Heimkino - ein Film von 1966

Ein diffuses Aufbegehren gegen jede Fremdbestimmung

Der Regisseur und Drehbuchautor Haro Senft
Der Regisseur und Drehbuchautor Haro Senft © picture alliance / dpa / Kurt Krieger
Von Laf Überland · 16.05.2015
"Der sanfte Lauf" erzählt von einem 20-Jährigen im Nachkriegsdeutschland, einem Jugendlichen, der es schwer hat zwischen den jungen Angepassten und den verstockten Vätern. Regisseur Haro Senft zeigt hier eine Generation auf der Suche nach ihrem ganz eigenen Weg.
- "Herr Kral, was ist mit der ABA, da muß ein Teil hängen geblieben sein."
- "Gut, ich kümmere mich drum."
- "Wenn was ist – ich bin im Lager 4."
Der unfreiwillig abgebrochene Technikstudent Bernhard Kral arbeitet im Versand eines Elektroherstellers. Eines Tages lernt er Johanna kennen und lieben. Johannas Vater nun, ein reicher, machtbewusster Geschäftsmann, will den Schwiegersohn in spe "unterstützen". Heimlich. Das kann nicht gutgehen.
- "Sag mal: Wo haben die eigentlich die letzten vierzig Jahre gelebt?"
- "Du magst sie also nicht..."
- "Das hat nichts mit mögen zu tun."
- "Ach so."
Aber sowieso irritiert den jungen Mann die Begegnung mit dem selbstzufriedenen Bürgertum. Bruno Ganz spielt das in seiner ersten Langfilmhauptrolle ganz wunderbar bockig-verloren. Zwischendurch gibt es noch eine Reise in Bernhards Geburtsstadt Prag, die sich vor allem durch sein mürrisches Schweigen auszeichnet. Und am Ende bleibt offen, ob der junge Mann sich auf den sanften Lauf der Anpassung ziehen lässt, oder sich für eine unabhängige, aber auch unsichere Existenz entscheiden wird.
- "Ich muß mich sehr wundern, Herr Kral. Gerade Ihnen hätte ich mehr Einfühlungsvermögen zugetraut."
- "Papa, lass Bernhard bitte aus dem Spiel!"
- "Dein Vater meint sicher, man müsse es sich erstmal leisten können, die allgemeinen Spielregeln nicht zu beachten."
Ein Panoptikum der unterschiedlichen Geisteshaltungen in der Bundesrepublik
Es passiert also nicht wirklich viel in diesem Film: Eigentlich bewegen sich Kral und seine Freundin, gespielt von der vor-allem-Theater-Schauspielerin Verena Buss, nur durch diesen "Sanften Lauf", um ein Panoptikum der unterschiedlichen Geisteshaltungen in der Bundesrepublik aufzuzeigen: den Unternehmer, der meint, er könne bei allen Menschen die Strippen ziehen. Seine Frau ist das charakterlose Weibchen im gemachten Nest und Tochter Johanna das typische Produkt einer durch finanzielle Sorglosigkeit uninteressiert lebenden Familie; aber auch Krals Freund, der Antiquitätenhändler mit dem Französisch-Fimmel, ist ein charakterloser Geselle: Sein als subversive Originalität getarnter Zynismus überspielt nur seine Lebensuntauglichkeit.
- "Diese Bonzen sind doch alle gleich: 'Gnädige Frau hier, gnädige Frau darf?'"
- "Du fällst die dreckige Gesellschaft von hinten an. Du bist überhaupt der Mutigste, der Listigste... Du kotzt mich an!"
Die älteren Leute - also die angepassten Beschweiger - sind allesamt blass und bewegungsarm in diesem Film, aber Regisseur Haro Senft grinst auch über den Herdentrieb der makellos-dynamischen Beatjugend oder die Aufgeblasenheit der jungen Möchtegern-Bohème, wenn sie sich eskapistisch-sinnlos "Jazz und Aphorismen" reinzieht. Die Leere zwischen den redenden Ehepartnern ist so leer, dass es wehtut. Aber Haro Senft ist auch witzig:
- "Wozu haben wir dem Psychologen bei der Ausgestaltung der Erholungsräume freie Hand gelassen?"
- "Wir haben mit unseren Arbeitern die besten Erfahrungen gemacht."
- "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in einer Schlächterei eine Musikberieselungsanglage einbaut."
- "Nee, kann ich heute auch nicht mehr."
- "Das ist ja pervers!"
Didaktische Klarheit des Konflikts
Eine seltsame, schwer zu entschlüsselnde Spannung liegt über diesem Film, die aus dem Nicht-Zueinander-Passen entsteht: Wenn das Geplapper der besseren Gesellschaft aus hohlen Worthülsen besteht, die die Personen statisch in den Raum hängen, während die Kamera fröhlich herumhüpft. Und Bruno Ganz treibt Schabernack in diesem Film – und dann nimmt er plötzlich wieder Reißaus, wirkt verloren und deplaziert: In diffusem Aufbegehren gegen jede Fremdbestimmung kann er sich rüpelhaft und abweisend benehmen, rational bis zur Hartherzigkeit.
Aber diese Schwarzweißmalerei wirkt geradezu erfrischend in der didaktischen Klarheit des Konflikts, die gleichzeitig auch poetisch ist. Vertrackte Ideologie spielt hier noch keine Rolle, es ist nur das allergische Aufbäumen, wenn jemand über mich bestimmen will. Unterstützt von der aufbrechenden, jazzigen Musik von Erich Ferstl: gerade bei Kral, der sein Studium abbrechen musste, weil er einem Neonazi eine reingehauen hat.
- "Sie haben dich bestraft...?"
- "
Neun Monate mit Bewährung."
Die linken Kritiker bemängelten übrigens 1967, als "Der sanfte Lauf" rauskam, dass Regisseur Senft die Gesellschaft nur reproduktiv nachzeichne und veraltete Klischees verwende. Die ästhetische Linke forderte nämlich die unbedingte Kombination eines kritischen Sujets mit innovativer Filmform. Senft allerdings wollte etwas erzählen, und die innovativen Formen hatte er da längst ausgelotet – mit seinen stets etwas ausprobierenden Kurzfilmen, von denen sieben dem "Sanften Lauf" beigegeben sind.
"Ich geh dann schon mal..."
"Der sanfte Lauf" von Regisseur Haro Senft
absolut Medien GmbH, BRD, 1967, 85 Min., Drehbuch: Hans Noever, Haro Senft; Kamera: Jan Curík; Schnitt: Thurid Söhnlein; Musik: Erich Ferstl; Darsteller: Bruno Ganz, Verena Buss, Wolfgang Büttner, Lia Eibenschütz, Hans Putz
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