Heimkino: "99 Homes" von Rahmin Bahrani

Faust goes USA

Die Hauptstraße von McGregor, Iowa, im Mittleren Westen der USA, aufgenommen am 20.3.2012.
Die Hauptstraße von McGregor, Iowa, im Mittleren Westen der USA. © picture-alliance / dpa / Yannick Tylle
Von Patrick Wellinski · 09.04.2016
Einige Filme haben in den letzten Jahren Börsencrash und Finanzkrise verarbeitet. Doch meist aus Sicht der Finanzindustrie. Mit "99 Homes" widmet sich Regisseur Ramin Bahrani nun den "kleinen" Leuten in den USA, die ihre Häuser verlieren. Ein großer Film meint Patrick Wellinski.
Filmausschnitt: 99 Homes
"Ist das die Nash-Räumung?"
"Ja. Ist er zu Hause?"
"Ich bin mir nicht sicher. Sein Wagen steht vor der Tür also …"
Der Teufel steht auf der Schwelle. Er trägt einen zerknitterten Maßanzug und raucht E-Zigarette. Er heißt Rick Carver, grinst und kommt im Auftrag der Bank.
Filmausschnitt: 99 Homes
Klopfen
"Guten Morgen Sir, Ma‘m. Ich bin Rick Carver, ich bin lizensierter Immobilienmakler. Und ich muss Ihnen leider mitteilen, dass das Haus zur Zwangsvollstreckung freigegeben und der Bank übergeben wurde. Ich muss Sie bitten das Haus umgehend zu räumen …"
"Nein, ich versteh was Sie sagen, aber …"

Dennis Nash, erfolgloser Handwerker, alleinerziehender Vater, wohnt mit seiner Mutter zusammen und ist hilflos, als Rick Carver alle vor die Tür setzt.
Filmausschnitt: 99 Homes
"Ma‘m, wir müssen Sie leider beobachten. Was?"

Aber Rick sieht etwas in dem jungen Nash.
"Willst du einen Job? Kannst du anpacken? Ich zahle 50 Dollar. Cash."
Ja, er braucht einen Job. Und so wird Dennis Nash zu Teufels Lehrling.
Filmausschnitt: 99 Homes
"Was hast du gerade gesehen?"
"Ich sehe Häuser."
"Und ich habe in den letzten Minuten neun Gelegenheiten gesehen, um Geld zu machen. Da waren drei Grundstücke ohne Briefkasten, eins mit verwilderten Rasen und ohne Auto in der Auffahrt, zwei weißen Aufklebern auf den Fenstern und drei mit nagelneuen Türkniffen und Schlüsselboxen, wenn du es schaffst, den richtigen Riecher zu entwickeln, dann musst du nicht mehr auf dem Boden herumkriechen und kannst für mich arbeiten."

Eine Faust-Variante im US-amerikanischen Süden

"99 Homes" ist eine Faust-Variante im US-amerikanischen Süden. Der junge Dennis Nash, sehr erdig und überzeugend gespielt vom Jung-Star Andrew Garfield, verkauft seine Seele und wird an der Seite von Rick zum harten und kompromisslosen Räumungsbeauftragen.
Er bekommt sein Haus wieder. Kann Sohn und Mutter für einen Augenblick aus dem sozialen Sumpf befreien. Aber nur einen Augenblick, denn "99 Homes" interessiert sich vor allem für den Preis, den Nash für diesen Wandel zahlt. Wann verrät der Mensch seine Überzeugungen und Werte? Und: Wie verkommen ist eine Welt, in der jedes Handeln unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird.
Filmausschnitt: 99 Homes
"Was hast du für mich?"
"Ich habe drei neue Schlüssel-Verträge geschlossen."
"Gut. Und welchen Preis hast du deinen Kollegen genannt."
"3500 Dollar."
Regisseur Ramin Bahrani, 41 Jahre alt, Sohn iranischer Einwanderer, gehört seit seinem Debüt "Man Push Cart" aus dem Jahr 2005 zu den spannendsten Regisseuren eines klugen und unabhängigen amerikanischen Kinos. Seine größte Inspirationsquelle sind dabei die Codes und Formeln des Neorealistischen Kinos, das gerne von Außenseitern erzählt und vor allem die soziale Ungleichheit anprangert.
So erzählte Bahrani bereits von einem armen Pakistani, der seinen winzigen Imbisstand durch die Straßenschluchten des Post-9/11/New Yorks schob; beobachtete einen Waisenjungen, der mit seiner Schwester auf einem Schrottplatz lebte, und thematisierte die Freundschaft eines senegalischen Taxifahrers zu einem suizidalen Rentner.

Für Regisseur Ramin Bahrani neu: ein sattes Budget

"99 Homes" nun, ist allein schon wegen seiner Besetzung mit Andrew Garfield, Laura Dern und dem wie immer brillanten Michael Shannon ein anderes produktionsaufwändigeres Kaliber, wie Bahrani in einem Interview mit dem Filmjournalisten David Poland beschreibt:
"Ich brauchte mehr Budget, weil die Geschichten, die ich jetzt erzählen wollte, mehr Budget verlangten. Und bekannte Darsteller wie Zac Efron oder Andrew Garfield bringen mehr Budget. Aber sie sind auch Publikumsmagnete. Und da ich will, dass möglichst viele Menschen meine Filme sehen, nutze ich ihre Bekanntheit."
Filmausschnitt: 99 Homes
"Sind Sie Mr. Curtis?"
Und auch Bilder, Musik und Ausstattung sind nicht mehr so bescheiden wie in seinen früheren Werken. Interessant ist, dass seine Motive und Spannungsbögen darunter nicht leiden. Ganz im Gegenteil: Bahranis Grundkonflikt gewinnt an Gewicht.
So erzählt er in "99 Homes" von den perversen Auswüchsen der amerikanischen Immobilienblase aus der Sicht der kleinen Hausbesitzer. Wenn Dennis einen nach dem anderen rauswirft, ergibt sich so – ganz nebenbei – ein trauriges Panorama einer verarmten und hilflosen Unterschicht, die ihr letztes Hab und Gut verliert.
Filmausschnitt: 99 Homes
"Gehört jetzt der Bank."
"Nein, nein, nein. Ich habe doch eine Vereinbarung geschlossen."

Und wer ist daran schuld? Rick Carver weiß die Antwort. Sie simpel wie ernüchternd:

"Sympathy for the Devil" lässt grüßen

Filmausschnitt: 99 Homes
"2006 haben sich Robert Julia Tanner 30.000 Dollar für einen neuen Wintergarten geliehen, obwohl sie ihn 25 Jahre nicht vermisst hatten, dass solltest du den Leuten sagen, die dir ins Gesicht spucken, wenn du sie aus ihrem Haus begleitest und die Banken fragen, was sie geritten hat, diesen Leuten variable Hypotheken zu geben und dann gehst du zur Regierung und fragst sie, warum sie den ganzen Wahnsinn auch noch befördert hat.
Sympathy for the Devil. Der Stones-Klassiker, er ist zwar im Film selbst nicht zu hören, aber man muss unweigerlich an ihn denken, denn plötzlich wirkt Rick weitaus weniger teuflisch, eher realistisch; wie einer, der das Spiel durchschaut und alle Illusionen vor unseren Augen zerplatzen lässt.
Diese Art der Systemkritik war mal im amerikanischen Kino sehr präsent. Wie sehr sie fehlte, merkt man während der Sichtung von "99 Homes". So könnte Mainstream-Kino also auch sein: Brillant besetzt, spannend inszeniert, Sozialstudie und -Kritik in einem.

"Habe einen Film über eine gesellschaftliche Wut gemacht"

Es ist diese formale Könnerschaft gepaart mit den ambivalent konstruierten Figuren, die hier einen aufschlussreichen Einblick in eine tiefe moralische Krise der amerikanischen Gesellschaft geben; dessen aktuellste Verkörperung ein gewisser – Zufall oder nicht - Immobilien-Milliardär zu sein scheint, der durchaus Chancen hat, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Regisseur Ramin Bahrani jedenfalls hatte da, so scheint es, eine nahezu prophetische Ahnung:
Bahrani: "Ich habe einen Film über eine gesellschaftliche Wut gemacht. Eine Wut, die sich jetzt in Form eines Donald Trump entlädt. Vieles was er sagt, erinnert sehr Dinge die Michael Shannon im Film sagt. Trump ist wie ein verletztes Kind, das schwieg und nun wie ein Vulkan explodiert."
Filmausschnitt: 99 Homes
"Amerika hilft nicht den Verlierern. Amerika wurde groß, weil es den Gewinnern hilft. Wir sind Teil einer Nation von Gewinner für Gewinner durch Gewinner."

Ton: Trump-Werbung
"With all of this our Country have tremendous potential.
Let’s make America great again.”
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