"Haußmanns Staatssicherheitstheater" an der Berliner Volksbühne

Lachen über die Stasi

Der Regisseur und Autor Leander Haußmann zu Gast in der WDR Talkshow Kölner Treff am 11.10.2013 in Köln
Der Regisseur und Autor Leander Haußmann © imago/Horst Galuschka
Leander Haußmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 14.12.2018
Der Regisseur Leander Haußmann inszeniert an der Berliner Volksbühne die Komödie "Haußmanns Staatssicherheitstheater" und hat das Stück selbst geschrieben. Ihm geht es auch um die Nachwirkungen der DDR-Spitzel bis in die heutige Zeit.
An der Berliner Volksbühne feiert ein neues Stück von Regisseur Leander Haußmann seine Uraufführung. In der Komödie "Haußmanns Staatssicherheitstheater» geht es um Unterwanderung und Verrat durch Stasi-Spitzel in der DDR-Künstlerszene von Berlin-Prenzlauer Berg.
Im Stück gibt es die Sondereinheit LSD, mit deren Hilfe sich die Staatssicherheit mehr Einblicke in das Künstlermilieu in Ost-Berlin verschaffen will. Die drei Buchstaben stünden für Lychener-, Schliemann- und die Dunckerstraße am Prenzlauer Berg, sagte Haußmann im Deutschlandfunk Kultur. Dort sei das Dreieck gewesen, in dem sich die Künstlerbewegung damals bewegt habe und von dort seien wichtige Impulse ausgegangen.

Der Fall Sascha Anderson

Der Theatermacher erinnerte an den Fall des DDR-Schriftstellers Sascha Anderson, dessen Texte im Westen verlegt und gefeiert worden seien. "Und dann plötzlich erfährt man nach der Wende, dass er bei der Stasi war und plötzlich sind diese Texte nicht mehr wert", sagte Haußmann. "Was erzählt mehr über Kunst als dieser Vorgang." Aus der damaligen Szene sei fast die Hälfte der Leute bei der Stasi gewesen und es habe sich überwiegend um junge Männer unter 25 Jahre gehandelt. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Verrat in der Kunstszene hat es gegeben, wenn wir nur an die DDR oder zum Beispiel dort einen Sascha Anderson denken, der über Kunst und Künstler an die Stasi berichtet hat und dadurch auch über Kunst und Künstler – wer was wird, wer nichts, wer in den Westen fahren kann, wer nicht – mitentschieden hat. Um Verrat in der Kunstszene der DDR geht es auch in dem Stück, das heute an der Volksbühne Uraufführung hat, und das heißt "Haußmanns Staatssicherheitstheater". Eine Komödie von Leander Haußmann, der da in einer Doppelrolle ist als Autor und Regisseur, in der er an die Volksbühne zurückkehrt. Schönen guten Tag!
Leander Haußmann: Einen schönen guten Tag auch Ihnen!
Billerbeck: Wenn man an so Komödien und Stasi denkt, da fallen wahrscheinlich Kinogängern erst mal "Sonnenallee" und "Good Bye, Lenin!" ein. Ist das auch so eine Komödie über Stasi und DDR, die Volksbühne hat geschrieben, Sie graben da den Schrebergarten der Volksbühne um.
Haußmann: Ich maße mir an, Menschen zunächst einmal nicht zu beurteilen, sondern sie in dem, was sie tun, zu beobachten. Und das, was sie tun, ist, das liegt irgendwie in der Natur der Sache, ziemlich absurd. Und dieses Absurde wiederum ist komisch. Und wenn ich etwas liebe, dann ist das, Menschen zum Lachen zu bringen.
Proben-Impression mit dem Regisseur Leander Haußmann und Schauspielern
Proben-Impression mit dem Regisseur Leander Haußmann und Schauspielern© Harald Hauswald
Das Lachen ist praktisch das Entwaffnendste, was es gibt. Lachen funktioniert über Überraschung, der Mensch, der lacht, ist wehrlos. Das begreifen ja auch die Diktaturen, deswegen schaffen sie ja in der Regel den Volkshumor ab und kreieren einen neuen, offiziellen Humor, so wie in der DDR ja auch geschehen, da hätten wir dieses Theaterstück, respektive den Film, der dann später noch kommt, eben nicht machen können, das ist meine kleine, späte Rache, ohne dass ich Schlachten schlage, die schon gewonnen sind.
Billerbeck: Der Plot klingt ja einigermaßen überdreht und irgendwie doch wieder nah an einer wahren Geschichte. Ich sage jetzt Plot, weil wir auch von Filmen gesprochen haben. Die Stasi unterwandert die Szene im Prenzlauer Berg in Berlin, weil das Ministerium Angst hat, da nicht mehr durchzublicken, was da in der Kunst passiert, und gründet eine Sondereinheit – und die trägt dann auch noch den schönen Namen LSD. Die steht für was?
Haußmann: Das ist Lychener-, Schliemann- und Dunckerstraße.
Billerbeck: Alles klar. Drei Straßen in Prenzlauer Berg.
Haußmann: Das war das Dreieck, in dem wir uns bewegten und von dem aus auch, glaube ich, wichtige Impulse ausgingen zu jener Zeit, aber die bis heute ja reinreichen.

Hübsche, junge Clique

Billerbeck: Da werden Stasi-Spitzel also Teil der Avantgarde. Was heißt das dann für die Kunst?
Haußmann: Das ist die große Frage. Das ist ja auch die große Frage, Sascha Anderson betreffend, den Sie da eingangs erwähnten. Da ist jemand wie der Sascha Anderson, der wird ja auch vom Westen hofiert, der wird im Westen verlegt, alle sind außer sich über die Schönheit und die Originalität seiner Texte – und dann plötzlich erfährt man nach der Wende, dass er bei der Stasi war, und plötzlich sind diese Texte nichts mehr wert. Was erzählt mehr über Kunst als dieser Vorgang?
Kunst muss aufgeladen sein mit unserem Leben, mit unserem Schmerz, aufgeladen sein mit Wahrheit, dann ist es Kunst. Wenn diese Wahrheit verschwindet, dann ist der Konsument betrogen. Und das ist ein schwerwiegendes Vergehen, da hängen sehr viele Leute dran und da gibt es einige Kollateralschäden – übrigens auch, was Erinnerung betrifft. Wenn ich mich an diese Szene erinnere, in der wir damals unterwegs waren, diese hedonistische, sehr schlaue, sehr originelle, sehr hübsche Clique. Und dann erfahren musste, dass fast die Hälfte von uns bei der Stasi war und einige schon mit 17 Jahren.
Die Stasi war ja sehr jung, sie war ja nicht so alt, wie wir sie immer sehen, sondern das waren sehr, sehr junge Leute, unter 25, 95 Prozent Männer, ohne Liebe, ohne Streicheleinheiten. Das ist übrigens auch ein Thema im Theaterstück, was mit Leuten passiert, die keine Liebe erfahren. Es gibt keine guten Menschen, die nicht auch böse sind, und es gibt keine bösen Menschen, die nicht auch gut sind.
Sascha Anderson war der umtriebige Hans-Dampf-in-allen-Gassen in der Ostberliner Bohème-Szene im Prenzlauer Berg - und Stasi-Spitzel. Dieses wilde DDR-Doppelleben ruft jetzt ein Film in Erinnerung.
Der Schriftsteller und Stasi-Spitzel Sascha Anderson© picture alliance / dpa / EPA / Maurizio Gambarini
Billerbeck: Da fällt mir sofort ein Buch ein, das ist allerdings jetzt erschienen und nicht in der DDR, das heißt irgendwie "Die unberührte Gesellschaft". Waren die Leute, die sich da beschreiben, die da die Avantgarde unterwandern, eben auch so Unberührte?
Haußmann: Ja, ich finde schon, dass wir in unserer zivilen Gesellschaft dazu verpflichtet sind, die Dinge genauer zu untersuchen. Und ich finde auch, dass man Menschen nur bestrafen sollte nach einem ordentlichen Gerichtsverfahren. Das ist ja mit der Stasi nicht passiert. Man hat ihnen Renten gekürzt, ich glaube, die höchste Rente war, wenn wir sie jetzt umrechnen, 404 Euro, da kriegt man einen Wohnberechtigungsschein für, da muss man sich nicht wundern, wenn da nicht auch Wut hochkocht.
Vor allem in Sachsen, Sachsen, Dresden und so weiter haben ja die Staatssicherheitsleute auch gestellt zum größten Teil, Tal der Ahnungslosen, da wurden die Kader zum großen Teil auch geschmiedet, die sind immer noch da, die sind gedemütigt, die sind arm, die haben jetzt schon Kinder und Enkel. Das sind dann schon auch die Leute, die uns heute Schwierigkeiten machen, auch in ihrem Gedankengut, in ihrem beleidigten Dasein, in ihrer Erniedrigung.
Wir züchten uns diese Menschen ja heran, wir sind dafür auch verantwortlich. Wir können nicht immer nur mit Strafen reagieren und mit Entrüstung, sondern wir müssen die Dinge auch mal an der Wurzel packen. Wir können nicht immer nur urteilen über Leute, dass die doof sind, böse sind, schlechter sind, nur weil wir uns so gut fühlen wollen und müssen, um depressionsfrei durchs Leben zu gehen.

Tragik der Täter

Billerbeck: Reicht der Arm der Stasi so weit, dass Sie sagen, das ist da in Sachsen noch die Stasi?
Haußmann: Aber natürlich, man muss doch nicht denken, wenn man von blühenden Landschaften, ja im Grunde, von potemkinschen Dörfern spricht, dass hinter diesen Fassaden, ich meine, bei 100.000 hauptamtlichen Mitarbeitern und der Hälfte noch mehr inoffiziellen Mitarbeitern. Ich meine, diese Leute wurden weggeschoben, keiner hat ihnen die Hand gereicht. Das ist aber in einer christlich fundamentierten Gesellschaft ja im Grunde ein Muss. Da hat man ja die Nazis besser behandelt.
Wissen Sie, ich habe überhaupt gar keinen Grund, mich hier in dieser Frage so als Jeanne d’Arc vor die Stasi zu stellen, ich bin ja Geschädigter. Opfer würde ich nicht sagen, aber Geschädigter schon. Also mein Vater mit zehn Jahre Berufsverbot, ich offen beschattet bestimmt drei Jahre, Ausreiseantrag, mich dort in der Provinz rumgeschlagen habe – und doch kann ich es nicht über das Herz bringen, eine pauschale Wut zu empfinden auf diese Leute.
Stasi-Akten in der Außenstelle Rostock des BStU 
Akten der Staatssicherheit der DDR im Originalzustand in der Außenstelle Rostock des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU).© picture alliance / dpa / Foto: Bernd Wüstneck/ZB
Ich sehe die Stasiakten und ich sehe selbst von den Tätern aus eine gewisse Tragik, ein Hass, der da auch in den Dossiers gegen mich, gegen meine Familie, aber eben auch geboren aus einem extremen Minderwertigkeitsgefühl, wie es nur Menschen haben können, die so vernachlässigt, so bleichgesichtig und schmallippig erzogen und aufgewachsen sind wie diese Leute teilweise, die auf uns angesetzt waren.
Aber da gibt es dann eben auch lustige Sachen wie, dass ein Staatssicherheitsmann um seine Versetzung bittet, da er die Saufereien mit H nicht mehr durchhält. Er macht sich Sorgen um seine Leber, um seine Familie. Aus dieser Figur ist dann so eine Figur entstanden wie IM Starke Leber.

Slapstick und Wortwitz

Billerbeck: Jetzt haben wir so ganz ernst über das Thema geredet, aber das Ganze ist ja eine Komödie. Schildern Sie uns doch noch ein bisschen, was uns da ab heute Abend erwartet.
Haußmann: Ich habe im Verlauf der Arbeit – und ich bin ja schon fünf Jahre da dran –, habe ich festgestellt, wie viele Geschichten und wie viele Möglichkeiten auch im Slapstick, im Wortwitz es bietet. Es ist ja praktische ein Eldorado, weil das gibt es ja nicht. Das ist wie damals Sonnenallee, es gab ja auch keine Komödie über die DDR, und damit waren alle Schleusen geöffnet, unserer Fantasie eben auch.
Natürlich wird viel erfunden. Eigentlich geht es um einen älteren Mann, der heute zusammen mit seiner Frau durch seine Akte geht, er ist um Grunde ein Oppositioneller. Die Akte soll eigentlich seine Heldentaten feiern, aber die Frau findet in dieser Akte einen Brief, der von einer Frau ist, den diese Frau an ihn geschrieben hat, als seine jetzige Frau schwanger war von ihm und mit ihm schon verheiratet, und zwar erst drei Wochen.
Billerbeck: Dumm gelaufen, würde ich sagen.
Haußmann: Dumm gelaufen. Ein Liebesbrief, ein sehr emotionaler Brief – und es kommt zum Zerwürfnis. Und der Mann, der Herr Fuchs, muss sich seiner Vergangenheit stellen. Und nun erfahren wir, was da los war und warum er verheiratet ist, eingebettet natürlich im Drama, das müssen Komödien ja sein, wie wir wissen, da erlauben wir uns unsere Narreteien, unsere Scheplinaden in einer sehr aufwendigen, sehr, sehr aufwendigen Aufführung.
Billerbeck: Rückkehr an die Volksbühne, Leander Haußmann, Regisseur und Autor. Seine Komödie "Haußmanns Staatssicherheitstheater" hat heute Abend in der Berliner Volksbühne ihre Uraufführung und das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet. Herr Haußmann, ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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