Haut den Putin
Zwölf Jahre ein Staat, der einen "nationalen" Sozialismus versprach, der mit Sozialismus rein gar nichts zu tun hatte, vierzig Jahre ein Staat, der einen "realen" Sozialismus vortäuschte und im Konkurs endete, das ist, summa summarum, ein düsteres halbes Jahrhundert Diktatur, wenngleich zwischen den zwei totalitären Regimen gravierende Unterschiede festzuhalten sind.
Massenmorde des einen und Gesinnungsterror des anderen, beide Todfeinde der Freiheit. Dagegen steht ein gutes halbes Jahrhundert Demokratie, die uns zunächst von anderen nahegelegt worden ist. Warum das Selbstverständliche repetieren, gerade jetzt? Haben wir nicht alles vorbildlich "aufgearbeitet". Oder ist das eine oder das andere vielleicht doch verdrängt worden? Das Thema Russen und Deutsche nämlich. Das "Unternehmen Barbarossa" zum Beispiel. Zum Ende zwanzig Millionen russische Kriegstote, fünf Millionen deutsche Opfer. Ach ja? Wie furchtbar. War das nicht in einem anderen Jahrhundert?
Heute läuft doch alles prima. Schöne, preiswerte Reisen ins märchenhafte Sankt Petersburg. Ausflüge in das bei Tag und Nacht pulsierende Moskau. Und die Russen sind alle so freundlich zu uns Deutschen. Frau Merkel allerdings hat sich entschlossen, unfreundlich zu den Russen zu sein. Sie hat einen ihrer Sprecher angewiesen, dem Wahlsieger vorzuhalten, dass er eigentlich ein Wahlbetrüger ist. Nicht wörtlich, aber so drastisch wie kein anderer europäischer Regierungschef. Halt, das ist nicht richtig. Ihr Freund Sarkozy hat Putin gratuliert, herzlich sogar. Der weiß wohl nicht, was einem richtigen Demokraten geziemt. Erleben wir neuerdings die für ihr glückliches Händchen in der Außenpolitik gepriesene Kanzlerin im Übermut? Sie schwingt, wie einst Marianne auf den Barrikaden, die Fahne der Menschenrechte, Madame Liberté in Person. Im dritten Band seiner Erinnerungen hat Helmut Kohl notiert, dass er Verletzungen der Menschenrechte, ob in Russland oder in China, mit Diskretion zur Sprache gebracht hat.
Dann und wann, zugegeben, muss man laut werden, doch das Plädoyer für die Menschenrechte sollte besser nicht der Stilisierung des Kritikers dienen. Nachhilfe für Putin in Sachen Demokratie durch uns, die Sonntagsschüler, die Weltmeister in politischer Moral? Merkel ist in der russischen Sprache zuhause, vielleicht nicht ganz so gut in russischer Geschichte. Putin möchte, dass sein Land wieder zu einer Großmacht aufsteigt. Dafür wird man ihn nicht schelten wollen. Großmächte lassen sich nicht gern belehren. Schon gar nicht von der Kanzlerin eines Landes, das sich schlecht als eine der Geburtsstätten der Demokratie vorstellen kann, die tapferen Professoren, die im März 1848 für die Freiheit stritten, in allen Ehren. Natürlich ist neulich im Putin-Land gemogelt worden, die Opposition wurde drangsaliert, die Medien stranguliert. Putin ist ein Anhänger des autoritären Staates. Auch in einem Präsidenten Medwedew würden wir nicht einem "lupenreinen Demokraten" begegnen. Putin ist ein ausgepichter Machtpolitiker. Da muss er doch der Frau Kanzlerin irgendwie verwandt sein. Fragen wir artig, ob Angela Merkel von Emanuel Geibel gehört hat. Dem Dichter aus der Mitte des 19. Jahrhunderts verdanken wir einen Vers, der heute sehr pathetisch klingt und doch immer noch aktuell ist:
"Macht und Freiheit, Recht und Sitte
Klarer Geist und scharfer Hieb
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen."
Die letzten Zeilen haben uns einst in Verruf gebracht. Der Dichter ist daran unschuldig. Er wünschte sich, dass wir die Selbstsucht zügeln. Die Kanzlerin möge doch nicht so tun, als wisse sie besser als die Russen, was für die Russen gut ist.
Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".
Heute läuft doch alles prima. Schöne, preiswerte Reisen ins märchenhafte Sankt Petersburg. Ausflüge in das bei Tag und Nacht pulsierende Moskau. Und die Russen sind alle so freundlich zu uns Deutschen. Frau Merkel allerdings hat sich entschlossen, unfreundlich zu den Russen zu sein. Sie hat einen ihrer Sprecher angewiesen, dem Wahlsieger vorzuhalten, dass er eigentlich ein Wahlbetrüger ist. Nicht wörtlich, aber so drastisch wie kein anderer europäischer Regierungschef. Halt, das ist nicht richtig. Ihr Freund Sarkozy hat Putin gratuliert, herzlich sogar. Der weiß wohl nicht, was einem richtigen Demokraten geziemt. Erleben wir neuerdings die für ihr glückliches Händchen in der Außenpolitik gepriesene Kanzlerin im Übermut? Sie schwingt, wie einst Marianne auf den Barrikaden, die Fahne der Menschenrechte, Madame Liberté in Person. Im dritten Band seiner Erinnerungen hat Helmut Kohl notiert, dass er Verletzungen der Menschenrechte, ob in Russland oder in China, mit Diskretion zur Sprache gebracht hat.
Dann und wann, zugegeben, muss man laut werden, doch das Plädoyer für die Menschenrechte sollte besser nicht der Stilisierung des Kritikers dienen. Nachhilfe für Putin in Sachen Demokratie durch uns, die Sonntagsschüler, die Weltmeister in politischer Moral? Merkel ist in der russischen Sprache zuhause, vielleicht nicht ganz so gut in russischer Geschichte. Putin möchte, dass sein Land wieder zu einer Großmacht aufsteigt. Dafür wird man ihn nicht schelten wollen. Großmächte lassen sich nicht gern belehren. Schon gar nicht von der Kanzlerin eines Landes, das sich schlecht als eine der Geburtsstätten der Demokratie vorstellen kann, die tapferen Professoren, die im März 1848 für die Freiheit stritten, in allen Ehren. Natürlich ist neulich im Putin-Land gemogelt worden, die Opposition wurde drangsaliert, die Medien stranguliert. Putin ist ein Anhänger des autoritären Staates. Auch in einem Präsidenten Medwedew würden wir nicht einem "lupenreinen Demokraten" begegnen. Putin ist ein ausgepichter Machtpolitiker. Da muss er doch der Frau Kanzlerin irgendwie verwandt sein. Fragen wir artig, ob Angela Merkel von Emanuel Geibel gehört hat. Dem Dichter aus der Mitte des 19. Jahrhunderts verdanken wir einen Vers, der heute sehr pathetisch klingt und doch immer noch aktuell ist:
"Macht und Freiheit, Recht und Sitte
Klarer Geist und scharfer Hieb
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen."
Die letzten Zeilen haben uns einst in Verruf gebracht. Der Dichter ist daran unschuldig. Er wünschte sich, dass wir die Selbstsucht zügeln. Die Kanzlerin möge doch nicht so tun, als wisse sie besser als die Russen, was für die Russen gut ist.
Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".

Klaus Bölling© privat