Heiße Jahre - heiße Luft?
Vorweg gesagt: Dies ist ein Theaterbuch, das sich bei Bedarf in einem Rutsch lesen lässt. Wie schon "My Way", der erste Teil der Autobiographie, erschienen vor acht Jahren, summiert auch "Die heißen Jahre" das Leben des Regisseurs Peter Zadek als "erzählte Geschichte"; und kommt daher extrem lebendig, flott und lustig daher, mit viel Tratsch und Männer- und Weibergeschichten - wie ein hübsches Stückchen Boulevard-Theater.
Genau darum aber muss vorweg auch daran erinnert werden: Dies ist ja tatsächlich ein "erzähltes" Buch, kein geschriebenes - im Vorwort des ersten Bandes (und leider in diesem Band jetzt nicht mehr) wies der Lektor Helge Malchow darauf hin; und das mit gutem Grund. Denn die latente, unüberlesbare Oberflächlichkeit, das immer eher Anekdotische und nur selten ernsthaft Reflektierte in Zadeks Geschichtenerzähler-Ton bekommt prompt ein wenig mehr an Fundament und Festigkeit, wenn die Geschichte der Entstehung bekannt ist - Zadek und Malchow saßen damals ungezählte Male beieinander, und das Tonband lief immer mit. Die erste wie nun die zweite Buch-Lieferung sind Ab- und Umschriften, Protokolle dieses Monologs.
Übrigens war Teil 2 als Material auch schon fertig, als Teil 1 erschien; für den Erscheinungstermin jetzt, zum 80. Geburtstag, wird Zadek nur noch ein paar Mal über den eigentlich fertigen Text gegangen sein und einige wenige Details eingefügt haben, etwa Kommentare zur Berliner Kulturpolitik. An sich aber ist der grundsätzliche Arbeits- und Erkenntnisstand von Teil 2 der von Teil 1, also weithin knapp zehn Jahre alt. Das erklärt unter anderem, wie oft sich Zadek gezielt im Gegensatz zu Heiner Müller positioniert - dessen Tod, und vor allem der Streit mit ihm zuvor, lagen damals nur kurze Zeit zurück. Von heute aus betrachtet, lesen sich speziell diese Contra-Müller-Passagen ein wenig nachtragend. - Aber das ist ein Detail, das nur Spezialisten stören sollte.
Zadek, geboren heute vor 80 Jahren in Berlin, als Jude mit den Eltern nach England emigriert und dort von der Pike auf als Student in Oxford und danach als Regisseur in der englischen Provinz mit ursprünglichsten Fertigkeiten des Theater-Regisseurs aufgewachsen - bevor er Ende der 50er Jahre erstmals wieder deutschen Boden betrat und auf deutschen Bühnen in Köln und Hannover inszenierte, berichtet Ort für Ort und Stück für Stück von den Stationen 3 und 4 der Karriere: Bochum und Hamburg. Ulm und Bremen, die Stationen 1 und 2, sind Teil von "My Way".
In Bochum ist er von 1972 an offiziell bis 1977 Intendant am Schauspielhaus, arbeitet aber auch gern außer Haus; in Hamburg sorgt er dabei seit 1973 für einige der Highlights im Spielplan des Intendanz-Kollegen Ivan Nagel am Schauspielhaus. "Die heißen Jahre" enden mit Nagels (und damit auch Zadeks) Abschied von Hamburg - sieben Jahre später wird Zadek dort am selben Haus als Intendant neu beginnen. Das steht dann wahrscheinlich im dritten Band.
Bochum muss tatsächlich nichts weniger gewesen sein als ein Wunder. Nebenbei: Bochum und das Schauspielhaus dort, diese Perle im Pott, kamen einem später öfter und kommen einem auch heute noch immer wieder wie ein Wunder vor. Dies ist nämlich Deutschlands schönste Theater-Stadt: weil das Publikum das Theater liebt wie kaum etwas sonst in dieser eher etwas tristen Umgebung.
Das aber hat viel zu tun mit Zadeks Zeit. Mit viel Verve und Emotion erzählt der Regisseur vom quasi dialektischen Doppelschlag, der seinem Theater dort gelingt: nämlich zugleich extrem populär, ja geradezu populistisch zu sein, und dabei (mit Fassbinder zu Beginn, dann Werner Schroeter und Augusto Fernandes) ästhetisch avanciert und experimentell.
Viel ist dabei von Zadek selbst die Rede - davon, wie wenig er Massen mag, auf der Bühne wie im Leben, und wie nah er sich gleichzeitig einzelnen Menschen im Theater fühlen kann und will; davon, wie er methodisch und zufällig zugleich den Kern jenes Personals für Bochum entdeckt, das sich von ihm ins Innerste schauen und sich mit diesem Blick dann ganz and gar gehen lassen kann: Ulrich Wildgruber, Hermann Lause, beide viel zu früh verstorben, Ilse Ritter, Eva Mattes, Rosel Zech. Immer ist dabei irgendwie Liebe im Spiel - auch wenn die Liste der Zadek-Geliebten mit der Zeit ein wenig nerven kann.
Die Souffleuse Traute Eichhorn, der organisationsbegabte Gottfried Greiffenhagen, manch Sonderling und mancher feste Halt sonst in Zadeks Leben bekommt ein Solo-Porträt spendiert. Unvergleichlich die Reportage über "Kleiner Mann, was nun?", den ersten Bochumer Erfolg gleich zu Beginn, und die über den Hamburger "Othello" von anno 1976, erklärtermaßen eine Orgie der Verstörungen auf der Bühne wie im Saal. Danach, schreibt Zadek ohne allzu viel Selbstüberschätzung, sei im deutschen Theater nichts mehr gewesen wie zuvor.
Deutlich unordentlicher aber als "My Way" gerät mit der Zeit dieser zweite Band: wie Kraut und Rüben. Es geht in Zadeks Erinnerung ziemlich drunter und drüber, hin und her; und je leichter sich der Erzählton gibt, desto spürbarer wird auch reichlich heiße Luft in diesen heißen Jahren. Beeindruckend mag durchaus die offene Rücksichtslosigkeit wirken, nach außen (etwa den Geliebten oder den Regie-Kollegen, etwa Peter Palitzsch, gegenüber, die er oft ziemlich rüde und ruppig abfertigt) wie auch beim Blick auf sich selber, etwa den Dauer-Suff und die eigene Pillen-Abhängigkeit in jenen "heißen" Jahren.
Aufregend ist sicher auch die Einschätzung eigener Arbeitsmethoden, und der Marotten, die damit zusammen hängen: Proben etwa wie unter Kuratel, mit dem kompletten Ensemble weggesperrt in einer Industriehalle, keine Garderoben und keine Kantine in der Nähe; parallele Improvisationen und die oft eher zerstörerische Energie zwischen Schauspielern, die Zadek fördert, um sie zu benutzen (zu missbrauchen?) für die Spannung innerhalb der Aufführung. Nicht umsonst hat er vor Jahren in einer Bochumer Diskussion bekannt, der Regisseur sei gelegentlich auch ziemlich gefährlich. Stimmt.
Aber wie für so viele Regie-Einzelgänger ist es halt auch Zadeks Ziel, "eine Familie" im Theater zu haben; oft weil sie im Leben so schwer zu gründen oder zu finden ist. Aber für die analytischeren Ansätze zu Zadeks Werk wäre nun dringend mal eine wirklich kluge Biographie von außen nötig, distanziert und einfühlsam - sonst stilisiert sich das Unikum Zadek mit den folgenden Bio-Bänden noch weiter ins Olympische.
Nachtrag: Ganz peinlich ist das Vorwort - von Matthias Matussek, Kulturchef beim "Spiegel" und für das deutsche Theater höchst gefährlich in seiner auch hier wieder praktizierten Manie, den furiosen Auf- und Umbruch von früher zum letzten Augenblick zu stilisieren, in dem Theater noch interessant war. Heute herrschten nunmehr Kleinmeister und Verwirrte die Bühnen, und Theater sei eine Zumutung fürs Publikum: "Dichtmachen!" ruft er gern und lässt er rufen zwischen den Zeilen. Solch einen Lobredner, so einen Bock als Gärtner hätte ich mir an Zadeks Stelle strengstens verbeten.
Peter Zadek: Die heißen Jahre. 1970 - 1980
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 416 Seiten
Übrigens war Teil 2 als Material auch schon fertig, als Teil 1 erschien; für den Erscheinungstermin jetzt, zum 80. Geburtstag, wird Zadek nur noch ein paar Mal über den eigentlich fertigen Text gegangen sein und einige wenige Details eingefügt haben, etwa Kommentare zur Berliner Kulturpolitik. An sich aber ist der grundsätzliche Arbeits- und Erkenntnisstand von Teil 2 der von Teil 1, also weithin knapp zehn Jahre alt. Das erklärt unter anderem, wie oft sich Zadek gezielt im Gegensatz zu Heiner Müller positioniert - dessen Tod, und vor allem der Streit mit ihm zuvor, lagen damals nur kurze Zeit zurück. Von heute aus betrachtet, lesen sich speziell diese Contra-Müller-Passagen ein wenig nachtragend. - Aber das ist ein Detail, das nur Spezialisten stören sollte.
Zadek, geboren heute vor 80 Jahren in Berlin, als Jude mit den Eltern nach England emigriert und dort von der Pike auf als Student in Oxford und danach als Regisseur in der englischen Provinz mit ursprünglichsten Fertigkeiten des Theater-Regisseurs aufgewachsen - bevor er Ende der 50er Jahre erstmals wieder deutschen Boden betrat und auf deutschen Bühnen in Köln und Hannover inszenierte, berichtet Ort für Ort und Stück für Stück von den Stationen 3 und 4 der Karriere: Bochum und Hamburg. Ulm und Bremen, die Stationen 1 und 2, sind Teil von "My Way".
In Bochum ist er von 1972 an offiziell bis 1977 Intendant am Schauspielhaus, arbeitet aber auch gern außer Haus; in Hamburg sorgt er dabei seit 1973 für einige der Highlights im Spielplan des Intendanz-Kollegen Ivan Nagel am Schauspielhaus. "Die heißen Jahre" enden mit Nagels (und damit auch Zadeks) Abschied von Hamburg - sieben Jahre später wird Zadek dort am selben Haus als Intendant neu beginnen. Das steht dann wahrscheinlich im dritten Band.
Bochum muss tatsächlich nichts weniger gewesen sein als ein Wunder. Nebenbei: Bochum und das Schauspielhaus dort, diese Perle im Pott, kamen einem später öfter und kommen einem auch heute noch immer wieder wie ein Wunder vor. Dies ist nämlich Deutschlands schönste Theater-Stadt: weil das Publikum das Theater liebt wie kaum etwas sonst in dieser eher etwas tristen Umgebung.
Das aber hat viel zu tun mit Zadeks Zeit. Mit viel Verve und Emotion erzählt der Regisseur vom quasi dialektischen Doppelschlag, der seinem Theater dort gelingt: nämlich zugleich extrem populär, ja geradezu populistisch zu sein, und dabei (mit Fassbinder zu Beginn, dann Werner Schroeter und Augusto Fernandes) ästhetisch avanciert und experimentell.
Viel ist dabei von Zadek selbst die Rede - davon, wie wenig er Massen mag, auf der Bühne wie im Leben, und wie nah er sich gleichzeitig einzelnen Menschen im Theater fühlen kann und will; davon, wie er methodisch und zufällig zugleich den Kern jenes Personals für Bochum entdeckt, das sich von ihm ins Innerste schauen und sich mit diesem Blick dann ganz and gar gehen lassen kann: Ulrich Wildgruber, Hermann Lause, beide viel zu früh verstorben, Ilse Ritter, Eva Mattes, Rosel Zech. Immer ist dabei irgendwie Liebe im Spiel - auch wenn die Liste der Zadek-Geliebten mit der Zeit ein wenig nerven kann.
Die Souffleuse Traute Eichhorn, der organisationsbegabte Gottfried Greiffenhagen, manch Sonderling und mancher feste Halt sonst in Zadeks Leben bekommt ein Solo-Porträt spendiert. Unvergleichlich die Reportage über "Kleiner Mann, was nun?", den ersten Bochumer Erfolg gleich zu Beginn, und die über den Hamburger "Othello" von anno 1976, erklärtermaßen eine Orgie der Verstörungen auf der Bühne wie im Saal. Danach, schreibt Zadek ohne allzu viel Selbstüberschätzung, sei im deutschen Theater nichts mehr gewesen wie zuvor.
Deutlich unordentlicher aber als "My Way" gerät mit der Zeit dieser zweite Band: wie Kraut und Rüben. Es geht in Zadeks Erinnerung ziemlich drunter und drüber, hin und her; und je leichter sich der Erzählton gibt, desto spürbarer wird auch reichlich heiße Luft in diesen heißen Jahren. Beeindruckend mag durchaus die offene Rücksichtslosigkeit wirken, nach außen (etwa den Geliebten oder den Regie-Kollegen, etwa Peter Palitzsch, gegenüber, die er oft ziemlich rüde und ruppig abfertigt) wie auch beim Blick auf sich selber, etwa den Dauer-Suff und die eigene Pillen-Abhängigkeit in jenen "heißen" Jahren.
Aufregend ist sicher auch die Einschätzung eigener Arbeitsmethoden, und der Marotten, die damit zusammen hängen: Proben etwa wie unter Kuratel, mit dem kompletten Ensemble weggesperrt in einer Industriehalle, keine Garderoben und keine Kantine in der Nähe; parallele Improvisationen und die oft eher zerstörerische Energie zwischen Schauspielern, die Zadek fördert, um sie zu benutzen (zu missbrauchen?) für die Spannung innerhalb der Aufführung. Nicht umsonst hat er vor Jahren in einer Bochumer Diskussion bekannt, der Regisseur sei gelegentlich auch ziemlich gefährlich. Stimmt.
Aber wie für so viele Regie-Einzelgänger ist es halt auch Zadeks Ziel, "eine Familie" im Theater zu haben; oft weil sie im Leben so schwer zu gründen oder zu finden ist. Aber für die analytischeren Ansätze zu Zadeks Werk wäre nun dringend mal eine wirklich kluge Biographie von außen nötig, distanziert und einfühlsam - sonst stilisiert sich das Unikum Zadek mit den folgenden Bio-Bänden noch weiter ins Olympische.
Nachtrag: Ganz peinlich ist das Vorwort - von Matthias Matussek, Kulturchef beim "Spiegel" und für das deutsche Theater höchst gefährlich in seiner auch hier wieder praktizierten Manie, den furiosen Auf- und Umbruch von früher zum letzten Augenblick zu stilisieren, in dem Theater noch interessant war. Heute herrschten nunmehr Kleinmeister und Verwirrte die Bühnen, und Theater sei eine Zumutung fürs Publikum: "Dichtmachen!" ruft er gern und lässt er rufen zwischen den Zeilen. Solch einen Lobredner, so einen Bock als Gärtner hätte ich mir an Zadeks Stelle strengstens verbeten.
Peter Zadek: Die heißen Jahre. 1970 - 1980
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 416 Seiten