"Heeresgefolgschaft" für Obama?

Von Sibylle Tönnies |
Von "neuen Kriegen" ist jetzt gern die Rede, "new wars", und die Kämpfe in Afghanistan werden dazugerechnet. Ihre Neuheit liegt angeblich darin, dass sie "asymmetrisch” sind. Aber: Was ist daran so neu?
Eine große Macht (die USA) hat ein kleines Land erobert und an die Stelle von dessen früheren Herren (die Taliban) ein Staatswesen gesetzt, das ihr gegenüber loyal ist. Das neue Staatswesen kann sich aber nicht durchsetzen, das Land ist nicht wirklich unterworfen, nicht alle Kräfte haben kapituliert - und die große Macht muss immer wieder Aufstände niederschlagen. Diese Konstellation ist nicht neu - es ist das alte Lied, das gab es überall, wo sich Großmächte etabliert haben. Die Konstellation ist uns vertraut aus dem alten Rom, als nicht nur ein kleines Dorf in Gallien gegen die zentrale Herrschaft rebellierte. Asterix und Obelix haben unzählige historische Vorläufer. Und die Konstellation ist uns vertraut aus der Zeit der napoleonischen Besetzung, als die Franzosen zwar die Loyalität des preußischen Staates besaßen, aber von selbstorganisierten Milizen bekämpft wurden. Schills Freikorps, Lützows wilde, verwegene Jagd - war ihr Kampf gegen Napoleon nicht auch "asymmetrisch”?

Was hat man nun davon, wenn man sich, statt von neuen Kriegen zu sprechen, klarmacht, dass es sich um eine vertraute Konstellation handelt? Man gewinnt eine alte, von politischer Korrektheit nicht irritierte Terminologie zurück und kann sich mit ihrer Hilfe einen klareren Blick verschaffen.
"Heeresgefolgschaft” ist so ein Wort aus dieser Kategorie. Wenn eine Zentralmacht an einen Ort ihres Reiches eilen muss, wo die Herrschaft einer ihrer Partikularmächte durch Aufstände gefährdet ist, dann stehen die übrigen Partikularmächte vor der Frage: Sollen wir der Zentralmacht Heeresgefolgschaft leisten? Oft bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Die Zentralmacht kann sie zwingen - in diesem Fall sagte man früher, sie sei im Besitz des "Heerbannes".

Dabei sind die Übergänge fließend. Eine Partikularmacht kann formal souverän sein - tatsächlich aber hat sie in der Frage der Heeresgefolgschaft gar keine Entscheidungsfreiheit. Hier, im Ausnahmefall, zeigt sich erst, ob sie wirklich souverän ist.

Und in ebendieser Lage sind wir. Wir riskieren - wenn wir die Gefolgschaft verweigern - den Verlust des Schutzes der Großmacht, die uns erobert hat, den Verlust des Schutzes, der Westbindung genannt wird.

Wenn wir die Frage, ob wir uns weiterhin in Afghanistan engagieren sollen, unter dem Begriff "Heeresgefolgschaft” diskutieren, gilt das Tacitus-Wort aus der "Germania": "Der Gefolgsherr kämpft für den Sieg, die Gefolgsleute aber kämpfen für den Gefolgsherren." So betrachtet, sind wir die Gefolgsleute, Obama ist der Gefolgsherr. Wir kämpfen in Afghanistan nicht für den Sieg, sondern für die Erhaltung seiner Herrschaft.

Aus diesem Blickwinkel steht nicht die Frage im Vordergrund, welchen Sinn das Vorgehen in Afghanistan hat, sondern die übergeordnete Frage: Wollen wir Obama unterstützen? Denn eines ist klar: Sein Erfolg hängt davon ab, dass sein Versuch Afghanistan zu pazifizieren (auch so ein altes Wort!), erfolgreich ist.

Wer der Meinung ist, dass es sich um einen weltgeschichtlichen Glücksfall handelt, dass Obama zum Präsidenten der größten Macht der Erde gewählt wurde, wer der Meinung ist, dass in seiner Person die alte Utopie von der Welteinigung in Frieden eine Chance bekommen hat, wem bewusst ist, dass Obamas Erfolg höchstgefährdet ist und er jede denkbare Unterstützung zur Erhaltung seiner Herrschaft braucht - der wird auf die Frage, ob ihm in Afghanistan Heeresgefolgschaft geleistet werden soll, ja! sagen müssen.
Sibylle Tönnies, 1944 in Potsdam geboren, studierte Jura und Soziologie. Sie arbeitete zunächst als Rechtsanwältin und war Professorin im Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bremen. Heute unterrichtet sie an der Universität Potsdam. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen zählen die Bücher "Der westliche Universalismus", "Linker Salon-Atavismus" und "Pazifismus passé?"