Gespräche und Musik zu Heiligabend

Leben, Glauben, Feiern in der Minderheit

86:39 Minuten
Minarett der Omar-Moschee (li.) vor der Geburtskirche (2.v.li.) dem St. Georgs Kloster und einer Kirche am Manger Square in Bethlehem.
Viele Religionen im Heiligen Land: Das Minarett der Omar-Moschee (li.) vor der Geburtskirche (2.v.li.) dem St. Georgs Kloster und einer Kirche am Manger Square in Bethlehem. © imago / Friedrich Stark
Dani Kranz und Nikodemus Schnabel im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 24.12.2021
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Im Geburtsland Jesu haben am 24.12. nur wenige Grund zu feiern, bei uns ist das Fest der Liebe dagegen überall. Ein Mönch aus Jerusalem und eine Anthropologin blicken auf Minderheiten und Mehrheitsgesellschaften in Israel, Palästina und Deutschland.
Der Benediktinermönch Nikodemus Schnabel feiert Heiligabend zunächst mit vielen Juden und Jüdinnen, die in die Dormitio-Abtei in Jerusalem kommen, um das christliche Fest mitzuerleben. Dann geht er mit einer Rolle voller Namen von Menschen, die um ein Gebet bitten, zu Fuß durch die Nacht nach Bethlehem. "Ich trage deinen Namen" heißt die Weihnachtsaktion der Abtei.
„Und wenn das unter der Woche ist, dann kommen uns halt in dieser Heiligen Nacht Reinigungsmaschinen, Kehrmaschinen und die Müllabfuhr entgegen – also: Werktag pur“, sagt Schnabel.

Dreimal Weihnachten in Bethlehem

Die verschiedenen christlichen Minderheiten im „Heiligen Land“ feiern aufgrund unterschiedlicher Kalender und Daten an drei verschiedenen Terminen Weihnachten: am 25. Dezember, am 7. und am 19. Januar. Trotz dieser Zersplitterung sei aber vielen Menschen das Miteinander unter dem Dach des Christentums weitaus wichtiger als die Unterscheidung in die verschiedenen westlichen, orthodoxen und orientalischen Konfessionen, erklärt Pater Nikodemus Schnabel, selbst promovierter Ostkirchenkundler.
Pater Nikodemus Schnabel trägt eine schwarze Kutte und lächelt freundlich in die Kamera
Das Verbindende sei für viele Christinnen und Christen wichtiger als das Trennende der Konfessionen, sagt Pater Nikodemus Schnabel.© Pascal Nowak
Wenn er Christen nach ihrer Konfession frage, erlebe er, „dass manche fuchsteufelswild werden und fragen: Warum willst Du das Trennende wissen? Ich bin Christ, das kann Dir reichen. Es gibt aber auch die, die sehr stark das Trennende betonen.“ Konfessionsverbindende Ehen seien dennoch die Regel, nicht die Ausnahme unter christlich Getauften in Palästina.

Kleine Traditionen bleiben, Textwissen nimmt ab

Auch für die Anthropologin Dani Kranz, die in einer jüdisch-säkularen Familie in Köln aufgewachsen ist, hatte das Weihnachtsfest in ihrer Kindheit eine Bedeutung, wozu vor allem ihre katholisch-atheistische Großmutter mit leckeren Weihnachtstellern beitrug.
Kleine Traditionen würden in allen Familien weitergegeben, sagt die Anthropologin, die auch schon eine an jüdische Rituale angelehnte Beerdigung eines Katers vollzogen hat. Das grundlegende Wissen über religiöse Texte verliere sich aber überall, so die vom DAAD entsandte Gastprofessorin an der Ben Gurion Universität in Beer Sheva.

Mönche nur aus dem Computerspiel bekannt

„Der religiöse Analphabetismus nimmt zu“, beobachtet auch Pater Nikodemus Schnabel. „Gerade in Deutschland, wo viele gar nichts mehr damit anfangen können, was ich bin. Viele denken: Mönch, das ist ein Charakter aus dem Computerspiel, das ist etwas aus Fantasy-Romanen oder aus der Vergangenheit.“
Klischees seien sein tägliches Brot, aber er spiele auch gern damit: „Es gibt keinen spannenderen Gesprächseinstieg als so ein gutes Klischee.“
Dani Kranz, mit kurzem aschblondem Haar und schwarz gerahmter Brille, in einem schwarzen T-Shirt steht an einem sonnigen Tag vor einer dreispurigen, wenig befahrenen Straße, im Hintergrund: Hochhäuser mit Glas- und Stahl-Fassaden.
"Weißsein suggeriert Zugehörigkeit", beobachtet die Anthropologin Dani Kranz.© Deutschlandradio / Anne Françoise Weber
Während Pater Nikodemus Schnabel bewusst und gern als Deutscher, Christ und Mönch in Jerusalem dreifach in der Minderheit lebt, ist Anthropologin Dani Kranz ambivalent, ob sie überhaupt einer Minderheit angehört: „Wenn ich jetzt von meinem jüdischen Status ausgehe, tue ich es. Aber ich bin weiß, ich bin deutsche Muttersprachlerin. Und ich falle nicht auf. Denn Weißsein suggeriert in Deutschland immer Zugehörigkeit.“
Und dennoch beobachtet sie, wenn sie von Deutschland nach Israel reist, „dass ich mich trotz aller Abnormität, die das Land zu bieten hat, hier in Israel normaler fühle.“

Juden sollen nicht sichtbar werden müssen

Das Festjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland, das 2021 begangen wird, sieht die Anthropologin durchaus kritisch: „Der Wunsch nach Sichtbarkeit von Juden in Deutschland ist ein deutscher, aber kein jüdischer Wunsch.“
Wenn man bei einer Veranstaltung frage, wer der anwesenden Juden denn sichtbar werden wolle, stehe keiner auf. Es sei zwar wichtig, die kulturelle Diversität von Juden wie von Nicht-Juden in der Bundesrepublik wahrzunehmen. „Wenn ich aber Jurist bin und Mandate vertrete im Immobilienrecht, dann sollte ich nicht als Jude sichtbar werden müssen in irgendeiner Form, weil das ja auch nichts mit meinem Job zu tun hat“, so Kranz.

Migrantinnen sind in einer schwächeren Position

Wer sich entscheidet, zu migrieren, nimmt in Kauf, in einer neuen Gesellschaft zu einer Minderheit zu gehören. Durch seine Arbeit als Patriarchalvikar für Migranten und Asylsuchende kennt Pater Nikodemus viele leidvolle Migrationsgeschichten.
Kranz hat zu nicht-jüdischen Menschen geforscht, die aus dem globalen Norden nach Israel gekommen sind und trotz vieler Privilegien oft Schwierigkeiten haben. Sie weist darauf hin: „Jemand, der migriert, egal ob in Deutschland oder in Israel, ist immer in einer schwächeren Position als jemand, der da geboren, aufgewachsen, Muttersprachler ist und alle Verbindungen hat.“

Antichristliche Angriffe, jüdische Solidarität

Als Angehöriger einer christlichen Minderheit erlebt Pater Nikodemus Schnabel in Jerusalem immer wieder Verbal- oder Spuckattacken. Besonders schlimm war ein Brandanschlag 2015 auf ein Kloster seiner Gemeinschaft am See Genezareth. Danach habe es aber auch enorme Solidarität von vielen Menschen der Mehrheitsgesellschaft gegeben, erzählt Schnabel: „Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Juden in Israel haben Geld gesammelt zum Wiederaufbau für ein Kloster, das von deutschen Mönchen bewohnt wird.“
In Deutschland sei neben offenen antisemitischen Gewalttaten struktureller Antisemitismus immer noch subtil und unterschwellig vorhanden, beobachtet Dani Kranz, die dem Beratungskreis des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung angehört. Daran müsse gearbeitet werden – auch im Kleinen: „Denn jemand, der sich sicher in seiner eigenen Identität ist, ist viel weniger darauf erpicht, jemand anderes als Bedrohung oder als unter sich stehend wahrzunehmen.“

Mehrheit und Minderheit sind menschengemacht

Die Kategorien von Mehrheiten und Minderheiten sollten genauer in ihrer historischen Entstehung betrachtet werden, fordert Kranz. „Wir Menschen habe diese Kategorien geschaffen, haben dieses Schubladendenken geschaffen, wir marginalisieren und diskriminieren andere Menschen“, betont auch Pater Nikodemus Schnabel.
Gott sei dafür nicht in Haftung zu nehmen. Diese Trostbotschaft gebe er auch den Migranten und Asylsuchenden mit, um die er sich kümmere: „Eure Erfahrung von Diskriminierung und Marginalisierung ist menschengemacht. Gott hat etwas anderes mit euch vor.“

Empathie könnte weiterhelfen

In jüdischer Tradition müsse man den anderen erst mal um Verzeihung bitten, bevor man Gott um Vergebung bitte, ergänzt Dani Kranz mit Verweis auf den Versöhnungstag Jom Kippur. Das Konzept der Empathie sollte viel öfter angewendet werden.
„Das bedeutet, ich versuche, in den Schuhen der anderen Person zu gehen. Wenn wir das praktizieren würden, in abgewandelter aber doch noch an die drei monotheistischen Religionen angelehnter Form, dann wären wir auf jeden Fall einen großen Schritt weiter.“

Pater Nikodemus Schnabel: "Zuhause im Niemandsland. Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina"
Herbig Verlag, München 2015
176 Seiten, 20 Euro

Dani Kranz: "(Friendly) Strangers in Their Own Land No More: Third-Generation Jews and Socio-Political Activism in the Present in Germany."
In: Catherin Bartlett / Joachim Schlör (Hg): "The Stranger in Early Modern and Modern Jewish Tradition"
Brill Verlag, Leiden / NL 2021
E-Book, 149 Euro

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