„Heine bekommt durch Handke jetzt ein paar schwarze Flecken“

Moderation: Sigrid Brinkmann |
Der Schriftsteller Günter Kunert hat die geplante Vergabe des Heinrich-Heine-Preises an den österreichischen Autor Peter Handke als „völlig unbegreiflich“ kritisiert. „Ich begreife überhaupt nicht, wie Leute nach dieser deutschen Geschichte, in der wir – weiß Gott – das Schlimmste erlebt haben, jetzt mit einem Barden eines Diktators jemanden preisen“, sagte Kunert. Handke ist wegen seiner pro-serbischen Haltung umstritten.
Sigrid Brinkmann: Gert Kaiser, der frühere Rektor der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Uni, und Bernd Witte, der Dekan der Philosophischen Fakultät, haben heute Briefe an ehemalige Heine-Preisträger verschickt. Morgen oder übermorgen also werden Robert Gernhardt oder Elfriede Jelinek, Hans Magnus Enzensberger, Wolf Biermann, Walter Jens und Günter Kunert Post bekommen. Günter Kunert hat den Heinrich-Heine-Preis 1985 erhalten. Guten Abend, Herr Kunert.

Günter Kunert: Hallo.

Brinkmann: In dem Brief wird man Sie fragen, wie Sie es ertragen, nunmehr in einer Reihe mit Handke, einem Sänger des serbischen Großreichs, zu stehen. Und, Herr Kunert, ertragen Sie es?

Kunert: Ich sage jetzt mal mit Tucholsky: Deutsch bleibt Deutsch, da helfen keine Pillen. Es ist eine Groteske, muss ich Ihnen sagen, und ich begreife überhaupt nicht, wie Leute nach dieser deutschen Geschichte, in der wir – weiß Gott – das Schlimmste erlebt haben, jetzt mit einem Barden eines Diktators jemanden preisen. Das ist mir völlig unbegreiflich. Ich finde es nicht nur grauenvoll, sondern im Grunde, unter der Oberfläche zeigt es auch: Deutsche Geschichte ist nicht bewältigt.

Brinkmann: Den Preis zurückzugeben: Ist das für Sie, Herr Kunert, eine Option?

Kunert: Ja, wäre es, ja, ja. Ich meine, wenn Heine das erlebt hätte, würden sich ihm die Haare sträuben – wenn er noch einige gehabt hätte. Ich halte das für eine absolut unmögliche Angelegenheit. Wie kann das sein, dass ein Autor – abgesehen von seinen literarischen Qualitäten, es gab auch immer Autoren, die nach rechts tendierten – aber dafür ausgezeichet wird, dass er – so ein Mann, der ja, wie wir wissen, ein zumindest den Massenmörder nahestehender ist – einen Preis bekommt ... Sie hören an meiner Stimme, ich bin darüber wirklich konsterniert.

Brinkmann: Die Zahl der Handke-Kritiker ist groß, Autoren, Publizisten, Historiker, Politiker äußern sich, und sie haben ganz deutlich gemacht, wie sie sich dazu verhalten. Es wird aber schon befürchtet, dass Handke wie ein Pestkranker ausgestoßen werden könne. Stellt er sich nicht selbst seit geraumer Zeit vorsätzlich komplett ins Abseits?

Kunert: Also wissen Sie, in Deutschland liebt man doch Pestkranke, der wird überhaupt nicht ausgestoßen, überhaupt nicht. Es ist in Deutschland doch der Fall, dass Leute, die wie Handke gegen den so genannten Mainstream – was ist das schon – schwimmen, beglückwünscht werden. Aber der Mainstream ist sowieso ein kleines Flüßchen, ein dürftiges Bächlein. Und wenn dann einer auftaucht wie Handke – Publikumsbeschimpfung: Das ist doch jetzt eine kleine Publikumsbeschimpfung, die er jetzt nach so langer Zeit durch den Heine-Preis noch mal bestätigt bekommt. Ich finde es schändlich, weil das hat mit Heine und mit einer humanisierenden und uns vermenschlicherenden Literatur nichts zu tun.

Brinkmann: Es gibt ja auch einige Solidaritätsbekundungen, darunter die der Elfriede Jelinek, die auch den Heinrich-Heine-Preis erhalten hat. Sie hat auch den französischen Romancier Patrick Modiano gewonnen, eine Adresse zu schreiben. Alice Schwarzer rühmt Handkes Mut, sich gegen konsensfähige Meinungen zu stellen. Haben Sie, Herr Kunert, mit der Naivität der Kollegen gerechnet? Ist das überhaupt nachvollziehbar?

Kunert: Zu Alice Schwarzer möchte ich gar nichts sagen. Wer sagt schon ‚was gegen Alice Schwarzer – der wird sofort in eine Ecke gestellt. Aber es kann nicht sein, dass gerade Heine, der glücklicherweise nach all dieser furchtbaren Zeit ein bisschen Ikone des Deutschen geworden ist, jetzt durch Handke ein paar schwarze Flecken bekommt. Nein, nein, nein, nein, ich finde, dass ist eine ziemlich grauenvolle Geschichte.

Brinkmann: Fänden Sie es richtig, wenn die Stadt Düsseldorf 2006 keinen Heinrich-Heine-Preis vergibt, und 2007 dann eine neue Jury beruft?

Kunert: Wissen Sie, wenn die Jury wieder so urteilen würde – oder man müsste ja wissen, wer in der Jury sitzt – würde ich es für trostlos halten. Vielleicht sollte man den Heine-Preis erstmal für zehn Jahre aussetzen.