Hebräischer Schlager an der Spree

Von Jens Rosbach |
Jahrzehntelang weigerten sich viele Israelis, nach Deutschland zu kommen, ins "Land der Täter". Mittlerweile sieht das anders aus: Vor allem bei israelischen Studenten und Künstlern steht Berlin hoch im Kurs. Denn in Tel Aviv und Jerusalem ist das Leben teuer, zudem gibt es dort wenig Jobs. So ist auch der 24-jährige Sänger Shay Bar Or an die Spree gekommen - und hat sich hier bereits einen Namen gemacht.
"Ich habe mich also mit der Stadt Berlin total verliebt. Die Stadt ist sehr charmant und die Atmosphäre ist besonders. Das Nachtleben, dass die Berliner Spaß haben können und wissen auch, wie man Spaß macht. Ich finde diese Stadt auch sehr aufregend für Künstler. Ich bin einfach verliebt, ja." (lacht)

Shay hat kurze schwarze Haare, einen Dreitagebart und ein Silberpiercing über seinem linken Auge. Der 24-Jährige wohnt in einer schlichten Ein-Zimmer-Hinterhofwohnung in Berlin-Prenzlauer Berg - mit Futonbett, Wasserpfeife und Basilikum-Blumentöpfen.

Wie kommt ein israelischer Nachwuchssänger von Tel Aviv an die Spree? Shay stammt aus einer musikalischen Familie. Er singt bereits im Schulchor und auch, mit 13, bei seiner Bar Mizwa - bei seiner Aufnahme in die Jüdische Gemeinde. Auftritte in einer Jugendband folgen. Sein Bass klingt so gut, dass er schließlich - in seiner Armeezeit - eine Ausbildung in einer Militärband bekommt. Die ist so populär, dass sich 5000 Bewerber um eine Handvoll Stellen rangeln.

"Es gibt auch diesen Spruch in Israel, dass man irgendwie nur mit Beziehungen da rein kann, weil irgendwie alle dahin wollen. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass der größte Teil der Musiker in Israel stammt auch aus Militärbands. Ja, das ist eine sehr gute Ausbildung einfach in Israel."

Der junge Mann hat Glück: Während seine Altersgenossen auf dem Kasernenhof Dienst schieben, darf Shay seine Stimme schulen - und in ganz Israel auftreten. Seine Combo spielt Pop-, Soul- und Jazz-Stücke.

"Wir waren drei Jungs und drei Mädels. Wir hatten unseren eigenen Bus - 55 Sitzplätze nur für uns. Wir mussten auch sehr oft zusammen pennen in verschiedenen Camps. Ja und Du triffst halt Leute aus allen möglichen Städten, Dörfern, Kibbuzen. Das war eine der schönsten Zeiten meines Lebens."

Shay ist ehrgeizig. Zusätzlich zur Musiker-Ausbildung nimmt er Unterricht beim Schlager-Star Riki Gal, die im israelischen Radio und Fernsehen eine feste Größe ist. Bei ihr lernt er, wie man sich auf der Bühne präsentiert. Nach der Militärzeit verdient der junge Mann sein erstes Geld als Sänger - auf Partys und auf Hochzeiten.

"Ich habe hauptsächlich Lovesongs gesungen und Evergreens und auch natürlich ein bisschen hebräische Volkslieder."

Shays Vater ist gebürtiger Israeli, seine Mutter kommt aus einer deutschen Flüchtlingsfamilie, die die Shoah in der Emigration überlebt hat. Shay wächst allerdings mit der Überzeugung auf, dass man den heutigen Deutschen die NS-Zeit nicht mehr vorwerfen kann.

Da in Berlin ein kostenloses Hochschulstudium, preiswerte Mieten sowie eine aufregende Kulturszene locken, beschließt Shay vor zwei Jahren, an die Spree zu ziehen. Staunend stellt er fest, dass er in der deutschen Hauptstadt auf Schritt und Tritt an die NS-Vergangenheit erinnert wird. Etwa auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Dort singt Shay im vergangenen Jahr auf Einladung der Jüdischen Gemeinde - anlässlich des 60. Geburtstags Israels.

"Also ich habe da die Nationalhymne von Israel gesungen, Hatikva. Und einfach da zu stehen, im Zentrum von Berlin, draußen, vor so vielen Leuten - also ich habe Gänsehaut bekommen. Einfach daran zu denken, dass vor 70 Jahren genau da Hitler stand. Und auch mit meinem Hintergrund von meiner Familie dann fand ich das sehr aufregend, also das war ein starkes Ereignis."

In der deutsch-jüdischen Community macht sich der Zuwanderer schnell einen Namen. Ob in der jüdischen Grundschule Berlin oder bei der zionistischen Frauenorganisation WIZO - der junge Mann aus Tel Aviv hat bereits zahlreiche Fans unter den 200.000 Juden in Deutschland.

"Also sie fühlen sich ja nah zum Hebräischen. Und das ist genau auch, was ich anbiete. Aus Israel, frisch angekommen - also für sie ist das einfach attraktiv."

Shay Bar Or will noch ein größeres Publikum erreichen. Tagsüber studiert er an der Berliner Humboldt-Universität Politik, Soziologie und Medienwissenschaften. Doch abends und nachts arbeitet er an seiner Musiker-Karriere. Rund 40 Soulstücke, Lovesongs und Balladen hat er bereits geschrieben, auf Hebräisch und Englisch. Sie handeln von Liebe, Enttäuschung - und vom Neuanfang. Nun produziert der 24-Jährige in einem Profi-Tonstudio seine erste Pop-CD.

"Viel Pop. Und auch ein bisschen orientalische Elemente, die da kombiniert werden. Ich finde es einfach sehr schön auch, wenn ich ein bisschen was aus Israel mitbringen kann."