Heiligenschein über dem Hakenkreuz

Von Hans Dieter Osenberg · 06.09.2008
Während 1933 Sozialdemokraten und Kommunisten inhaftiert, die Juden entrechtet und schon die ersten Konzentrationslager eingerichtet wurden, war die evangelische Kirche mit ihrer inneren Verfassungsfragen beschäftigt. Die Stimmen, die sich der Gleichschaltung der Nationalsozialisten widersetzten, waren schwach, die Runde der Hellsichtigen war klein.
"Mit klopfendem Herzen erlebte ich den Einzug der Männerbataillone durch das Brandenburger Tor und den Vorbeimarsch an dem greisen Reichspräsidenten und seinem jungen Kanzler, unter dem endlosen Jubel der Menschenmassen. Ein unbeschreibliches Hochgefühl, verbunden mit dem tiefsten Dank gegen den allmächtigen Herrn der Geschichte erfüllte mein Herz, wie es wohl bei jedem nationalen deutschen Menschen gewesen ist."

So erinnert sich der spätere deutsch-christliche Bischof von Hamburg, Franz Tügel, an den 30. Januar 1933, der fortan der "Tag der Machtergreifung" heißen sollte. Und den Barmer Pfarrer Paul Humburg, der bald zu den leitenden Männern der Bekennenden Kirche im Rheinland gehört, drängt es, seinen Jubel poetisch auszudrücken. Er dichtet ein "Adolf-Hitler-Lied evangelischer Jugend", in dessen letzter Strophe es heißt:

"Die Hand ans Werk!
Jungdeutschland wagt's aufs Neue!
'Deutschland', das Feldgeschrei in Not und Tod!
Der Führer ruft! Wir alle jubeln 'Treu um Treue'!
Vor uns der Tag!
Und unsre Burg ist Gott!"


Der 30. Januar 1933 ist - wie im ganzen Volk - so auch von der weit überwiegenden Mehrheit des deutschen Protestantismus emphatisch begrüßt und mit den kühnsten Hoffnungen verbunden worden. Gerade auch in der Pfarrerschaft. Selbst Martin Niemöller, der bald im Pfarrernotbund die erste Widerstandszelle gründet und acht Jahre im Konzentrationslager zubringt, hat nie geleugnet, in den Wahlen bis 1933 Hitler gewählt zu haben.

Eine christlich-autoritäre Staatsform, die eine von Anfang an ungeliebte parlamentarische Demokratie, die Weimarer Republik, ablöst - das entspricht damals einfach der Mentalität des nationalen Bürgertums im Protestantismus.

Und Adolf Hitler tut ja auch alles, um sich gerade diesem Teil des Volkes anzudienen, raffiniert und populistisch. In seiner großen Rundfunkrede am Abend des l. Februar spricht er schon gleich zu Anfang von dem "Gelöbnis", das er "als nationaler Führer vor Gott, unserem Gewissen und unserem Volk" ablege. Und am Schluss heißt es:

"So wird es die nationale Regierung als ihre oberste und erste Aufgabe ansehen, die geistige und willensmäßige Einheit unseres Volkes wiederherzustellen. Sie wird die Fundamente wahren und verteidigen, auf denen die Kraft unserer Nation beruht. Sie wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen. .. Möge der allmächtige Gott unsere Arbeit in seine Gnade nehmen, unseren Willen recht gestalten, unsere Einsicht segnen und mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken. Denn wir wollen nicht kämpfen für uns, sondern für Deutschland."

Auf solche Schalmeientöne versteht sich der, der jetzt von allen Deutschen nur noch der "Führer" genannt werden will. Und sein Propagandaminister Goebbels weiß, wie das passende Arrangement dazu aussehen muss: Ein paar Wochen später, am 4. März in Königsberg zum Beispiel. Am Vorabend der Reichstagswahlen, die angesetzt sind. Auch diese Rede wird im Rundfunk übertragen.

Zum Abschluss erklingt im Radio der Choral "Wir treten zum Beten", dann Glockengeläut. Aber alles von einer Schallplatte, denn das Läuten der Königsberger Domglocken war vom Kirchengemeinderat verboten worden. Die Rundfunkhörer wissen das natürlich nicht. Schon drei Wochen zuvor hatte sich Hitler im Berliner Sportpalast einen regelrechten Kanzelton zugelegt:

"Es kommt noch einmal die Stunde, in der die Millionen,die uns heute hassen, hinter uns stehen und mit uns dann begrüßen werden das gemeinsam geschaffene, mühsam erkämpfte, bitter erworbene neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen."

Man glaubt es kaum. Hitler schließt tatsächlich mit einer deutlichen Anleihe .bei der Doxologie des Vaterunsers mit einem "Amen"! Bei dem großen Berliner Fackelzug am Abend des 30. Januar war es zu einer Schießerei gekommen. Ein SA-Mann und ein Polizeiwachtmeister kamen dabei ums Leben. Die neue Regierung beantragt publikumswirksam eine Trauerfeier im großen Berliner Dom am Lustgarten.

Das gewünschte Defilee des Volkes an den Särgen lehnt das Domkirchenkollegium zwar ab, aber die Trauerfeier selbst wird zugelassen. Hitler und Göring sitzen sogar zusammen mit dem preußischen Kronprinzen in der ersten Reihe. Der Pfarrer und SA-Mann Joachim Hossenfelder predigt über Johannes 15, Vers 13:

"Niemand hat größere Liebe denn die daß er sein Leben läßt für seine Freunde."

Ein Wort, das schon in den Kriegspredigten des ersten Weltkriegs massenhaft von Kanzelpredigern für den Soldatentod missbraucht worden ist. Und bei der allseits geschürten Bolschewistenfurcht, die an erster Stelle in den beiden Kirchen auf fruchtbaren Boden fiel, macht es natürlich Eindruck, wenn Hitler in jener Sportpalastrede sagt, jetzt stünden an der Spitze Deutschlands "Christen und keine internationalen Atheisten":

"Ich rede nicht nur vom Christentum, nein, ich bekenne auch, daß ich mich niemals mit den Parteien verbinden werde, die das Christentum zerstören."

Natürlich nicht, denn die Parteien, die Hitler meint, hat er ein paar Wochen später schon verboten und ihre Mitglieder bangen um ihr Leben. Aber in diesen ersten Wochen und Monaten strömen im ganzen Reich die SA-Leute in die Kirchen. Teilweise erbitten ganze Parteiformationen besondere Gottesdienste. Massentrauungen in SA-Uniform finden statt. Der Chorraum des Magdeburger Domes ist umstellt mit Hakenkreuzfahnen, in den Gemeindehäusern werden, wie in den Privatwohnungen Hitlerbilder aufgehängt.

Schon im Herbst des Vorjahres waren die evangelischen Gemeinden bei der Kirchenwahl am 13. November 1932 von den "Deutschen Christen" in die Zange genommen worden. Diese sogenannte "Glaubensbewegung" propagiert eine "völkisch gesinnte, rassenreine Reichskirche" mit "Führerprinzip" und macht aus Jesus einen germanischen Helden. Trotz christlicher Taufe wird Juden in dieser Kirche die Mitgliedschaft versagt.

Bei der Kirchenwahl hatten die "Deutschen Christen" durch geschickte Propaganda vor allem kirchlich abseits Stehende an die Wahlurnen gebracht und so viele Sitze in den Gemeindekörperschaften erobert. In Rheinland und Westfalen, wo der synodale Gemeindeaufbau bestimmend ist, etwa ein Fünftel der Mandate, in Pommern und Ostpreußen fast die Hälfte, in Berlin ein Drittel. Die "Deutschen Christen" selbst sind mit ihren Erfolgen noch ganz unzufrieden, aber die braune Politisierung der Evangelischen Kirche nimmt nun doch rasant ihren Lauf

Gegenüber dieser Euphorie sind die Stimmen, die sich widersetzen, schwach. Dietrich Bonhoeffer, der Ende Februar, kurz vor der Reichstagswahl, in der Berliner Dreifaltigkeitskirche zu predigen hat, sagt:

"Wir haben in der Kirche nur einen Altar, und das ist der Altar des Allerhöchsten vor dem die Kreatur auf die Knie muß. Wer etwas anderes will, als dies, der bleibe fern, der kann nicht mit uns im Hause Gottes sein. Wir haben in der Kirche auch nur eine Kanzel und von dieser Kanzel aus wird vom Glauben an Gott geredet und sonst von keinem Glauben und keinem noch so guten Willen."

Die rheinischen "religiösen Sozialisten" hatten schon bei den Kirchenwahlen im November prophetisch erklärt:

"Sie werden vom Evangelium reden, aber sie meinen damit ihr eigenes Evangelium des Rassenhochmutes, der brutalen Vergewaltigung jeder anderen Meinung, der Verherrlichung des Kriegsgeistes und der militärischen Aufrüstung. Sie haben das Kreuz Christi verzerrt zum
Hakenkreuz."


Auch die Kölner Theologin Ina Gschlössl gehört zu dem kleinen Kreis der Hellsichtigen. Sie schreibt in einem Aufsatz:

"Was hat unsere evangelische Kirche zu erwarten, wenn sie in Blindheit gegen ihren Auftrag bedenkenlos all diese heidnisch-religiösen, politischen, weltlichen Strömungen ungefragt und unkritisiert in sich einmünden läßt? Doch eine schlimme Bedrohung ihrer christlichen Substanz, eine Verkürzung ihres tiefsten Gehalts, die nie und nimmer ausgeglichen oder gutgemacht werden kann."

1933 wird Ina Gschlössl, die Religionsunterricht gibt, von einer Schülerin denunziert und von der Stadt Köln entlassen. Begründung:

"Ungeziemende Bemerkungen über den Herrn Reichskanzler und andere Staatsmänner und über die Judenfrage, die jedes Verständnis für den nationalen Standpunkt vermissen lassen."

Die Judenfrage. Wenn schon nicht der ominöse Reichstagsbrand im Februar mit der unmittelbar danach einsetzenden brutalen Verfolgung der Kommunisten und Sozialdemokraten, dann hätte zumindest der l. April alle Alarmglocken bei den Christen schrillen lassen müssen. Aber das verhindert der gerade auch bei den Protestanten traditionelle Antisemitismus.

Am Samstag, den l. April 1933, veranstalten die Nationalsozialisten einen Boykott jüdischer Geschäfte,Rechtsanwalts- und Arztpraxen. Überall stehen SA-Posten,vor jedem Laden, jeder Praxis, jeder Werkstatt, die einem Deutschen jüdischer Herkunft gehören. Die Reichsvertretung der deutschen Juden schickt an den Evangelischen Oberkirchenrat und an den katholischen Kardinal Bertram ein flehentliches Telegramm, die Kirchen möchten doch einen solidarischen Protest erheben.

Der Kardinal antwortet überhaupt nicht und der Oberkirchenrat telegrafiert, er beobachte die Situation sorgsam hoffe aber, daß sich die Lage bald beruhige. Der rheinische Sozialpfarrer Wilhelm Menn schreibt an den Generalsuperintendenten der Rheinischen Kirche D. Ernst Stoltenhoff:

"Wer wird den Mut haben, hier das Notwendige zu sagen (...), daß die christliche Kirche es mit aller Deutlichkeit als sittliches Unrecht bezeichnet, als widerchristlich, Menschen deshalb als Einzelne zu verfolgen und zu schädigen, weil sie einer Gruppe angehören, gegen die man aus irgendeinem Grund kämpfen zu müssen meint?"

Stoltenhoff schreibt zwar zurück, er hoffe, dass der Boykott bald aufhöre, aber er räumt auch ein, man müsse schließlich Verständnis dafür haben, wenn das Volk sich einmal Luft verschaffe gegen das Börse, Presse und Theater beherrschende Judentum. Und der Generalsuperintendent Otto Dibelius schreibt seinen kurmärkischen Pfarrern zu Ostern, trotz des bösen Klanges, der dem Wort anhafte, habe er sich immer als Antisemiten gewusst.

Die deutsch-christlichen Presbyter Köln-Nippes fordern, sofort den bei ihnen tätigen judenchristlichen Kirchenmusiker Julio Goslar zu entlassen und im hohenzollernschen Hechingen muss wegen seiner jüdischen Abstammung der Pfarrer Peter Katz gehen. Frauen - das hatte sich schon bei Ina Gschlössl gezeigt - sind im Widerspruch mutiger, als die Männer, erst recht als die kirchenleitenden Männer.

Agnes von Zahn-Harnack, Tochter des berühmten Theologieprofessors, macht zusammen mit anderen Frauen eine Eingabe an den württembergischen Landesbischof Wurm: Mit der Gleichsetzung von religiösen und politischen Begriffen, so schreiben sie, gehe Hand in Hand "ein Kampf gegen unsere jüdischen Volksgenossen, der nicht nur unsere Volksgemeinschaft zerstört, sondern den man als eine fortgesetzte Übertretung des obersten Gebotes des Christentums ansehen muß".

Auch Dietrich Bonhoeffer meldet sich in einem sehr programmatischen Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage" zu Wort:

"Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören."

Gegebenenfalls, so Bonhoeffer, habe die Kirche sogar nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Doch trotz solcher Stimmen gilt das Resümee, das der Kirchenhistoriker Klaus Scholder zieht:

"Die Kirche als ganze blieb stumm. Kein Bischof, keine Kirchenleitung, keine Synode wandte sich in den entscheidenden Tagen um den l. April öffentlich gegen die Verfolgung der Juden in Deutschland."

Kurz vor diesem l. April hatten sich die Nationalsozialisten noch einen besonderen Coup ausgedacht, mit dem sie die evangelische Kirche instrumentalisierten.Zur Eröffnung des neugewählten Reichstages gibt es einen Staatsakt ausgerechnet in der Potsdamer Garnisonkirche, wo Preußentum und Protestantismus sich verbünden. Erstmals gleichzeitig von allen deutschen Sendern übertragen.

Das Innere der Kirche ist mit Lorbeer ausgeschlagen, die Fahnen der preußischen Armee sind aufgestellt. Hitler, im feierlichen Cut, verliest seine Proklamation vor dem Altar vom Lesepult, und reicht dem betagten Reichspräsidenten von Hindenburg über den Gräbern der Preußenkönige die Hand. Mit Orgelmusik und Chorälen gleicht dieser Staatsakt selbst einem Gottesdienst, obwohl ein evangelischer Gottesdienst in der Nikolaikirche und ein katholischer in der Pfarrkirche vorausgegangen sind.

Doch niemand von den führenden Nationalsozialisten ist dort, nur Hindenburg sitzt in der Nikolaikirche. Dort predigt der Generalsuperintendent Dibelius ausgerechnet über das in dieser Situation höchst missverständliche Wort aus dem Römerbrief: "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?!" Die Predigt ist äußerst zwiespältig. Zwar sagt er:

"Staatliches Amt darf sich nicht mit persönlicher Willkür vermengen. Ist die Ordnung hergestellt, so müssen Gerechtigkeit und Liebe wieder walten."

Aber Tenor der Predigt sind die alten protestantisch-preußischen Hoffnungen und Illusionen darüber, was Hitlers neue Regierung wirklich beabsichtigt. Dabei hat doch der gleiche Dibelius nur zwei Wochen vorher einen sehr beachtlichen Rundbrief an seine Pfarrer verschickt, in dem bemerkenswerte Sätze stehen:

"Wir werden darin einig sein, daß das Evangelium im Gegensatz zu jeder menschlichen Ideologie steht, sie mag nationalsozialistisch oder sozialistisch, liberal oder konservativ sein. (...) Mag die Politik Gräben ziehen, mögen Staatsmänner von Vernichten, Ausrotten und Niederschlagen reden, mögen Haßbotschaften bei Massenaufmärschen einen Beifall finden - wir haben einen anderen Geist empfangen. (...) Wo Haß gepredigt wird, und nun gar der Haß gegen Glieder des eigenen Volkes, da ist der Geist Jesu Christi nicht."

Einerseits fast hysterischer Jubel, andererseits Warnung vor Rechtsbruch und Evangeliumsfeindschaft - so zwiespältig geht es im ganzen Protestantismus in diesem Jahr 1933 zu und Otto Dibelius verkörpert wie kein anderer dieses Schillernde in seiner Person. Er hat es bis in die Nachkriegszeit hinein nicht verloren. Die preußische Kirchenleitung lässt jedenfalls keinen kritischen Abstand mehr zum neuen Staat erkennen in ihrer Osterbotschaft;

"Die Osterbotschaft von dem auferstandenen Christus ergeht in Deutschland in diesem Jahr an ein Volk, zu dem Gott durch eine große Wende gesprochen hat. (…) Mit allen evangelischen Glaubensgenossen wissen wir uns eins in der Freude über den Aufbruch der tiefsten Kräfte unserer Nation zu vaterländischem Bewußtsein, echter Volksgemeinschaft und religiöser Erneuerung."

Während Sozialdemokraten und Kommunisten inhaftiert, alle Parteien außer der NSDAP aufgelöst, die Juden entrechtet und schon die ersten Konzentrationslager eingerichtet werden, ist die Evangelische Kirche im Sommer 1933 mit inneren Verfassungsfragen beschäftigt.

Die "Deutschen Christen" drängen auf die eine evangelische Reichskirche mit einem Reichsbischof an der Spitze. Voreilig und bevor noch eine Verfassung ausgearbeitet ist, wählt man Friedrich von Bodelschwingh, den Leiter der Betheler Anstalten, in dieses Amt, um Schlimmeres zu verhüten. Doch Hitler versagt ihm die Anerkennung. Bodelschwingh tritt nach nur vier Wochen zurück und hinterlässt damit ein großes Chaos.

Der einzige evangelische Pfarrer, den Hitler persönlich kennt, ist der Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller. Ein theologisch wie charismatisch äußerst schlicht gestrickter Mann. Er soll und er will Reichsbischof werden. Ende Juni besetzt er schon mal in einer spektakulären Aktion, mithilfe von SA-Einheiten, das Gebäude des Kirchenbundesamtes in Berlin.

Bis es im September zu seiner endgültigen Wahl kommt, - seinen Spitzname "Reibt" hat er schnell weg - dringt der militante Jurist August Jäger auf die Gleichschaltung der Kirche. Bei den Kirchenwahlen im Juli erobern die "Deutschen Christen" die Mehrheit der Sitze in den Gemeinden. Und auf der preußischen Generalsynode am 5. September - die "Deutschen Christen" alle in brauner Uniform, deshalb "braune Synode" genannt - setzen durch, dass der "Arierparagraf" auch in der Kirche eingeführt wird: Die christliche Taufe spielt keine Rolle mehr, Pfarrer, Kirchenmusiker, Mitglieder von Kirchengemeinderäten mit jüdischer Abstammung sollen ihre Ämter verlieren.

Jetzt endlich gibt es ein Erwachen. Diese "braune Synode" führt zum ersten organisierten Widerstand. Der Dahlemer Pfarrer Martin Niemöller gründet den "Pfarrernotbund". Binnen eines Vierteljahres gehören ihm schon 7000 Pfarrer an, ein Drittel der gesamten Pfarrerschaft. Bis 1945 bringen die Mitglieder über zwei Millionen Reichsmark auf, zur Unterstützung der abgesetzten Pfarrer und ihrer Familien und für den Rechtsbeistand Verfolgter.

Doch auch an der Basis rumort es. Gemeindeglieder schließen sich gegen ihre deutsch-christlichen Pfarrer zusammen, es gibt die ersten sogenannten "Freien Synoden"und große Bekenntnisversammlungen. In der Westfalenhalle in Dortmund kommen im März 1934 25.000 Menschen zum "Gemeindetag unter dem Wort".

Ganz unerwartet kommt dem Widerstand noch ein Eklat zugute, den die "Deutschen Christen" sich selbst einbrocken und sich damit gründlich demaskieren: Am 13. November halten sie eine Großkundgebung im Berliner Sportpalast ab. Die Gruppen ziehen mit ihren Fahnen ein, alle 20.000 Plätze sind besetzt, der gesamte preußische Oberkirchenrat sitzt am Vorstandstisch. Den Hauptvortrag hält ein junger Berliner Studienassessor Dr. Reinhold Krause. Er beschreibt, wie die künftige Volkskirche auszusehen habe:

"Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst - Be-
freiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, seinen Viehhändler- und Zuhältergeschichten - Reinigung des Neuen Testaments von allen entstellten und abergläubischen Berichten - Verzicht auf die ganze Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus - nur noch leuchtende Jesuslehre, die den Forderungen des Nationalsozialismus entspricht."


Lang anhaltender Beifall und "Ein feste Burg ist unser Gott", von SA-Kapellen begleitet. Eine Welle der Empörung schwappt bis in die letzte Gemeinde des Reiches. So hatte man sich das mit "Drittem Reich" und Kirche nun doch nicht gedacht. Dem Nationalsozialismus wollen die meisten Evangelischen treu bleiben, Adolf Hitler auch, aber doch nicht mit so radikalen Konsequenzen in der Kirche.

Eine Lawine von Austritten lässt die Bewegung der "Deutschen Christen' schrumpfen und schließlich zerfallen. Aber Ämter, Kirchenleitungen und Synoden sind zum Ende des Jahres 1933 vom Geist dieser braun gefärbten Irrlehre schon so stark infiziert, dass es der kirchlichen Opposition, die sich nun in einer "Bekennenden Kirche" sammelt und organisiert, nicht mehr viel nützt.