Heftige Farbtöne, grobe Flächen

Von Volkhard App · 28.09.2012
Das Essener Folkwang Museum zeigt den expressionistischen Wandel in der Malerei, der vor 100 Jahren Anstoß erregte. Die Leistung der Sonderausstellung "Im Farbenrausch" besteht darin, hochkarätige Bilder von internationalen Leihgebern zusammengeführt zu haben.
Schiefe Fensterläden, die offen stehen: Der Blick fällt aus dem Innenraum auf Blumentöpfe und dann auf kleine Boote, deren Masten wie Besenstiele emporragen. Ein bisschen Gekräusel im Wasser und pastose Pinselstriche für den Himmel. Eine Szene in hellen, grellen, teils giftigen Farben.

Bilder wie dieses von Henri Matisse galten als Angriff auf den verbürgten "guten Geschmack” - nicht nur 1905 in Pariser "Salon d'Automne”. Das Schimpfwort "Fauves” - "Wilde” - machte die Runde. Den Kollegen in Deutschland gab die befreite Art zu malen jedoch wichtige Impulse, so den "Brücke”-Künstlern in Dresden, die sich gerade zusammengefunden hatten. Heftige Farbtöne, grobe Flächen mit und ohne Konturen erregten hierzulande die Gemüter.

Wobei das Wort "Farbenrausch" alleine den Wandel in der Malerei nicht hinreichend beschreibt. Sandra Gianfreda, die Kuratorin:

""Es ist der neue Umgang mit der Farbe, die Künstler lösen sich vom Lokalton, sie gehen nicht mehr naturalistisch vor, sondern setzen die Farbe subjektiv ein. Es geht aber auch um die Form: Sie vereinfachen, die Perspektive wird nicht mehr nach den strengen Regeln angewandt. Doch ganz klar im Vordergrund steht die Farbe.”"

Die Bilder der großen Anreger und die der deutschen Maler sind in Essen oft nebeneinander gehängt, um die geistige Verwandtschaft zu veranschaulichen: Landschaften, Stilleben und Badeszenen ("Arkadien"). Das sind die thematischen Abteilungen der Schau. In anderen Räumen mit tiefgrauen Wänden gilt das Augenmerk den Gruppierungen an sich: den "Fauves” und der "Brücke” - und weiteren prominenten Akteuren.

Kurator Mario-Andreas von Lüttichau:

""Wir haben auch Kandinsky, Gabriele Münter, Jawlensky und Marianne von Werefkin mit aufgenommen, weil diese Künstler in Murnau 1908 etwas ganz Besonderes geschaffen haben. Sie waren ja in Frankreich, sind viel gereist und kommen zurück nach Murnau und entwickeln dort mit den Landschaften eine völlig andere Farbgestaltung. Aber es hat eben bis 1908 gedauert, bevor sie eine explosionsartige Farbgebung in ihre Bilder gebracht haben.”"

Eine besondere Rolle spielte Edvard Munch, der die deutschen Künstler stärker noch als in der Farbgebung mit seinen Motiven anregte. Parallel gehängte Gemälde zeigen es: Mädchen auf dem Bettrand oder erschöpft in den Kissen liegende junge Frauen bei ihm und den deutschen Malern - oder schmale hochformatige Porträts: hier die großartige Darstellung Harry Graf Kesslers von Edvard Munch, dort das stolze Heckel-Bildnis von Max Pechstein. Und die Akte unter Bäumen und am Badesee, die die "Brücke”-Artisten gerne als Ausdruck unverfälschter Natur malten, hatten eine Inspirations-Quelle in Munchs Männerbildnissen. Unverkennbar auch, wie dessen "Mädchen auf der Brücke” Marianne von Werefkin Jahre später kompositorisch anregten.

Kunst, die vielerorts Anstoß erregte, wurde von Karl Ernst Osthaus, dem Gründer des Folkwang Museums in Hagen, gesammelt und ausgestellt. Das Haus in Essen wiederum war mit seiner vorzüglichen Kollektion im letzten Vierteljahrhundert ein guter Ort, sich der klassischen Moderne und ihrer Einflüsse zu vergewissern: Große Ausstellungen zu Gauguin und Cezanne fanden hier statt, auch die Schau "Van Gogh und die Moderne” ist unvergesslich. Diese Urväter sind derzeit besonders im Eingangssaal der Sonderausstellung vertreten, wo es um den "Aufbruch zur Farbe” geht - generell aber stehen eben Munch und die "Fauves” als Impulsgeber im Mittelpunkt. Letztlich eine Verkürzung der Historie?

Sandra Gianfreda: ""Keine Verkürzung, sondern eher eine Konzentration. Man kann in einer Ausstellung nicht alles als Gesamtphänomen zeigen. Da müssen wir eben andere Zusammenhänge weglassen, wie zum Beispiel die Rezeption der sogenannten primitiven Kunst. Oder die Entwicklung der Druckgrafik. Der Vorteil ist, dass man sich dann konzentrieren kann auf einen spezifischen Aspekt.”"

Der Blickwinkel ist hier auch zeitlich begrenzt: Von 1905 bis 1911 reicht die Betrachtung der künstlerischen Impulse Richtung Deutschland, 1912 schon setzte die Kölner "Sonderbund”-Ausstellung mit ihrem Bekenntnis zur Moderne neue Akzente, denen man in der Dom-Metropole gerade in einer anderen sehenswerten Präsentation nachspürt.

Im Folkwang Museum werden vor allem Details vertieft, die Kunstgeschichte aber muss nicht neu geschrieben werden. Die Leistung besteht darin, Bilder dieser Qualität von internationalen Leihgebern zusammengeführt zu haben.

Zu denken gibt am Rande dieser opulenten Ausstellung, wie sehr skandalträchtige Gemälde von einst heute zum Gewohnten gehören, und als sichere kulturtouristische Attraktion eingesetzt werden können.

Sandra Gianfreda: ""Wir können uns in die damalige Situation nur schwer hineinversetzen. Doch bietet sich die zeitgenössische Kunst zum Vergleich an, die nicht immer verstanden wird. Auch Matisse oder Kirchner wurden seinerzeit nicht verstanden. Vielleicht können wir das Publikum mit unserer Ausstellung ja auch für die gegenwärtige Kunst sensibilisieren.”"

Service:
Die Ausstellung "Im Farbenrausch" ist vom 29.9.2012 bis 13.1.2013 im
Museum Folkwang in Essen zu sehen.
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