Hebelung ist "Teilkaskoversicherung"

Philipp Krohn im Gespräch mit Katrin Heise |
Mit der Hebelung werde ein Teil des Wertes einer Staatsanleihe durch den Rettungsfonds abgesichert, sagt Philipp Krohn - in der Regel zwischen 20 und 40 Prozent des Wertes. Das mache dieses Modell für Banken und Versicherungen attraktiv - im Normalfall müssten sie für 100 Prozent ihres Ausfalls geradestehen.
Katrin Heise: Bei Staatsanleihen für Länder wie Spanien will im Moment kein Investor so richtig zugreifen: Das Risiko, dass Spanien die Anleihe nicht zurückzahlen kann, ist groß, viel zu groß. Das Geld aus Staatsanleihen wird aber dringend gebraucht, also müssen Staatsanleihen wieder attraktiver gemacht werden, das Ausfallrisiko muss minimiert werden. An dieser Stelle kommt nun diese Hebelidee mit Versicherungscharakter ins Spiel, über die in EU-Kreisen derzeit diskutiert wird. Mit ihrer Hilfe sollen die über 700 oder effektiv 440 Milliarden Euro des Rettungsschirms vermehrt werden. Das werden wir uns jetzt erklären lassen von Philipp Krohn, er ist Wirtschaftsredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit Spezialgebiet Versicherungen. Herr Krohn, wie kann der Euro-Rettungsschirm Staatsanleihen für Länder wie Spanien oder Italien eigentlich tatsächlich wieder attraktiv machen?

Philipp Krohn: Ja, die Idee, die dahintersteckt, die stammt ja federführend von der Allianz, und der große Versicherungskonzern aus München hat also diese Idee in die politische Diskussion eingebracht und sagt: Wenn wir eben keine Käufer mehr für diese Staatsanleihen finden, dann müssen wir versuchen, die Anleihen auf andere Form attraktiv zu machen, und das könnte eben dadurch sein, dass man hier einen Ausfall absichert. Und solche Produkte gibt es ja am Finanzmarkt zum Teil auch, nur hier in dem Fall wäre es eben eine staatliche Deckung sozusagen für den Ausfall einer Anleihe. Und das macht das Ganze auch so ein bisschen heikel, denn der Bundestag hat ja beschlossen, dass man insgesamt einen Finanzrahmen von 725 Milliarden Euro auf europäischer Ebene zur Verfügung stellt, und dieses Geld würde dann dafür verwendet, um private Gläubiger eben wieder ins Boot zu holen und einen Anreiz zu setzen, wieder in solche Anleihen zu investieren.

Heise: Lassen Sie uns noch mal ganz beim Anfang bleiben. Sie haben gesagt, wieder attraktiv machen, indem man eine Versicherung sozusagen übernimmt – das heißt, es ist eine Art Teilkaskoversicherung für Investoren, die Staatsanleihen kaufen?

Krohn: Also man kann es durchaus als eine Teilkaskoversicherung bezeichnen, denn es soll nicht der komplette Ausfall einer Anleihe abgesichert werden, sondern nur je nach Risiko zwischen 20 und 40 Prozent des Wertes dieser Anleihe, und das macht das eben aus Sicht der privaten Gläubiger, zu denen ja Banken und Versicherer zählen, durchaus attraktiv, denn im Normalfall müssen sie ja für 100 Prozent ihres Ausfalls geradestehen, und eine solche Regelung würde es ihnen eben nun ermöglichen, 20 Prozent – oder im Falle von Griechenland wird von 40 Prozent gesprochen – wieder reinzubekommen, dadurch, dass eben aus diesem europäischen Rettungsfonds mit der Abkürzung EFSF Geld rausgezogen werden könnte, das eben als Absicherung dient.

Heise: Wieso soll dieses Mittel eigentlich so eine Hebelwirkung haben, also von den 440 Milliarden Euro, die da immer in Rede stehen, plötzlich eine Billion machen?

Krohn: Ja, also diese eine Billion ist eine Angabe, die ich auch schwer nachvollziehen kann. Der Allianz, so wie sie es eben schildert, geht es vor allem darum, dass man diese 725 Milliarden, die ja als Finanzrahmen den Rettungsfonds zur Verfügung steht, angreifen kann. Also: 725 Milliarden sollen verfügbar gemacht werden, um ein sehr viel größeres Volumen am privaten Finanzmarkt zur Verfügung zu stellen, also um eben private Investoren wieder dazu anzuregen, mitzumachen und Anleihen zu kaufen, für die sie momentan nur bereit sind, gegen eben sehr, sehr hohe Renditeaufschläge überhaupt diese Anleihen zu erwerben. Und das führt dann dazu, dass eben eine Art Hebelung entsteht, weil zu jedem Euro, den ich an Absicherung dem privaten Gläubiger zur Verfügung stelle, er bereit ist, vier oder fünf Euro seines Geldes noch einmal draufzulegen. Und insofern ist das eine – aus Sicht eben dieser Investoren –, eine ganz attraktive Variante, weil ich eben mit wenig Geld dafür sorgen kann, dass sehr viel mehr Geld mobilisiert wird.

Heise: Wenn der Risikofall eintritt, es also tatsächlich so weit kommt, dass das entsprechende Land – Griechenland oder Spanien oder Italien – die Anleihe nicht zurückzahlen kann, dann bekommen die Privatinvestoren, also die Banken oder die Versicherungen, 20 Prozent, haben wir ja jetzt mal so festgelegt, 20 Prozent von der EFSF-Versicherung wieder. Was passiert denn mit den übrigen 80 Prozent?

Krohn: Also wenn es wirklich zu einem vollständigen Ausfall dieser Anleihe kommt, dann müssen 100 Prozent finanziert werden, und dann muss der private Gläubiger für 80 Prozent aufkommen. Nun ist es aber in der Regel nicht so, dass ein Staat so zahlungsunfähig wird, dass er nun gar nichts mehr zurückzahlen kann. Wir sprechen ja bei Griechenland in den vergangenen Tagen über einen sogenannten Haircut oder eine Umschuldungsquote von 50 Prozent. Das bedeutet, dass also diese 50 Prozent sich zusammensetzen aus einem Anteil, den der private Gläubiger dann übernehmen würde, und einem Anteil, den eben diese staatliche Absicherung übernehmen würde, in dem Modell, das die Allianz vorgestellt hat, allerdings nur dann, wenn neue Anleihen ausgegeben werden. Also dieses System wird jetzt nicht nachträglich übergestülpt auf bestehende Anleihen, die schon am Markt verkauft worden sind, sondern wird eben dann eingeführt, wenn ein Land neue Anleihen begeben will, um seine staatlichen Schulden zu finanzieren.

Heise: Das Geld, auf dem sozusagen die Banken und die Versicherungen, auf dem sie sitzenbleiben als Schaden, damit wird wahrscheinlich der Staat sie aber auch wieder nicht alleine lassen – da muss doch dafür wahrscheinlich auch wieder der Steuerzahler einspringen so nach dem Motto "too big to fail", oder?

Krohn: Das ist das sehr große Risiko, das glaube ich auch einige von den Bundestagsabgeordneten bewegt, die sich jetzt schon erklärt haben, dass sie einer Hebellösung nicht zustimmen wollen. Die Gefahr besteht, dass man diese Investoren dann noch einmal herauspauken muss. Also man hat mit dieser Hebelwirkung schon ein institutionalisiertes Herauspauken organisiert, und am Ende, wie Sie sagen, ist durch eben nicht nur "too big to fail", sondern auch durch die Vernetzung der Finanzinstitutionen wieder die Gefahr da, dass sie eben mit ihren Verlusten, die sie dann tragen würden, auch nicht zurande kommen. Und ja, dann wird das Ganze ein Fass ohne Boden, und die Befürchtung glaube ich darf man durchaus haben als Staatsbürger.

Heise: Mit dem Wirtschaftsjournalisten Philipp Krohn spreche ich über die geplante Verstärkung des Euro-Rettungsfonds. Herr Krohn, wie wahrscheinlich ist es denn, dass der Schadensfall eintritt?

Krohn: Ich glaube, dass das insgesamt natürlich schwer zu beurteilen ist, aber man muss sich eines klar machen: Im Falle, dass dann tatsächlich auf dieses Volumen zurückgegriffen wird, also auf dieses Versicherungsvolumen, in dem Fall ist das Geld dann tatsächlich weg und landet eben in den Bilanzen der Investoren. Im Fall, den wir aktuell noch haben, dass da Kreditreihen ausgegeben werden, die dann durch eine Bürgschaft abgesichert sind, kann man immer noch zumindest die Hoffnung haben, dass diese Bürgschaften und diese Kredite auch mal eines Tages zurückgezahlt werden. Also wir haben eben einen Rettungsfonds eingerichtet, der nun dazu genutzt wird, tatsächlich Geld fließen zu lassen im Falle des Falle, und insofern ist die Wahrscheinlichkeit und das Risiko größer, dass das Geld, das der Steuerzahler bereitstellt – und das sind ja aus Deutschland mehr als 200 Milliarden Euro – tatsächlich auch angegriffen wird.

Heise: Ja, und wie oft kann das eigentlich passieren? Ich meine, der Schadensfall tritt ja wahrscheinlich nicht nur einmal ein.

Krohn: Ja, also in der Logik der Finanzmärkte, auf die wir nicht unbedingt alles geben müssen, heißt es: Dieser Fall tritt gar nicht ein, weil wir das System stabilisieren, weil wir mit dieser "Bazooka" eben eine Lösung herbeiführen, die die Spekulationen auf unsichere Staaten unterbinden wird. Nur: Sollte es nun doch so sein, dass der Fall eintritt, dann ist das Geld weg, und dann hat man natürlich keine weiteren Mittel, um einen weiteren Fonds aufzustellen. Und wir haben ja jetzt schon in der Diskussion um diesen EFSF die Problematik erlebt, dass das Rating von Staaten wie Frankreich, möglicherweise sogar eines Tages auch Deutschland, infrage gestellt wird, also dieses Triple-A-Rating könnte unter diesen Voraussetzungen dann schwinden. Und dann eine neue Lösung herbeizuführen, die vergleichbar stark ist, ist vollkommen unrealistisch.

Heise: Wenn Sie jetzt eine Abwägung vornehmen sollten – ist die Idee der Hebelung durch diese Art der Versicherung nun wirklich eine gute Idee?

Krohn: Man kann grundsätzlich die Frage stellen, ob es sinnvoll gewesen ist, einen so großen Fonds namens EFSF überhaupt aufzurufen, oder ob man damit nicht den Druck von den verschuldeten Staaten nimmt, ihre Probleme eigenständig in den Griff zu bekommen. Unter der Voraussetzung, dass man sich also nun in der Krisenpolitik für das entschieden hat, was man gemacht hat, ist das vielleicht noch das kleinere Übel, denn als Alternative stünde ja immer noch die Idee, die Frankreich ja lange vertreten hat, einer Banklizenz ins Haus, und ich glaube, diese Lösung wäre nun wirklich das Fatalste, was man haben könnte.

Heise: Alsodass sozusagen Geld gedruckt wird.

Krohn: Dann kann man tatsächlich davon sprechen, dass ein solcher Rettungsfonds als Staatsfinanzierer in Form von Geld drucken agiert, und ich glaube, das wäre die wirklich schlimmste Lösung, insofern können wir da froh sein, dass es der deutschen Bundesregierung gelungen ist, das zu vermeiden. Allerdings muss man immer dazu sagen: Ob es die beste aller Welten ist, die wir damit geschaffen haben, das ist infrage zu stellen.

Heise: Wir werden ja oft als Steuerzahler quasi unter Druck gesetzt mit dem Wort "alternativlos". Würden Sie auch von alternativlos sprechen?

Krohn: Also ich glaube, wir haben – in der "FAZ" zumindest – in den letzten Wochen versucht, für alternative Varianten zu streiten, zu diskutieren, und mir ist dabei sehr stark in Erinnerung geblieben das, was der scheidende EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark gesagt hat, nämlich, dass es zum Beispiel baltischen Staaten gelungen ist, durch wirklich sehr harte Politik auch wieder das Problem, das sie eben mit der Staatsverschuldung hatten, in den Griff zu bekommen. Das bedeutete zum Beispiel eine deutlichere Lohnkürzung für die Mitarbeiter, um wieder wettbewerbsfähig zu sein. Und dieses Szenario entspricht ungefähr dem griechischen, nämlich: Sie hatten eine Währung, die gekoppelt war an den Euro, und haben nicht die Möglichkeit genutzt, die Währung abzuwerten, um wieder wettbewerbsfähiger zu werden, sondern haben eben ein sehr, sehr hartes Programm durchgezogen. Und möglicherweise ist das doch die Variante, die etwas erfolgversprechender ist.

Heise: Philipp Krohn, Wirtschaftsredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit Spezialgebiet Versicherungen, er hat uns die Hebelwirkung, die viel diskutierte, erklärt. Vielen Dank, Herr Krohn, für das Gespräch!

Krohn: Sehr gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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