„He? She? Me! Free.“ an der Schaubühne Berlin

Du lässt dich gehen!

Das Schauspielerensemble sitzt auf einer Probenraum ähnlichen Bühne auf Boxen zwischen Instrumenten in dem Stück ‘HE? SHE? ME! FREE’, einem Projekt von Patrick Wengenroth an der Schaubuehne am Lehniner Platz
Das Ensemble von „He? She? Me! Free.“ bildet auf der Bühne eine Band und feiert seine Geschlechtsteile © Gianmarco Bresadola
Von André Mumot |
Immer schwieriger wird es, heutzutage Geschlechterzugehörigkeit zu definieren. An der Berliner Schaubühne macht Regisseur Patrick Wengenroth mit „He? She? Me! Free.“ aus Gender-Problemen eine gut gelaunte Performance.
Es kommen ernste Dinge in "He? She? Me! Free." zur Sprache: Ruth Rosenfeld erzählt davon, wie sie zwangsverheiratet wurde als junge Frau, wie ihre jüdisch-orthodoxe Familie sie für tot erklärt hat, als sie schließlich ausgebrochen ist aus dieser gewalttätigen Missbrauchsehe. Eva Meckbach rekapituliert die Geschichte eines Hermaphroditen und seiner als Kind erlittenen Genitalverstümmelung, und Regisseur Patrick Wengenroth erzählt von einem gescheiterten Selbstmordversuch vor dem heimischen Sofa.

Erwartungen der Gesellschaft an Geschlechter

Ob das alles genauso passiert ist oder genauso passiert sein könnte, spielt dabei keine Rolle. Die Probleme sind real, sehr real sogar. Und sie alle haben zu tun mit den Erwartungen, die die Gesellschaft noch immer an die Geschlechter stellt, insbesondere an die Frauen. Und obwohl all das keineswegs nach guter Stimmung klingt: Ein erfreulicher kleiner Abend ist das in der Berliner Schaubühne, einer, der immer wieder in eine Ausgelassenheit hineinsteigert, deren gute Laune sich in Wellen aufs Publikum überträgt.
Zwei Menschen sitzen auf einem Bett umgeben von Emoji-Kissen und einem Apfelkorb
Die Schauspieler Ruth Rosenfeld und Patrick Wengenroth in dem Stück "He? She? Me! Free."© Gianmarco Bresadola

Neues Zuhause für freie Individuen

"He? She? Me! Free" lautet der denkbar schlichte Titel dieser von Patrick Wengenroth realisierten Performance, die es sich auf die Fahne schreibt, mit dem geschlechtlichen Dualismus aufzuräumen und die leidigen "Gender-Troubles" konstruktiv anzugehen. Dafür sitzt das Ensemble in einem hübschen kleinen Haus aus Pappe, einem provisorischen neuen Zuhause für freie Individuen. Doch was didaktisch klingt, ist glücklicherweise fast zwei Stunden lang hauptsächlich ein erfrischend unverkrampftes, leichtfüßiges Diskurs- und Musiktheater.

Ein Lob auf die eigenen Geschlechtsteile

Bernardo Arias Porras, Iris Becher, Eva Meckbach, Matze Kloppe, Ruth Rosenfeld und Patrick Wengenroth bilden on stage eine Band, singen Songs ("Du lässt dich gehen" von Charles Aznavour), rühmen die eigenen Geschlechtsteile, tragen Pyjamas, diskutieren, albern, echauffieren und befragen einander. Dabei fallen sie immer wieder aus der Rolle, bestaunen einander, bringen sich zum Lachen.

Alles könnte viel, viel leichter sein

Der Charme dieser Unternehmung ist geradezu mit Händen greifbar, gerade weil hier eben doch kein Fanal aufgeführt, kein brauchbares Manifest gefunden wird. Bescheiden ist das, unaufgeregt, kein großer, aber ein sehr, sehr menschenfreundlicher Wurf, dem es mit Wärme und Witz gelingt, uns für kurze Zeit glauben zu machen: Es könnte alles viel, viel leichter sein, mit uns, den Geschlechtern und den Problemen sowieso.
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