Heimkino

Der "Dritte Mann" in neuem Glanz

Orson Welles im Film "Der Dritte Mann" 1949.
Orson Welles im Film "Der Dritte Mann" 1949. © Imago / AD
Von Hartwig Tegeler |
Carol Reeds "Der dritte Mann" über einen Penicillin-Schmuggler im Wien kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gilt als einer der besten britischen Filme aller Zeiten. Nun erscheint der Klassiker digital restauriert und mit neuem Bonus-Material auf DVD und Blue-ray.
"Der dritte Mann" machte mir deutlich, meint Martin Scorsese im Bonusmaterial, was es bedeutet, visuell zu erzählen. Zu erzählen von einem Mann, der völlig abgebrannt nach Kriegsende 1949 nach Wien kommt, weil ihm sein alter Kumpel einen Job angeboten hat. In der Schwarzmarkt-Metropole, die schon gezeichnet ist vom heraufziehenden Kalten Krieg. Doch Harry Lime ist nicht mehr da:
"Sie kommen um zehn Minuten zu spät. Mr. Lime ist tot. Unfall. War sofort tot. Er ist schon im Himmel."
Oder in der Hölle - fügt Paul Hörbiger als Hausmeister hinzu. So wie seine italienischen Kollegen Visconti, Rossellini oder de Sica fühlte sich Carol Reed einem Neorealismus verpflichtet und drehte mit "Der dritte Mann" einen der ersten britischen Filme, der ganz an Originalschauplätzen entstanden ist. Dunkle Bilder einer dunklen, vom Krieg zerstörten Stadt, gefilmt mit der schrägen Kamera. Reed zeigt so eine Welt, die - wie der US-Filmkritiker Roger Ebert einmal sagte - "ganz aus dem Ruder" gelaufen ist. Wo der naive Amerikaner - Joseph Cotton spielt ihn - erfahren muss, dass sein alter Freund ein skrupelloser Schmuggler ist.
Wer war der dritte Mann?
Wunderbar klare Bilder in präzisen Schwarzweiß-Konturierungen bietet die 4K-Digital-Restaurierung, die jetzt vor allem auf dieser Blu-ray-Edition zu sehen ist. Eine opulente Edition mit teilweise noch nicht erschienenem Bonusmaterial. Das 20-seitige Booklet mit einem Essay des britischen Filmwissenschaftlers Charles Drazin, die anderthalbstündige Dokumentation über die Entstehung von Carol Reeds Film und die gut einstündige Doku über Graham Greene, der zusammen mit Regisseur Reed das Drehbuch schrieb, zeichnen die Hintergründe des Films.
Dem hinterlistigen Harry Lime, den Orson Welles im "Dritten Mann" diabolisch spielt, soll Graham Greene, der auch im britischen Geheimdienst arbeitete, seinem ehemaligen SIS-Chef Kim Philby zugrunde gelegt haben. Philby, der als einer der so genannten ´Cambridge Five´ jahrzehntelang für die Sowjets spionierte. 1951 verschwanden zwei der Cambridge Five und tauchten in der UdSSR auf. Kim Philby wurde verdächtigt, der dritte Mann gewesen zu sein, der ihnen zur Flucht verholfen hatte. Waren Sie der dritte Mann?, wurde Philby in einem TV-Interview - im Bonusmaterial der Edition zu sehen - gefragt.
Nein, das war ich nicht, log Kim Philby, um noch elf Jahre weiter für den KGB zu spionieren. Die Ambivalenz, die Joseph Cotton in Carol Reeds Film gegenüber seinem alten Freund Harry Lime an den Tag legt, spiegelt sich auch in der Haltung von Graham Greene gegenüber seinem Geheimdienst-Chef in sowjetischen Diensten. Und auch der merkwürdige Tod, den Orson Welles am Ende in der Kanalisation erleidet, der Gnadenschuss aus der Pistole seines Freundes, ist zutiefst zwiespältig. - So starb Harry Lime zwar in der Kanalisation, aber erlebte 1951-52 in der BBC-Hörspielserie "The Lives of Harry Lime" seine Wiederauferstehung. In der Hauptrolle als Harry Lime - Orson Welles.
"Mein Name ist: Harry Lime"
"Das war der Schuss, der Harry Lime tötete. Sie wissen das, wenn Sie den Film 'Der Dritte Mann' gesehen haben. Das war Harry Limes Ende. Aber der Anfang seiner Geschichte liegt weit zurück. Harry Lime hatte viele Leben. Ich kann von allen erzählen, denn mein Name ist: Harry Lime."
Apropos Ende oder auch Anfang: "Der dritte Mann" war eine der ersten Koproduktionen zwischen der britischen Filmindustrie und Hollywood. Der Produzent von "Vom Winde verweht", David O. Selznick, steuerte einen Großteil des Budgets bei, sicherte sich die Einnahmen des Films an den US-Kinokassen und wollte auch künstlerisch - wie es sich für einen Hollywood-Tycoon gehörte - Einfluss nehmen. Das Ergebnis war ein zermürbender Kleinkrieg zwischen O. Selznick und dem britischen Regisseur Carol Reed um das Drehbuch.
Das Ende dieser Geschichte über Schuld und Unschuld, Liebe und Verrat brachte den Hollywood-Mann dann zur Weißglut. Joseph Cotton sehen wir; er möchte sich mit Harry Limes Geliebter versöhnen, weil er sich in sie verliebt hat. Sie kommt aus der Tiefe des Bildes die Friedhofs-Allee herunter. Und geht, ohne eine Miene zu verziehen, an Joseph Cotton vorbei. Mit einer Hollywood-typischen Heldengeschichte, nein, damit hatte es Carol Reed bei seinem "Dritten Mann" nicht so.
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