Heiliges Donnerwetter

Von Peter Kaiser |
Das populärste antike naturwissenschaftliche Phänomen ist sicherlich die Sintflut. Unzählige Deutungen, Theorien und Überprüfungen hat es gegeben, doch es ist schwer, auf einen Nenner mit der Geschichte zu kommen. Vergleicht man hier Sinnbildliches mit harten Fakten, kann die Bibel Grundlage für wissenschaftliche Erkenntnisse sein.
"Die Wolken beschwert er mit Wasser, und durch das Gewölk bricht sein Licht." HIOB, Kap. 37, Vers. 11

"Das ist sehr aufschlussreich, das ist das Kreuzigungsbild von Hans Baldung Grien. Und hier kann man sehr schön sehen, wie der Maler meteorologische Phänomene einbaut in das Bild."

Mit sichtbarem Respekt weist der Direktor der Berliner Gemäldegalerie, Bernd Lindemann, zum Bild an der Wand.

"Einmal um das, was in der Bibel steht getreu zu schildern. Das sich nämlich der Himmel beim Kreuzestod verdüstert. Und zum anderen auch, um auf diese Weise die Emotionen der Betrachter zu steigern."

"Die Stimme des Herrn sprüht Feuerflammen." Psalm 1, Kap. 29, Vers. 7

"Das heißt das Wetter, wenn man so will, das Wetter spielt bei der Gestaltung des Bildes mit. Das wird als bedrohlich, dunkel, ein bisschen unheimlich vom Betrachter wahrgenommen. Das ist deswegen von besonderer Bedeutung, als in den ersten Generationen von Malern, die den Goldton ersetzen durch eine Landschaftsschilderung, kurioserweise bei allem Realismus, den wir dabei antreffen, auf atmosphärische Begebenheiten wenig Wert gelegt wird. Es fällt auf, dass das im frühen 16. Jahrhundert dann wirklich verstärkt begegnet, nicht nur bei Baldung Grien, sondern auch bei Cranach, Wolf Huber, Altdorfer und anderen Künstlern."

"Und der Engel nahm das Räucherfaß und füllte es mit Feuer vom Altar und schüttete es auf die Erde. Und da geschahen Stimmen und Donner und Blitze und Erdbeben." Neues Testament, Offenbarung, Kap. 8, Vers.5

"Also ich denke mal zum einen ist es ja auffallend, wie Wettererscheinungen im alten, aber auch gleichermaßen im neuen Testament erwähnt werden. Also da gibt es ja, wenn man intensiv die Bibel studiert, fast keine Seite, in der nicht in irgendeiner Form vom Wetter die Rede ist. Das scheint also in der biblischen Überlieferung eine grundsätzlich wichtige Rolle zu spielen."

Holger Sonnabend von der Universität in Stuttgart ist Professor für alte Geschichte. Eines seiner Forschungsgebiete befasst sich mit den Wetterschilderungen in der Heiligen Schrift.

"Zum anderen denke ich, dass natürlich das Mega-Ereignis, wenn man das mal so bezeichnen darf, die Sintflut zu allerlei Spekulationen Anlass gegeben hat. Und das Sintflut-Ereignis auch sensibilisiert hat, andere Wetterphänomene, die in der Bibel genannt werden zu erforschen. Auf ihre Authentizität hin zu erforschen, auf ihren Realitätsgehalt."

Zu allen Zeiten waren Wetterereignisse für Menschen wichtig. Ob die Rhythmen für den Nahrungsanbau, die Jahreszeiten für Zeremonien und Rituale, die Warm- und Kaltzyklen Winden oder Wassern - um auf der Erde leben zu können, sieht der Mensch seit Urzeiten schon nach oben in den Himmel.

"Wenn der Germanen-Gott Thor etwa seinen Hammer schwang, fuhren Blitze durch die Wolken, grollte Donner. Mit solchen übernatürlichen Kräften erklärten sich einst die Menschen hier zu Lande das Wetter."

"Ich denke, vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen, auf die ich mich hier berufe, hat es zu allen Zeiten immer wieder Menschen gegeben, die also in der religiösen Deutung derlei Dinge statt in der exakten wissenschaftlichen Betrachtung mehr Sicherheit und Orientierung gefunden haben. Weil wenn man weiß, solche Wandlungen kommen von Gott sozusagen, dann hat man eben eine Instanz, an die man sich wenden kann. Und das kann man dann leichter regulieren, als wenn man solchen Dingen eher schutzlos ausgesetzt ist."

Der "wettermäßige" Wandel, der uns in diesen Tagen beschäftigt, ist der zweifelsfrei von Menschen verursachte Temperaturanstieg in der Erdatmosphäre. Dazu Uwe Ulbricht, Meteorologe an der Freien Universität in Berlin.

"Das erste, an was wir denken, wenn wir jetzt von Klimaveränderungen sprechen, das ist die Temperatur. Die Temperatur erhöht sich im Rahmen der Vergrößerung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre. Und wenn sich die Temperatur verändert, verändert sich entsprechend auch das Windklima."

Und das hat, sagt Professor Ulbricht, schon jetzt ganz konkrete Auswirkungen.

"Es gibt Bereiche, in denen mit verstärkten Windereignissen, beispielsweise Staub-, oder Sandstürme in einem veränderten Maß auftreten können. Denken Sie an China, die jetzt schon damit ein Problem haben. Es gibt auch sicherlich Bereiche, in denen, ja, durch eine Veränderung der Vegetation so etwas verstärkt werden kann."

Heute, mit dem Know-How verifizierbarer und empirisch gesicherter Daten, und dem technischen Equipment moderner Wetterforscher wird kaum jemand göttliche Heerscharen beim Wettermachen vermuten. Die Wetterlagen und -ereignisse, die wir erleben, sind für uns zumeist Resultate physikalischer Prozesse. In früheren Zeiten jedoch galten ein massiver Wolkenbruch etwa oder gar eine Flut als Ausdruck einer göttlichen Gemütslage.

"Im konkreten Fall der Sintflut eben die Strafe Gottes für die Hybris der Menschen. Sie sollen also diszipliniert werden. Letztendlich muss man sich ja auch fragen, wenn es sich hier um einen fiktiven Topos handelt, der möglicherweise einen realen Hintergrund hat, aber der übertrieben dargestellt wird, dann mag dahinter eben auch der Wunsch stehen, die Menschen zu disziplinieren, indem man sagt, also wenn ihr euch nicht ordentlich verhaltet, wenn ihr gegen Gott euch verhaltet, dann wird Gott euch bestrafen. Und das Wetter wird dann sozusagen die Katastrophe, die klimatische Anomalie wird hier also instrumentalisiert, um die Menschen eben auf den richtigen Kurs zu halten."

"Gott donnert mit seinem Donner wunderbar und tut große Dinge und wird doch nicht erkannt." HIOB, Kap. 37, Vers. 5

Ob Dürreperioden, Plagen aller Arten, schwere Winde, Stürme und Orkane, Erdbeben, Wolkenbrüche und eben Noahs Sintflut - wie gesichert sind denn überhaupt die biblischen Wetterereignisse?

"Es gibt ja so unendlich viele Spekulationen, sowohl von theologischer, von historischer, aber eben neuerdings immer mehr von naturwissenschaftlicher Seite. Wenn ich meine persönliche Meinung äußern sollte, dann wäre ich hinsichtlich einer solchen Katastrophe, so wie sie dort beschrieben wird, was die historische Glaubwürdigkeit angeht, sehr skeptisch. Das scheint sich hier doch um einen Topos zu handeln, der eben nicht nur aus der biblischen Überlieferung bekannt ist, sondern auch aus anderen Kulturen bekannt ist.

Jeder hat so seinen Noah, die alten Sumerer hatten in Gilgamesch ihren Noah, und die Griechen hatten in einem Deukalion ihren Noah. Es gibt ganz viele Noahs, jeder braucht mutmaßlich seinen Noah, jeder braucht in seiner Geschichte wahrscheinlich eine solche Katastrophe, die ja dann auch bestimmten Zwecken dienen sollte, dass man eine solche Katastrophe in die Überlieferung hineinschreibt."

Für die Forscher sind nahezu alle Glaubensschriften unseres Kulturkreises wie die Thora, der Koran oder eben die Bibel wichtige Quellen.

"Also ein wichtiger Punkt ist der Vergleich: Wir dürfen nicht isoliert die Bibel jetzt betrachten und sagen, die biblische Überlieferung sagt das und das, sondern man muss die Bibel in Relation setzen zu anderen Kulturkreisen. Ein gutes Beispiel ist das Beispiel der Sintflut. Wenn man also sieht, Sintflut-Ereignisse finden sich auch in Überlieferungen anderer Kulturkreise, dann überlegt man, ist der Sintflut-Mythos eine direkte Übernahme vom Gilgamesch-Mythos inspiriert? Oder kommen die Gesellschaften unabhängig voneinander zu Konstruktion solcher Mythen?"

Ob nun als schriftlicher Bericht oder als Gemälde mit biblischem Motiv - spielt Wetter in der einen oder anderen Form im biblischen Kanon eine Rolle, so weist das dabei Dargestellte über sich hinaus. So auch im Kreuzigungsgemälde des Malers Hans Baldung Grien aus dem 16. Jahrhundert, zu dem Bernd Lindemann, der Direktor der Berliner Gemäldegalerie, weist.

"Das ist die Verdunklung des Himmels, können Sie im Evangelium nachlesen. Mit dem Kreuzestod Christi verdunkelt sich der Himmel und der Vorhang im Tempel reißt entzwei. Das wird zunächst einmal nur so geschildert, auf der anderen Seite können wir es auch so lesen mit dem neugeborenen Jesuskind kommt das Licht in die Welt, und mit dem sterbenden Menschensohn wird auf diese Weise metaphorisch zunächst einmal wieder das Licht aus der Welt genommen.

Da aber der Kreuzigungstod insgesamt ja Teil der Heilsgeschichte und damit Verheißung ist, weil auf ihn die Auferstehung folgt, müssen wir es so pessimistisch nicht sehen. Es ist zunächst einmal ein Akt der extremen Trauer, auch der Dramatik des Sichtbarmachens des Verlustes, des Todes."

Jene Stelle in der Bibel gilt als eine der dramatischsten und zugleich am lakonischsten beschriebenen Szenen. Auch im Bild an der Galeriewand wird eindringlich die Vorstellungskraft des Betrachters mit den drohenden Wolken und der Bewegung durch Wind angesprochen.

"Sie sehen, wie dort die dunklen Wolken so ein bisschen wasserschwer über dem obersten Bilddrittel hängen, meteorologische Vorhersagen kann man damit nicht machen. Anders übrigens als in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, wo es verblüffend genaue Wiedergaben von Wetterlagen gibt."

Womöglich gibt es eine Art Hitliste oder "Ranking" in der Abfolge der biblischen Wetter. Also je nachdem, wo die Ereignisse spielen, erfolgen auch die entsprechenden meteorologischen Belohnungen oder Strafen. So heißt es im 2007 erschienenen "Buch des Windes" von Allessandro Nova, dass…

"…besonders der Wind in der Bibel eine bedeutende Rolle spielt. Er kündigt den Geist Gottes an und ist doch gleichzeitig auch ein Überbringer von Unheil und Missgeschick."

"Wasser steht ganz oben gleichermaßen in der Hitliste, wenn ich das auch mal so ausdrücken darf, haben wir aber auch genau das Gegenteil, eben Dürre. Aber das korrespondiert ja miteinander, und hat etwas zu tun mit der Vegetation in jenem Bereich, von dem wir sprechen."

"Nachdem der Prophet Elia auf seiner Flucht vor den Söhnen Israels den Berg Horeb erklommen hatte, wurde er von einem starken Wind, der fähig war Berge zu spalten und Felsen zu zerschlagen angefahren, aber Gott war nicht im Wind." Buch der Könige

"Wind, das Unwetter in Form von Sturm, gehört auch zu jenen klimatischen Vorgängen, die in der Bibel, aber auch in der etwas späteren außerbiblischen, antiken Überlieferung eine große Rolle spielen. Wobei es auch hier wieder eine Schwierigkeit gibt. Aufgrund der metaphorischen Funktion des Unwetters in der Bibel und nicht aufgrund der dokumentarischen Funktion des Unwetters in der Bibel ist es sehr schwer auf die klimatischen Verhältnisse in der Zeit korrekt zurückzuschließen."

"Ein berühmtes Beispiel ist, Paulus auf dem Weg nach Rom gerät in einen Sturm und erleidet Schiffbruch. Ob das real so gewesen ist, darf man seine Zweifel haben, denn wiederum ist der Sturm ein Eingreifen Gottes, ein Zeichen Gottes. Und solche Stürme erleben wir nicht nur, wenn ein Apostel auf Reisen geht, sondern solche Stürme werden uns immer wieder im biblischen Land vorgeführt. Aber sie sind eben nicht Indikatoren für realklimatische Verhältnisse, sondern sie haben eine andere Funktion. Und sind deshalb nur bedingt geeignet für die Realkonstruktion klimatischer Verhältnisse im heiligen Land in alttestamentarischer und neutestamentarischer Zeit."

"Anima, lateinisch Seele, und Anemoi, die griechischen Windgötter, haben den gleichen Wortstamm."

Ob nun eine Sturm- oder Sintflut, eine Dürrekatastrophe, Heuschreckenplage, ein Erdbeben. Die Funktion dieser biblischen Katastrophen ähnelt sich.

"Man kann sagen, dass archetypisch alle Himmelsplagen in den berühmten zehn Plagen im alttestamentarischen Ägypten versammelt sind."

"Und die haben aber eben alle gleichermaßen die gleiche Funktion, eben den Menschen im göttlichen Sinne zu disziplinieren."

Doch sind dann die alten Texe, sowohl in der Bibel als auch in deren Nebenschriften, den Apokryphen etwa, nur metaphorisch zu verstehen? Sind demnach die beschriebenen Ereignisse samt und sonders "ausgedacht"?

"Zu der Sintflut gibt es ja die berühmte These, dass vor etwa 8000 Jahren es das Ende einer kleinen Eiszeit gegeben haben soll, in deren Folge die Meeresspiegel anstiegen, auch der Meeresspiegel des Mittelmeers. Und daraufhin ergoss sich dann das Mittelmeer in das schwarze Meer, das damals noch ein Süßwasser-Binnenmeer war, und dort seien dann rund um das schwarze Meer befindliche prähistorische Siedlungen von dieser Flutkatastrophe erfasst gewesen. Und das sei dann eben das Urbild der biblischen Sintflut gewesen.

Diese Theorie gibt es, sie ist viel diskutiert worden, sie ist spektakulär gewesen, aber sie wird eben auch dadurch relativiert, dass es eben auch noch eine ganze Reihe anderer naturwissenschaftlicher Erklärungsversuche für diese Sintflut gibt, die einander ausschließen."

"Und der Auszug des Volkes Israel, das seine Verfolger hinter sich ließ, weil Gott das Meer teilte?"

"Also ich gerate allmählich in den Ruf ein notorischer Skeptiker zu sein. Aber in der Tat denke ich auch hier, Tsunami - Ereignisse sind grundsätzlich möglich, auch im ostmediterranen Raum, im vorderen Orient. Dafür gibt es in den antiken Quellen einige Belege.

Dennoch würde ich auch hier davor warnen, die zu instrumentalisieren für die Teilung des Roten Meeres. Auch hier sehe ich wieder eher ein für die Bibel ja nicht untypischen Versuch die Allmacht Gottes zu zeigen. Und zu demonstrieren, Gott ist auf der Seite der Guten, Gott kann die Natur beeinflussen wie er will, und setzt das für die Guten ein. Den Guten wird geholfen und die Bösen werden bestraft. Dafür wird die Natur eben instrumentalisiert."

Man geht fehl, wenn man glaubt, die biblischen Wetter hätten nur noch einen dokumentarisch-metaphorischen Charakter. Vielmehr wird in unseren Zeiten des Klimawandels das Unbehangen vieler Menschen immer deutlicher, wenn es um die neuen Wetter um uns herum geht.

Und einiges, sagt Uwe Dippner vom Warnemünder Leipniz-Institut, wird wettermäßig auf uns zukommen. Zusammengefasst lassen die Prognosen an biblische Katastrophen denken.

"Dass die Wirbelstürme zunehmen oder die Taifune oder die Hurrikans zunehmen."

Mark Handy, Geologe an der Freien Universität in Berlin.

"Die Gletscher, die jetzt verschwinden, das sind große Wasserspeicher. Und dieses Wasser kommt runter, im Winter wie im Sommer. Also das wird die großen Flüsse wie Rhein, Po, Rhone, Donau...alle diese Flüsse werden davon betroffen."

Uwe Ulbricht, Meteorologe an der Freien Universität in Berlin, bringt es auf den Punkt.

"Also auf die nächsten zehn und 15 Jahre würde ich nicht versuchen wollen zu wetten. Es gibt einen Anstieg der Temperaturen weltweit."

"Es ist ja grundsätzlich die Frage, wie stehen wir dazu? Die Klimatologie macht heute große Fortschritte, dem steht gegenüber eine immer noch vorhandene religiöse Einstellung gegenüber solchen Phänomenen. Die man gar nicht für überwunden, in einem vermeintlich aufgeklärten Zeitalter, halten sollte."

So ist das, was in den Heiligen Schriften vom Wetter zu lesen ist, weit aktueller, als man oft meint. Dass angesichts der drohenden Wetter-Extreme viele denken, der Herr möge uns davor bewahren, ist nur zu verständlich.

Und wer weiß, vielleicht werden auch Bilder vom Wetter bald gemalt, wie einst im 16. Jahrhundert. Nur das die neuen Bilder neue Wetterszenen zeigen, neue Landschaften womöglich.

"Die Maler nutzen ihre Fähigkeit, die Wirklichkeit zu beobachten, um ihre Bilder aufzuladen mit sinnlich wahrnehmbaren Details, mit sinnlich wahrnehmbarer Atmosphäre, um damit dem Betrachter ein Mittel an die Hand zu geben, die Szene, die dargestellt wird intensiver zu erleben."