Heine: Sufi-Mystiker sind handfeste Leute

Moderation: Katrin Heise |
Das Jahr 2007 wurde von der Unesco zum Maulana-Jahr erklärt. Damit sollte an Maulana Dschallaladdin Rumi erinnert werden, den Gründer des Sufi-Ordens, der vor 800 Jahren geboren wurde. Die Mystiker und Derwische, die sich auf ihn berufen, sind alles andere als weltfremd, erklärte der Islamwissenschaftler Peter Heine.
Katrin Heise: In der südtürkischen Stadt Konya drehen sich heute wieder die Derwische. An seinem Todestag huldigen sie mit ihren exstatischen Tänzen ihrem Sufi-Ordensgründer Maulana Dschallaladdin Rumi. Die Unesco hat übrigens unser jetzt zu Ende gehendes Jahr 2007 zum Maulana-Jahr erklärt, vor 800 Jahren nämlich war der Mystiker geboren worden. In Europa ist der Sufismus - eine Form islamischer Glaubenspraxis - übrigens sehr hoch angesehen und zwar wegen seiner spirituell-esoterischen Aspekte. Schon Goethe war fasziniert von den Derwischen. Im Iran dagegen werden die Sufis verfolgt. (…)

Ich begrüße Peter Heine, Islamwissenschaftler an der Berliner Humboldt Universität. Schönen guten Morgen, Herr Heine!

Peter Heine: Morgen, Frau Heise!

Heise: Haben Sie die tanzenden Derwische schon einmal erlebt?

Heine: Ja, mehrfach. Einmal auch in Konya selbst, aber diese Gruppen touren auch durch verschiedene Länder, wo es Anhänger der Gruppe der Mevlevia gibt und treten auch öffentlich auf.

Heise: Die fallen doch in einen Trancezustand durch ihren Tanz. Was wollen sie erreichen? Gott näher sein?

Heine: Ja, genau das. Das Ziel des muslimischen Mystikers ist, wie der Terminus Technicus lautet, Entwerdung in Gott, das heißt, der Mystiker verliert sich ganz in dem göttlichen Geliebten.

Heise: Die Sufis werden, vor allem auch die tanzenden Derwische, werden in der Türkei eher als Kulturprodukte oder als religiöse Gruppe gesehen? Ich weiß es nicht genau, weil Sie sagten ja jetzt auch, die touren. Touren die als religiöse Menschen oder eher als so eine Art Kulturgruppe?

Heine: Ach, ich glaube, das kann man nicht so deutlich unterscheiden. Aus dem türkischen Selbstverständnis ist die Mevlevia, sind die Anhänger Dschallaladdin Rumis typisch türkisch sozusagen, sie sind Teil der türkischen Kultur, oder früher hätte man vielleicht auch gesagt, der osmanischen Kultur, weil, man kann die auch in Syrien antreffen oder im Irak. Aber sie unterscheiden sich sehr deutlich von vielen anderen Mystikergruppen, die in Schwarzafrika tätig sind oder in Zentralasien oder in Indonesien.

Heise: Sie werden ja immer wieder wegen ihrer Askese, ihrer Spiritualität, hier so verehrt. Muss man sie eigentlich auch weltfremd nennen?

Heine: Nein, in vielen Fällen waren die Mystiker, auch die Führer dieser mystischen Orden außerordentlich handfeste Leute. Man muss sich ja vorstellen, dieser Weg zu Gott ist ein außerordentlich risikoreicher und da kann es zu Fehlschritten gehen, zu Abstürzen und ähnlichem und darum ist es gut, darum braucht man unbedingt auf diesem Weg einen Führer, der den Weg schon gegangen ist und sozusagen erfolgreich wieder zurückgekommen ist.

Daraus sind solche hierarchischen Strukturen entstanden, und es gibt Millionen Menschen in der islamischen Welt, die sich dieser Form des Glaubens verpflichtet fühlen und das muss natürlich organisiert werden und da braucht es dann auch wirklich Organisationsgeschick, Kompetenz. Man muss für die wirtschaftliche Seite des Lebens dann auch sorgen, damit die Anhänger dieser Sufi-Ideen dann tatsächlich auch überleben können, sodass wir es dann eben auch mit einer sehr konkreten und realistischen Form der Religion zu tun haben.

Heise: Sprechen wir eigentlich, wenn wir von Anhängern sprechen, immer nur von Männern?

Heine: Nein, es gibt auch Frauen und die größten, also eine der größten Mystikerinnen der islamischen Geschichte, Rabia von Basra, wird hoch verehrt. Die war auch schon im europäischen Mittelalter bekannt, weil man von ihr berichtete, sie sei durch Basra gelaufen, in der einen Hand eine Fackel und in der anderen Hand einen Eimer Wasser und als man sie fragte, warum sie das täte, sagte sie, sie wollte das Feuer der Hölle auslöschen und das Paradies mit ihrer Fackel verbrennen, damit sie Gott liebe nicht aus Furcht vor Strafe in der Hölle, noch aus Hoffnung auf das Paradies, sondern eben nur, um Gottes selber willen.

Heise: Wie anziehend ist diese Richtung eigentlich? Es klingt alles sehr althergeholt für moderne Muslime. Wie anziehend ist diese Richtung, dieser Sufismus vor allem?

Heine: Also es gibt so zwei solche Einstellungen dazu, also vieles, was heute unter der Rubrik Sufismus läuft, hat dann auch spektakuläre Aspekte. Also diese ganze Ekstase ist natürlich etwas, was durchaus circensischen Charakter hat. Also Sufis, die sich Nägel in den Kopf schlagen, die Wangen durchbohren und Ähnliches. Das wird von gerade auch intellektuellen Muslimen als die Mystik der Strafe bezeichnet, also durchaus abgelehnt, während diese sehr esoterischen Formen, gerade auch im intellektuellen Bereich der modernen Muslime, durchaus akzeptiert ist.

Heise: Ich spreche mit dem Islamwissenschaftler Peter Heine über die sufische Richtung des Islam, dem zum Beispiel die tanzenden Derwische angehören. Man sagt ja auch immer, die Sufis seien besondern tolerant. Der deutsche Orientalist Tilmann Nagel wird vielfach allerdings mit dem Satz zitiert, die Annahme einem rigiden unduldsamen Gesetzesislam stehe eine tolerante sufische Strömung entgegen, die gehört zu den Fiktionen der europäischen Islamschwärmerei. Sind Sie ein Schwärmer?

Heine: Nein, ich bin sicher kein Schwärmer, weil ich denke, man muss eben beide Seiten sehen. Ich habe ja eben schon auf dieses organisatorische Moment hingewiesen. Es gibt, es hat immer Sufi-Orden gegeben und es gibt sie auch heute noch, die sehr tolerant sind, wo auch Muslime in verschiedenen Orden gleichzeitig Mitglieder sein können. Es gibt aber auch die außerordentlich regstrikten Formen, beispielsweise in Nordafrika, die Tijania, bei denen man nur in diesem Orden Mitglied sein darf.

Und dann muss man noch auf eines hinweisen: Die religiösen Erfahrungen, die die Menschen in diesen Orden machen, diese Wege zur Ekstase und Ähnliches, führen auch zu einem sehr engen Vertrauensverhältnis untereinander, sodass sie ihre Kinder miteinander verheiraten, also Mitglieder des Ordens, dass sie miteinander Geschäfte abschließen und so weiter, also auch eine sehr große ökonomische und soziale Funktion da vorhanden ist.

Heise: Ist denn der Sufismus Ihrer Meinung nach eine Richtung, die so ein bisschen das Bild vom Islam hier in Europa korrigieren kann?

Heine: Also, so wie wir das Sufitum so sehen, vor allen Dingen auch durch die Werke von Annemarie Schimmel und ähnlichen, die Rumi beschreiben, ist das sicherlich möglich. Man darf aber nicht vergessen, dass lange Zeit diese Sufi-Orden einige der schärfsten Widerstandsgruppen gegen den europäischen Kolonialismus beispielsweise gewesen sind, weil sie eben dieses hohe Organisationspotenzial hatten, was häufig die Staaten, die dann mehr und mehr zusammenbrachen, nicht hatten und wir haben jetzt in der aktuellen Situation etwas, dass man beispielsweise im Irak mittlerweile auch Sufi-Milizen findet, die sich gegen die Angriffe, die von Al Kaida und anderen gegen sie gerichtet werden, nun auch mit Waffengewalt wenden.