Hegel und die "Querdenker"

Der Philosoph wäre der Wissenschaft gefolgt

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Holzschnitt-Porträt des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Schwarz-Weiß
Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770- 1831): Dass der Mensch frei sei, stand im Zentrum seines Denkens, sagt Jürgen Kaube. © imago / imagebroker
Jürgen Kaube im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 27.08.2020
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Der Mensch ist frei: Darin sieht "FAZ"-Herausgeber Jürgen Kaube den Kern des Hegelschen Denkens. Dem Freiheitsbegriff der sogenannten "Querdenker" würde der vor 250 Jahren geborene Philosoph aber wohl widersprechen - auch in Bezug auf die Maskenfrage.
Vor 250 Jahren wurde der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel geboren. Er stammte aus Stuttgart, genau wie viele der selbst ernannten "Querdenker" heute. Sie stellen sich gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen und behaupten, die Bundesregierung schüre nur Panik und schränke die Meinungsfreiheit ein. Hegel würde eine eindeutige Position dazu beziehen, ist der Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Jürgen Kaube, überzeugt: "Hegel hat Freiheit ganz eng zusammengebracht mit Vernunft."
Deshalb hätte der Philosoph nach guten Gründen gefragt und wäre sehr skeptisch gewesen. Die guten Gründe scheinen aber "nicht immer aus Stuttgart hervorzugehen", wie Kaube es formuliert.
Demonstrierende ziehen durch Berlin und halten ein Schild hoch, auf das ein menschliches Gehirn gezeichnet ist und auf dem zu lesen ist: "Benutze dein Hirn".
"Benutze dein Hirn": Diese Forderung hätte Hegel wahrscheinlich an Demonstrierende zurückgegeben, die gegen Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen.© imago / Müller-Stauffenberg
Hegel selbst sei an einer Epidemie gestorben: der Cholera, über die man damals wenig wusste. Es habe dieselben Auseinandersetzungen gegeben wie heute:
"Lockdown oder Herdenimmunität, die Begriffe waren noch nicht da, aber es gab diese Position. Insofern hätte Hegel jetzt im Rückblick auch ein ganz vitales Interesse daran gehabt, der Wissenschaft zu folgen. Denn wenn man es nicht weiß, woher etwas kommt, wenn die Natur undurchdrungen bleibt, dann handelt man eben auch falsch und nicht frei. Es ist dann nur eine Scheinfreiheit, wenn man sagt, mich interessiert die Maske nicht."

Die Gesellschaft als Ganzes denkt ständig nach

Hegel habe als erster Philosoph gesagt, dass der Mensch frei sei: "Das steht im Zentrum seines Denkens." Den Praxistest muss seine Philosophie nach Kaubes Ansicht nicht scheuen. Denn man müsse zwischen einzelnen Menschen, die unvernünftig seien, und einer Gesellschaft als Ganzes unterscheiden: "Da liegen wir eigentlich nach wie vor in Hegels Welt", sagt Kaube, der selbst ein Buch über den Philosophen geschrieben hat ("Hegels Welt").
Jürgen Kaube im Porträt
Jürgen Kaube, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und Buchautor© F.A.Z. / Frank Röth
Die Gesellschaft sei eine "riesige Reflexion" über ihre Prämissen. "Es wird ja ständig alles überprüft und ständig alles durchdacht – nicht von jedem, nicht von jeder Gruppe, aber die Gesellschaft selber ist eine einzige Unruhe des Nachdenkens", sagt Kaube.
"Was ist richtig? Nehmen wir diese Pandemie, nehmen wir die Frage der 'Black Lives Matter'-Bewegung, es wird ständig alles noch einmal durchdacht. Insofern war das auch ein Argument von Hegel: Es steht gar nicht in unserem Belieben, zu denken oder nicht zu denken, es wird ständig gedacht, und es gibt ständig Resultate. Die sind nicht immer endgültig, sind in den seltensten Fällen endgültig, aber man kann es nicht leugnen, dass zum Beispiel unsere Freiheit, unser Wohlstand, unsere Gesundheit kognitive Voraussetzungen hat, und darauf hat Hegel vor allem Wert gelegt."
(bth)
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