"Haydn straft den, der ihn nicht ernst nimmt"

Von Ullrich Bohn |
Das Joseph-Haydn-Gedenkjahr diente dazu, den großen, progressiven Komponisten in seiner Eigenart überhaupt erst richtig kennenzulernen - bevor er im kommenden Jahr wieder aus dem Konzertalltag zu verschwinden droht.
Wer auf Haydns biographischen wie musikalischen Spuren zu wandeln gedachte, musste zuallererst ins österreichische Burgenland, nach Eisenstadt reisen. Jener Ort , "allwo ich zu leben und zu sterben mir wünsche", wie Haydn selbst kundtat, der mit den alljährlichen Haydn-Festspielen schon seit vielen Jahren als Mittelpunkt der Haydn-Welt gilt.

Mit gleich vier an vier verschiedenen Orten stattfindenden Ausstellungen versuchte man dem "Phänomen Haydn" gerecht zu werden. Und mit jeder Menge Musik. Nikolaus Harnoncourt und sein Concentus Musicus Wien läuteten am 31. März, dem Geburtstag des Komponisten, im historischen Haydnsaal von Schloss Esterházy den musikalischen Marathon ein. Und dann gaben sich bis in den Spätherbst hinein Orchester, Ensembles, Solisten und Sänger nur so die Klinke in die Hand. Sehr zur Freude von Walter Reicher, der seit gut 23 Jahren als Intendant der Festspiele in Eisenstadt eine konsequente Haydnpflege betreibt:

"Die Musiker, die sich intensiv mit Haydn beschäftigen, haben es schon immer gewusst: Wenn man ihn seriös und leidenschaftlich präsentiert, dann ist er immer ein Erfolg, auch beim Publikum. Wenn man seine Musik nur zum Aufwärmen nutzt und ungeprobt Haydn spielt, dann entwickelt sie sich nicht. Haydn straft den, der ihn nicht ernst nimmt."

Ein hochinteressantes "Haydn-Kapitel" wurde in Eisenstadt allerdings Mitte Juni aufgeschlagen. Denn zu hören war jetzt das junge ungestüme Genie, das binnen weniger Jahre von 1767 bis 1774 eine ganze Reihe von sehr experimentellen Kompositionen schuf. Wo eine Symphonie plötzlich rückwärts gespielt erklingt, Geiger über den Holzsteg ihres Instruments streichen, anstatt über die Saiten. Und dann auch noch die Musiker während des Stückes nach und nach die Bühne verlassen. Allesamt Geniestreiche der Sonderklasse, die Jos van Immerseel mit seinem belgischen Ensemble Anima Eterna hier gerade mal mit nur 14 Musikern spielt.

Natürlich kam auch der Opernkomponist Joseph Haydn zu Gehör, wenn auch weit weniger als gedacht, obwohl Haydn doch fast so viele Opern wie Verdi geschrieben hat. Verwunderlich eigentlich, zumal inzwischen alle Haydn-Opern auf CD vorliegen, im Rahmen der Haydn-Gesamtausgabe aktuelles und bestens recherchiertes Notenmaterial vorliegt, und die Intendanten und Operndirektoren sonst ja auch jeden Wiederbelebungsversuch vernachlässigter Opernwerke beim Schopfe ergreifen.

Die prominenteste Bühne für eine Haydn-Oper wären zweifelsohne die Salzburger Festspiele gewesen. Doch Festspielchef Jürgen Flimm beschränkte sich auf die Wiederaufnahme einer zwei Jahre alten "Armida”-Inszenierung von Christof Loy in der Felsenreitschule. Folglich tauchten Haydns Oper eher in kleinen Häusern auf, bei Festivals und zumeist in konzertanten Aufführungen. Beispielsweise im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins oder in der Berliner Philharmonie, wo sich Nikolaus Harnoncourt einmal mehr zum hochmotivierten Fürsprecher und Verfechter Haydnscher Opernkultur machte.

Jubiläumsjahre sind stets auch ein Glücksfall für die Plattenindustrie. Besteht doch die Chance, gerade dann das gesamte Oeuvre eines Komponisten, und bei Haydn sind etliche CD-Boxen vonnöten, vielleicht doch mal gewinnbringend auf den Markt zu werfen. Doch all diese sogenannten Gesamteinspielungen sind hier nicht von Belang. Nur jene, die zur Entdeckungsreise in Haydns Musik taugen, sind von Interesse. Beispielsweise eine Haydn-CD vom Freiburger Barockorchester, auf der sich Konzertmeister Gottfried von der Goltz dem nur selten zu hörenden Violinkonzert Nr. 1 von Joseph Haydn widmete.

"Die sind natürlich viel simpler gestaltet als die Mozartschen Violinkonzerte. Man muss sie einfach vielmehr in einer Tradition des italienischen Barockkonzertes sehen."

Und noch einer setzte ganz auf Haydn. Sir Roger Norrington. Und zwar in einer besonderen Form, zur Mittagszeit. Denn leicht und locker, quasi auf den Punkt gegart servierte er zusammen mit dem RSO Stuttgart Haydns zwölf Londoner Symphonien in sogenannten Lunch-Konzerten im Rahmen des Stuttgarter Musikfestes, mit süffisanten Zutaten, moderiert von Robert Levin.

"Die Leute, die damals in Wien und London in die Konzerte gingen, waren hochkultivierte Leute. Man kann das in den zeitgenössischen Kritiken lesen, dass Haydns Sprache wirklich verstanden war, und als solche geschätzt war. Ich meine, im Vergleich zu Haydn ist Mozart ein Geschöpf aus dem Gewächshaus!"

Was wird nun bleiben vom diesem Haydn-Jahr? – Wird dieses zu Lebzeiten europaweit bejubelte, späterhin dann eher milde belächelte und auch vernachlässigte kompositorische Genie nun endlich ernst genommen? – An prominenten Fürsprechern und regelrechten "Haydn-Fans" mangelt es ja beileibe nicht. Doch wird diese momentane Euphorie anhalten, ins Bewusstsein der Orchester, Ensembles und auch des Publikums eindringen? – Wahrscheinlicher ist doch, dass uns der Konzertalltag in die Normalität zurückführt. Zumindest aber die Erinnerung haften bleibt, wie aufregend, beschwingt und mit der richtigen Würzung gespielt, Haydn klingen kann.