Heiner Müller-Festival

Sankt Heiner lebt im Telefon und trägt Fummel

Der Dramatiker Heiner Müller
Der Dramatiker Heiner Müller im Dezember 1993 © dpa / Wolfgang Kluge
Von Gerd Brendel · 06.03.2016
Experimentelle Performance-Kunst trifft wortgewaltigen Dramatiker - so lässt sich das Festival zu Ehren Heiner Müllers beschreiben, dass das Berliner Theater Hebbel am Ufer, HAU, derzeit organisiert. Es ist ein ungewöhnliches Experiment.
"Schön dass Du hier bist. Die Hand am Telefon", höre ich Heiner Müller, vielmehr das, was der Künstler Till Müller Klug aus Interview- Ton-Schnipseln des Autors erschaffen hat.

"Ich bin kein Mensch mehr, sondern eine Mensch–Maschine", nämlich die Müllermatrix. Andächtig hören Besucher an den kleinen Telefontischchen im Foyer links und rechts von mir, was der Müller-Avatar je nach Tastenwahl zu Theater, Gesellschaft und natürlich Mensch und Maschine zu sagen hat, während drinnen auf der Bühne des HAU 2 die beiden australischen Performer Damian Rebgetz und Paul Hankinson ihre Version von Müllers Text: "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten" präsentieren.

"Die totale Besetzung mit Gegenwart"

Im Engel-Medea-Kostüm als Sprechgesang irgendwo zwischen Brian Eno und barocker Oper. Nett anzusehen, aber nur schwer anzuhören. Im HAU 3 , der dritten Spielstätte des Off-Theaters auf der anderen Seite des Landwehrkanals hat sich das Theaterkollektiv "Andcompany&Co" Müllers hellsichtige Vision vom Sieg der Maschinen über die Menschen vorgenommen.
Auszug: "Man muss irgendwann begreifen, dass nur die Kunstwerke, die auch technologisch auf der Höhe sind, politisch was bewirken können."
Andcompany allerdings bewegt sich mit seiner "Lecture- Performance" auf der technologischen Höhe und dem darstellerichen Niveau eines Seminar-Referats.

Auszug: "Herzlich willkommen hier zum Heiner Müller Festival hier im HAU, wir freuen uns einen Beitrag leisten zu können. Was jetzt passiert, ist die totale Besetzung mit Gegenwart."

Kein Heiner Müller Zitat fällt so oft wie dieses auf diesem Festival.

Quinones: "Also Er hat 1990 schon gesagt und das haben wir auch so als eine Art Motto über das gesamte Festival gestellt: "Was jetzt passiert, ist die totale Besetzung mit Gegenwart."
Aenne Quinones vom HAU ist eine der beiden Kuratorinnen des Heiner Müller Festivals. Aber könnte man nicht auch genau das Gegenteil behaupten?

Heiner Müller als nicht tot zu kriegendes Gespenst

Erscheint Heiner Müllers Sentenz nicht genauso überholt wie Francis Fukuyamas Behauptung vom "Ende der Geschichte"? Erleben wir nicht eher eine Rückkehr überwunden geglaubter Konflikte wie die Wiederkehr der Religion, und nationaler Gegensätze in Asien, Russland, Europa und Afrika?

Quinones: "Da besteht im Hau der Ansatz, Müller als Material zu verstehen, und das wir eben nicht sagen, da ist ein Stück und da ein Text und da hat eben jeder Künstler, sei es Performance oder Musik andere Bereiche als Theater-Theater, sag ich mal."
Zum Festival-Auftakt im HAU begegnet einem Heiner Müller als nicht tot zu kriegendes Gespenst. Als weltweiser Telefon-Avatar, in Travestie-Klamauk und als Art intellektueller Überheiliger. So inszeniert der mittlerweile 80-Jährige Hans Jürgen Syberberg Heiner Müller im leer geräumten Zuschauerraum des alten Hebbeltheaters.
Videoaufnahmen zeigen Heiner Müller im Interview mit Alexander Kluge und auf Podiumsveranstaltungen. Eine Ladung Heu auf der Bühne erinnert an Heiner Müllers zweites, sofort von der SED verbotenes Stück: "Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande". Das Licht ist gedämpft. Die Atmosphäre andächtig.
Die Auseinandersetzung mit Müllers brachialer Sprache findet während dieser ersten Festivaltage nicht statt, genauso wenig wie ein bewusster Gegenentwurf zu Müllers Anti-Utopie.

Nikitin: "Eine Hommage ist nur spannend wenn sie nicht erwartbar ist", sagt der Theatermacher Boris Nikitin. Dessen Beitrag zum Festival hat am kommenden Freitag im HAU 2 Premiere.

"Das Wappentier der Befreiung ist der Maulwurf"

Sein "Martin Luther Propagandastück" nähert sich Heiner Müller ausgerechnet mit einem Gospel-Chor und einem Conférencier, der den Bogen schlägt von Heiner Müller zum ungläubigen Thomas, der eben laut Bibel glaubt, ohne seine Hand in die Wunde Christi zu legen.

Nikitin: "Müller hat ja immer diese Lücke, auch im System gesucht, etwas was die Sprache unterbricht , was die Realität unterbricht."

Und diese Lücke, das ist "dieser der Moment der Nicht-Berührung , also der Moment wo etwas nicht verifizierbar , zu einem Beweis gemacht wird und dann ein autoritäres Dogma wird. Sondern es ist der Moment wo eigene Entscheidung möglich wird."

Wie sagt die Heiner Müller Telefon-Avatar?

Auszug: "Meine Texte müssen umgewälzt werden. Das Wappentier der Befreiung ist der Maulwurf."
Beim Heiner Müller Festival hat sich der noch nicht blicken lassen, aber vielleicht tauchen ja noch ein paar Maulwurfhügel auf. Das Programm lässt hoffen.

Info: Das Heiner-Müller-Festival findet im Theater Hebbel am Ufer noch bis zum 12.3.2016 statt.

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