der einstmals stolze Nähmaschinenhersteller Pfaff in Kaiserslautern, der allerdings schon lange keine Nähmaschinen baut, sondern industrielle Nähgroßanlagen. Zum zweiten Mal in zehn Jahren musste dort eine Geschäftsführung den Gang zum Amtsgericht antreten, um Insolvenz anzumelden. Das war im September vergangenen Jahres, also lange bevor sie in Berlin und Mainz und im Dienstzimmer von Joe Weingarten den Kampf gegen die Wirtschaftskrise aufgenommen haben. Pfaff ist einfach pleite, weil keiner mehr Pfaff-Nähgroßanlagen gekauft hat. Das Land möchte trotzdem helfen und das Problem lösen, das Insolvenzverwalter Paul Wieschemann so beschreibt:
"Die Problematik bei Pfaff ist nicht der Kaufpreis, der ist vom Gesamtvolumen relativ gering. Das Hauptproblem sind bei Pfaff die mit der Übernahme verbundenen Folgekosten. Die treffen den neuen Investor und diese Summe macht eben die Übernahme von Pfaff so schwierig."
Doch Pfaff beschäftigt immer noch 400 Leute. 400 Leute sind in einer ohnehin strukturschwachen, ohnehin nicht vom Wohlstand verwöhnten Region wie der Pfalz eine Menge. Jedenfalls landespolitisch gesehen. Und deswegen soll sich jetzt auch Pfaff unter den Rettungsschirm des Landes Rheinland-Pfalz flüchten dürfen. Denn, so die Logik, wenn nicht die Wall Street Banken den Bach runtergegangen wären, dann wäre der amerikanische Hedgefonds QVT nicht in Schwierigkeiten geraten, wodurch dessen britische Mehrheitsbeteiligung ACP Capital in Schwierigkeiten kam, die damit ihre deutsche Tochter CGI in München in Schwierigkeiten brachte, die deswegen bei ihrem Investment Pfaff in der Pfalz kein Geld mehr nachschießen konnte. Und so ist für die Landesregierung auch Pfaff am Ende ein Opfer der globalen Finanzkrise. Unternehmerpräsident Gerhard F. Braun kräuselt die Lippen, wenn er so was hört.
"Also das Beispiel Pfaff ist ein sehr trauriges. Ich bin der Ansicht, dass es nicht gerechtfertigt ist, diesem Unternehmen weiter Steuergelder zuzuführen. Wir haben viele Millionen in den letzten Jahren in Pfaff investiert. Und das Ergebnis sehen wir heute. Ich persönlich bin fest überzeugt, dass es verschwendetes Geld wäre. Pfaff ist für mich ein wirkliches Beispiel, bei dem Geld gnadenlos verbrannt worden ist."
Es gibt da so eine Eigenwerbung des Landes, in der sich die Regierung von Kurt Beck ihrer wirtschaftpolitischen Erfolge rühmt. Gut, der Spot stammt aus besseren Tagen, als von Krise keine Spur und Rheinland-Pfalz auf dem Weg in die ökonomische Bundesliga unter den Bundesländern war. Aber der Spruch am Ende, der gilt mehr denn je:
Rheinland-Pfalz - wir machen's einfach!
"Wir sind ja hier keine Hasardeure, die wild versuchen, jedes Unternehmen zu retten. Sondern wir versuchen, in einem bestimmten Segment zu helfen. Jetzt. Akut. Niemand läuft hier mit der Gießkanne durchs Land und fragt: Wer braucht noch einen Kredit? Sondern wir verbürgen Kredite. Das sind Unternehmen, die diese eines Tages wieder zurückzahlen müssen. Also das ist schon ein sehr rationaler Ansatz. Hier werden nicht wild Subventionen verstreut."
... sagt in seinem Büro in Mainz Joe Weingarten. Und man möchte es ihm so gerne glauben. Aber man weiß ja auch, dass die Landesregierung intern damit rechnet, am Ende für zwölf, vielleicht auch 15 Prozent der vom Land verbürgten Krisenkredite einstehen zu müssen. Im schlimmsten Fall wären das 120 Millionen Euro. Aber vielleicht ist das in dieser Lage und bei Landesschulden von 30 Milliarden Euro wirklich egal. Joe Weingarten und sein Team werden weiterarbeiten. So lange, bis die Krise vorüber ist, bis sie sich in der "Koordinierungsstelle für Unternehmenshilfe und Beschäftigungssicherung" selbst überflüssig gemacht haben und guten Gewissens das im Dezember hastig angefertigte Schild mit dem Landeswappen und dem Namen ihrer Einrichtung wieder von den Glastüren des Ministeriumsgebäudes abknibbeln können.
""Ich glaube, der Minister würde sich freuen, wenn er verkünden könnte "Thema erledigt!" und wir stellen diese Stelle ein und kümmern uns wieder um unsere anderen Aufgaben. Aber so lange das notwendig ist, so lange bleibt dieses Schild dort hängen.!"