"Satansanbeter" mit Zahnspange und Kopftuch
Satansanbeter, laute Musik, obskure Rituale - die ägyptischen Medien zeichnen ein düsteres Bild nach einem Heavy Metal-Konzert in der Kairoer Innenstadt. Doch auch die Heavy Metal-Szene in Ägypten, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, ist gespalten.
Eine westliche Verschwörung ist verhindert worden, eine die es auf die Jugend Ägyptens abgesehen hat. Hany Shaker ist nur einer von vielen, dessen Emotionen überborden. Zum Glück sei das Schlimmste erst einmal abgewandt, sagt der Chef der Musikergewerkschaft im ägyptischen Fernsehen.
Hany Shaker: "Wir haben von einem Konzert gehört, das nicht genehmigt war. Dort haben Mitarbeiter Fotos aufgenommen von Menschen, die komisch geschminkt waren. Daraufhin haben wir die Sicherheitsbehörden alarmiert. Aber als die Polizei eintraf, war die Party bereits zu Ende."
In den folgenden Tagen beherrscht das mysteriöse Konzert die ägyptischen Talkshows. Von Satanisten ist die Rede, jungen Menschen, die den Teufel anbeten. Der bekannteste Unternehmer des Landes, der Milliardär Naguib Sawiris, schaltet sich ein. "Erklärt der Musikergewerkschaft, dass Black Metal nichts mit Satanismus zu tun hat", schreibt er im Internet-Dienst Twitter. Die Jugend habe schon genug Ärger.
Rückblende: Am Abend des fraglichen Konzerts steht die Band "Perversion" aus Dubai als erste auf der Bühne. Der Sänger brüllt ins Mikrophon, sein Gesicht zur Grimmasse verzerrt.
Lederjacke, graues Kopftuch, Zahnspange
Rund 200 Fans werfen ihre Köpfe wild vor und zurück - Headbanging. Etwa ein Viertel sind junge Frauen – wie Nada, 18 Jahre alt, Lederjacke, graues Kopftuch, Zahnspange. Mehrere Stunden haben sie und die anderen Fans auf der Straße gewartet, bis das Konzert endlich losgeht.
Der Ort, Sherazade, ein Nachtclub in Kairos belebter Innenstadt, war Nada erst kurz zuvor per SMS-Nachricht mitgeteilt worden. Der ursprüngliche Gastgeber hatte einen Rückzieher gemacht – aus Furcht vor schlechten Schlagzeilen.
Nada: "Natürlich habe ich Angst, dass die Polizei kommt und dass sie etwas falsch versteht. Hoffentlich passiert nichts und es gibt keine Probleme. Meine Eltern wissen, dass ich auf einem Konzert bin, aber sie wissen nicht, welche Art von Konzert."
Der Vater von Habeba ist gleich mitgekommen. Mit seinem buntgestreiften Hemd fällt er auf. Seine Tochter trägt wie alle anderen im Konzertsaal schwarz. Ihre dunklen Haare hat sie toupiert. Auf dem linken Nasenflügel blinkt ein Piercing. Habeba ist 15.
Habeba: "Mein Vater macht sich schon Sorgen, gleichzeitig fördert er mich. Deshalb kommt er mit, statt mich daran zu hindern, das zu tun, was ich mag. Meine Eltern sehen nicht, dass ich etwas Unakzeptables tue."
Plötzlich wird es unruhig im Saal. Habebas Vater drängt, nach Hause zu gehen. Andere Fans setzen sich auf den Boden, über ihnen an der Wand orientalische Gemälde und Intarsien aus Holz. Jemand von der Steuerbehörde sei aufgetaucht, heißt es. Ob er die Polizei mitbringt?
Nader Sadek: "Ich bin schon gestresst, aber ich finde das so absurd."
Metal-Fans im Visier der Tugendwächter
Nader Sadek, Absolvent der Deutschen Schule in Kairo, ist der Organisator des Konzerts. Nervös spielt er mit der Brille.
Dann hält er zwei Teile in der Hand. Doch seine Befürchtungen bewahrheiten sich nicht. Das Konzert kann weitergehen. Zwei Musiker mit weiß geschminkten Gesichtern und schwarz umrandeten Augen betreten die Bühne: "Inquisition" aus den USA.
Die Band ist umstritten – sogar unter ägyptischen Heavy Metal-Fans. Sind die Texte von "Inquisition" zu extrem? Die Band singt von den "Legionen Satans", die Jesus vernichten wollen. Auch Jesus gilt im Islam, der vorherrschenden Religion im konservativen Ägypten, als Prophet.
Ängste wurden wach. Polizei und Sicherheitskräfte sind in der Vergangenheit hart gegen die Metal-Szene vorgegangen: 1997 wurden mehr als 80 Fans verhaftet. Der Vorwurf: Sie seien Satansdiener. Metal-Konzerte in Ägypten waren danach lange verboten.
Ein weiteres Mal stand die Szene 2012 im Fokus: Ein Anwalt aus der Partei des damaligen Präsidenten Mohammed Mursi von der Muslim-Bruderschaft erstattete Anzeige gegen ein Kulturzentrum. Dort hätten junge Leute satanistische Rituale abgehalten. Ermittlungen widersprachen dem Vorwurf. Die Anklage wurde fallen gelassen.
Zu einer Anzeige ist es dieses Mal nicht gekommen. Nader Sadek, der Organisator des jüngsten Metal-Konzerts, sieht sich jedoch einem Kulturkampf ausgesetzt. Ein Medienrummel tobt um ihn und die umstrittene Band "Inquisition".
Kulturkampf um angebliche Satanisten
Mit einem Schlagwort wie "Satanist" ließen sich in Ägypten leicht Emotionen schüren – von Politikern und von Medien, meint Nader Sadek. Wenn die Menschen auf der Straße aber die Chance hätten, einen Metal-Musiker persönlich zu treffen, würden sie anders reagieren, sagt er. Mit der Band "Inquisition" hat Nader Sadek am Morgen nach dem Konzert die Pyramiden besucht – geschminkt und in Bühnenoutfit.
Nader Sadek: "Leute kamen mit einem riesengroßen Lächeln auf dem Gesicht, sie wollen sich mit denen fotografieren, sie wollen wissen wer die sind. Eins war mit einem Kind, eins mit zwei verschleierten Frauen, eins mit ein paar Männern. Sie haben sich so gefreut."
Wael Ossama spielt auch Metal. Im schwarzen T-Shirt und mit einer rahmenlosen Brille öffnet er die Tür. Zusammen mit seiner Frau hat er vor Jahren eine eigene Band gegründet. Die Fotos von den Pyramiden hat er im Internet gesehen. Lustig seien sie, aber kein Beweis, dass die Gesellschaft offener ist. In Ägypten habe schon mehrfach ein aufgebrachter Mob Menschen angegriffen, wenn er seinen eigenen Glauben bedroht sah, sagt er. Wael Ossama gehört zu den Musikern, die das Konzert öffentlich kritisiert haben.
Wael Ossama: "In unserer Kultur muss man sehr feinfühlig sein. Du kannst nicht eine Band nach Ägypten bringen, die sich selbst als satanisch bezeichnet, und davon ausgehen, dass nichts geschieht. Mein Wunsch ist, dass in einer idealen Welt jeder absolute Meinungsfreiheit genießt. Aber ich versuche mich hier in die Gesellschaft zu integrieren und gegen die Anschuldigungen anzugehen, dass Metal-Fans Satanisten sind. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als die Werte dieser Gesellschaft zu akzeptieren."
Wael Ossamas Kritiker werfen ihm vor gegenüber dem Staat einzuknicken und Freiheiten gar nicht erst auszutesten. Andere bezichtigen ihn, neidisch zu sein und Angst zu haben, Fans zu verlieren.
Polizei stürmt Konzerte
Wael Ossama hat den Druck der Sicherheitskräfte selbst erfahren. Mehrfach habe die Polizei seine Konzerte gestürmt, sagt er – auch wenn er alle Genehmigungen hatte. Einmal sei er einen ganzen Tag lang verhört worden. Deshalb sei er nun vorsichtig.
Wael Ossama: "Es ärgert mich, dass ich diese Position einnehmen muss. Es widerspricht meinen Idealen. Aber ich lebe nun mal in dieser Gesellschaft, und eine Band nach Ägypten zu holen, von der sich viele Leute in ihrem Glauben gekränkt fühlen, bringt uns alle in Gefahr."
Gerade hat Wael Ossama, Vater von zwei kleinen Söhnen, seine Masterarbeit an der American University in Kairo geschrieben. Das Thema: Atheisten in Ägypten. Für ihn hat die aktuelle Debatte um das Metal-Konzert eine weitere Dimension.
Wael Ossama: "Die Frage ist, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit in Gesellschaften im Nahen Osten verlaufen. Wollen wir uns Grenzen setzen? Idealerweise nicht. Aber wenn wir versuchen wollen, die Metal-Szene voranzubringen, dann müssen wir gesellschaftliche Regeln beachten. Dazu gehört, dass wir religiöse Symbole und Propheten nicht beleidigen. Das hat bei uns rechtliche Konsequenzen. Ein Artikel in unserer Verfassung verbietet Blasphemie. Etliche Schriftsteller sind deshalb im Gefängnis. Sie sind Muslime. Sie haben lediglich eine andere Auffassung, wie der Islam interpretiert werden soll."
Menschenrechtsgruppen kritisieren, dass Richter in Ägypten diesen Artikel heranzögen, um junge, andersdenkende Stimmen zum Schweigen zu bringen. In anderen Fällen, die vor Gericht landen, hieße es, dass Papiere nicht ordnungsgemäß beantragt oder Steuern nicht gezahlt wurden. Ein Vorwurf, den der Chef der Musikergewerkschaft auch gegen Nader Sadek, den Veranstalter des Metal-Konzerts, erhoben hat.
Doch Nader Sadek will weitermachen. Er will den jungen Leuten in Ägypten ermöglichen, was ihm als Teenager gefehlt hat.
Nader Sadek: "Als ich 14 war, war ich wirklich frustriert. Ich konnte mich nicht ausdrücken. Ich konnte nichts machen. Ich habe nur gezeichnet, abends alleine. Ich war sehr einsam. Wenn es eine Szene gegeben hätte, in der ich Leute treffen hätte treffen können, die dieselben Sachen mögen wie ich, dann hätte ich viel mehr Freunde gehabt und dann wäre ich nicht so frustriert gewesen. Ich will diese Chance der Jugend geben."