Heilkraft der Kunst als Lebensthema

Von Julia Macher · 29.06.2011
Seine Leidenschaft gilt Fotoarbeiten und Videoinstallationen. Doch zeitgenössische Kunst ist für den holländischen Sammler und Schriftsteller Han Nefkens kein Geldanlage-Objekt. Viele Werke, die der sammelt, nutzt er, um Aufmerksamkeit für die Stigmatisierung von Aidskranken zu erzeugen.
Eine Buchpräsentation im Garten eines barcelonesischen Designhotels. Das weinrote Velourjacket lässig über die Schulter drappiert, begrüßt Gastgeber Han Nefkens jeden Gast mit Küsschen rechts, Küsschen links, lädt charmant zu Champagner und asiatischen Dumplings. Man kennt sich: Seit über einem Jahrzehnt lebt und arbeitet der Niederländer in Barcelona. Als Kunstsammler, Ausstellungsmacher - und als Schriftsteller.

"Ich wusste schon immer, dass ich eigentlich Schriftsteller bin. Aber ich habe lange gebraucht, um die richtige Einstellung, den richtigen Weg zum Schreiben zu finden. Erst, als mein Bruder 1992 an Aids starb, wurde Schreiben für mich zu einer inneren Notwendigkeit. Das war der Beginn meines ersten Buches."

Krankheit als Schlüssel zu Literatur, zu Kunst, zu Kultur: Das ist – so paradox es klingt – sein Lebensthema: In seinem Erzählband "Geliehene Zeit" berichtet er, wie er nach einer Gehirnentzündung mühsam wieder lesen, sprechen, gehen lernte. Han Nefkens ist HIV-positiv. 1987, als die Ärzte die Immunschwäche diagnostizierten, war er 33 Jahre alt, arbeitete in Mexiko als Korrespondent des niederländischen Hörfunks und hatte gerade seine Lebensliebe Felipe kennengelernt.

"In diesem Alter fängt das Leben gerade an, man hat das Gefühl noch unendlich viel Zeit für alle Projekte zu haben. Und plötzlich bekomme ich die Nachricht, dass dem nicht so ist. Das war der größte Schock. Angst vor dem Tod hatte ich keine, aber ich war maßlos enttäuscht darüber, dass das Leben so schnell enden kann."

Der sanfte, schlanke Mitfünfziger mit den grauen Haaren wägt seine Worte sorgfältig ab: Er will ehrlich sein, sich selbst und anderen gegenüber. Ein Jahr brauchte er, um die Nachricht zu verdauen, erzählt Han Nefkens in seinem Büro in Barcelona, dann entschied er sich für ein Leben ganz in der Gegenwart, in dem jeder Moment gleich wichtig ist. Bloß: Wie hält ein unheilbar Kranker trotz täglichem Medikamentcocktail Sinne und Verstand wach? Seine ganz persönliche Antwort darauf fand Han Nefkens in einer Galerie in Soho.

"Ich erinnere mich noch genau an das Foto einer Stadt an einer Bucht. Eigentlich erwartet man auf so einem Bild Menschen, aber da waren keine zu sehen. Es herrschte eine Art Verzweiflung, auch wenn das Bild und die Farben hübsch waren. Da setzte ich mich zum ersten Mal wirklich mit zeitgenössischer Kunst auseinander: Ich wollte entdecken, was dahinter steckt. Was kann man machen, wenn man kein Künstler ist? Man sammelt. Aber ich wusste von Anfang an, dass ich meine Sammlung mit anderen teilen wollte."

Nefkens, Sohn eines wohlhabenden Architekten und Immoblienmaklers, ist ein öffentlicher Sammler: Er kauft seine Werke in Absprache mit Museumsdirektoren und überlässt sie dann deren Häusern als Dauerleihgaben: Bill Violas vielschichtige Videos oder die rätselhaft sinnlichen Installationen einer Pipilotti Rist sollen so viel Menschen wie möglich erleben.

"Ich muss mir beim Betrachten des Werkes Fragen stellen. Ich mag nicht, wenn alles erklärt wird. Mir gefällt, wenn es etwas Geheimnisvolles gibt, so eine unterschwellige Kraft."

Han Nefkens glaubt an die Heilkraft der Kunst: Nachdem er nach seiner Gehirnentzündung aus der Klinik entlassen wurde, verlangte er als erstes nach seinen Lieblingsbildern, Fotografien von Roni Horn, Jörg Sasse, Thomas Ruff. Sie halfen ihm bei der Rückkehr in die Welt der Nicht-Kranken:

"Kunst ist ein Spiegel der Welt, unserer Welt und der des Künstlers. Das ermöglicht Identifikation: Wir werden zum Teil eines Universums und fühlen uns so weniger einsam: Das kann sehr heilsam sein. Es ist eine Art Nebenwirkung der Kunst."

In Han Nefkens Büro hängen drei großformatige Portraits von nachdenklich blickenden Männern aus Südafrika, eine Foto-Serie des holländischen Künstlers Juul Hondius zum Thema Aids und Stigmatisierung. Nefkens hat das Projekt betreut und kuratiert mit seiner Art Aids Foundation inzwischen Ausstellungen in der ganzen Welt:

"Auf der Weltaidskonferenz 2004 in Bangkog habe ich zum ersten Mal erlebt, wie Kunst als Kommunikationsform funktionierte: Menschen, die sonst nie über Aids sprachen, begannen sich durch Kunstwerke mit dem Thema auseinanderzusetzen. Diese Macht hat mich wirklich überrascht und ich wusste: Damit muss ich arbeiten."