Havanna in rasantem Niedergang

12.09.2008
"Der Nebel von gestern" ist weder ein besonders raffinierter noch besonders spannender Kriminalfall - dafür entwirft Leonardo Padura ein höchst üppiges Sittengemälde über Kuba. Und das ist hier tropisch, korrupt und verzweifelt.
Zu Anfang konnte man Leonardo Paduras Bücher noch für gewöhnliche Krimialromane halten. Doch spätestens mit der Ende des "Havanna-Quartetts" um den Polizeileutnant Mario Conde nimmt ein spezieller erzählerischer Aspekt immer mehr überhand: die Realität Kubas.

Und die war, das weiß man nicht nur von Padura, im Jahr 2003 sehr korrupt, sehr tropisch und sehr verzweifelt.

Paduras Buch, 2005 in Barcelona erschienen, zeigt Havanna in rasantem Niedergang. Kriminelle Netzwerke beherrschen die Innenstadtslums, jeder handelt mit irgendetwas, um zu überleben, und wer nichts zu verkaufen hat, stiehlt beim Staat, wie es in der sozialistischen Mangelwirtschaft immer üblich war. Der Unterschied zwischen der Scheinwirklichkeit des Staates und dem wahren Leben könnte nicht größer sein.

Mario Conde hat den Polizeidienst quittiert und lebt vom Handel mit antiquarischen Büchern. Dabei stolpert er in einem verfallenen Palast über eine wertvolle Bibliothek, eine verschwundene Bolero-Sängerin und ein vierzig Jahre altes Verbrechen.

Diese Ermittlerfigur ist in Wirklichkeit eine Vermittlerfigur: Zwischen Fiktion und Realismus repräsentiert "El Conde" die erste Revolutionsgeneration, die noch etwas vom Schwung der ersten Jahre mitbekam, und unter Mangel, Dirigismus und Korruption alle Illusionen verlor.

Padura und sein Protagonist, beide Jahrgang 1955, versuchen das vorrevolutionäre Havanna mit seinem legendären Nachtleben heraufzubeschwören. Mit seiner Musik, seinen Exzessen, seinem Glamour, scheint es - trotz Mafia und Elend - so viel romantischer und bunter als die Gegenwart.

Mit der Sensibilität des Büchermenschen, dem Ethos eines ehemaligen Staatsdieners und dem machohaften Gehabe eines harten Kerls bewegt sich "El Conde" durch Zeiten, Stadtviertel und Szenen. Dank des sehr guten Übersetzers Hans-Joachim Hartstein hat auch der deutsche Leser etwas von der Farbigkeit der Szenen und Dialoge.

Der Kriminalfall ist weder raffiniert noch besonders spannend: Aber als Vorwand für ein höchst üppiges Sittengemälde und viele schöne traurige Sätze reicht er allemal.

Rezensiert von Katharina Döbler

Leonardo Padura, Der Nebel von gestern
Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein, Roman, Unionsverlag, Zürich 2008
368 Seiten, 19,90 Euro