Haußmann inszeniert "Der Geizige" in Hamburg

Die Einsamkeit der Geldgier

08:02 Minuten
Der Geizige von Molière Regie Leander Haußmann
Der Schauspieler Jens Harzer spielt die Hauptrolle in "Der Geizige" unter der Regie von Leander Haußmann. © Armin Smailovic
Leander Haußmann im Gespräch mit Ute Welty · 12.09.2020
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Für den Regisseur Leander Haußmann bleibt "Der Geizige" von Molière ein aktueller Stoff. Ihn fasziniert die Charakterkomödie, der er keine politische Dimension verleiht. Die Inszenierung feiert am Hamburger Thalia Theater ihre Premiere.
!Ute Welty:!! Wo anfangen, wo aufhören, wenn es um die Regiearbeiten von Leander Haußmann geht. Von "Sonnenallee" über "Kabale und Liebe" bis hin zum "Pubertier" reichen die Stoffe, die er für Kino und Fernsehen inszeniert. Auf die Bühne bringt er Shakespeare, Brecht und Plenzdorf und immer wieder auch Molière. 2001 ist es "Der eingebildete Kranke" gewesen am Thalia in Hamburg.
Genau dort findet auch die Premiere des "Geizigen" heute statt, und eines zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk, nämlich die Lust an den komischen Seiten der menschlichen Abgründe. Inwieweit das auch für Molière und seinen "Geizigen" zutrifft, erklärt Leander Haußmann so:
Leander Haußmann: Also "Der Geizige", das ist ein Stück, das sich über die Jahrhunderte gehalten hat und zu dem man eigentlich, wenn man das Schritt für Schritt verfolgt, das, was Molière da aufgeschrieben hat, dem nichts hinzuzufügen hat. Das ist jetzt etwas runtergestapelt, man muss natürlich etwas tun, man muss es ein bisschen auf den heutigen Ton kriegen und so weiter, man muss dem Rhythmus folgen. Aber wenn man das macht, dann ist das wirklich so was wie die Blaupause für alles, was danach kam.
Es ist die Erfindung der Charakterkomödie, und dann ist alles, was wir im Fernsehen sehen, diese ganzen genialen amerikanischen Sitcoms, alles das beruht immer auf diesem gleichen Prinzip. "How I Met Your Mother", das ist die Erfindung der Komödie, so wie wir sie heute vorfinden, und zwar wirklich auf sehr, sehr hohem Niveau. Man beginnt mit einer dramatischen, chaotischen Szene, und dann steigert man es. Mitten im Chaos bei Molière, mittendrin, da gibts keine Vorbereitung.
11.09.2020, Hamburg: Jens Harzer (Harpagon) und Marina Galic (Frosine) spielen während der Generalprobe der Komödie.
Die Liebe zum Geld geht für den "Geizigen" über die Liebe zu den Menschen, die ihm nahe stehen. © dpa / Daniel Reinhardt
Welty: Und was ist an Geiz offenbar immer noch geil, in Anspielung auf einen bekannten, aber nicht mehr aktuellen Werbeslogan?
Haußmann: Auf der einen Seite ist es natürlich leicht, das tun wir auch gerne, sich über Geizige lustig zu machen. Auf der anderen Seite tragen wir alle einen gewissen Geiz von Natur aus in uns, weil wir neben dem Herdentrieb und der sozialen Anforderung alle für uns selber verantwortlich sind.
Wenn aber diese Existenzangst derart von uns Besitz ergreift, dass sie uns zu Monstern macht, oder wenn wir das nicht gelernt haben, unsere Sorge um unsere eigene oder die Existenz der anderen, unserer Familie, zu beherrschen. Dann werden wir zu Monstern, dann werden wir teilweise zu Psychopathen. Kinder werden geizig geboren, abgeben muss man ihnen ja beibringen.
Wenn wir das nicht lernen, dann sind wir keine menschlichen Wesen, dann sind wir eigentlich fernab dieser Gesellschaft. Reiche Menschen, wirklich reiche Menschen sind in der Regel keine glücklichen Menschen, sonst würden sie sich nicht ununterbrochen umbringen oder gegeneinander klagen.
Familien, die gegeneinander klagen, das ist doch furchtbar, und das tun sie im "Geizigen" auch. Der "Geizige" geht so weit, dass seine Liebe zu seinem Geld die Liebe zu seinen Kindern oder zu seiner Familie an sich dominiert. Das ist dann krank. Da muss er uns eigentlich schon leidtun, weil ihm etwas fehlt.

Großzügigkeit als Hypothek für die Zukunft

Welty: "Der Geizige" bei Molière hortet seine Besitztümer bis hin zur Absurdität, Sie haben es gerade schon beschrieben, aber ist es wirklich schlau, sein Geld mit vollen Händen auszugeben?
Haußmann: Wir sagen immer, lieber aus der Warmen als aus der Kalten, also lieber den Kindern jetzt was geben, als bis nach dem Tod warten. Ich erfreue mich eher daran, Menschen zum Essen einzuladen, als zum Essen eingeladen zu werden. Geben ist immer seliger denn Nehmen, das ist keine Binsenweisheit. Allerdings ist es immer blöd, wenn man am Ende des Jahres außer Steuern nichts gewesen ist. Aber Großzügigkeit gekoppelt mit Loyalität, das ist eine Hypothek in die Zukunft, und das kriegt man auch irgendwann wieder zurück.
Welty: Wo verläuft denn die Grenze zwischen Geiz und Sparsamkeit? Wir haben es gerade in der Coronakrise erlebt, wie unterschiedlich die Haltung von Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark bewertet wird. Die sind auf der einen Seite die geizigen Vier oder eben dann auch die sparsamen Vier im Hinblick auf gemeinsame Hilfen innerhalb der EU.
Haußmann: "Der Geizige" ist kein Stück, das gesellschaftliche Themen aufgreift, politische Dimensionen erfasst. "Der Geizige" ist eine subjektive, eine ganz persönliche Charakterstudie – wo wir hinkommen, in welche Einsamkeit und welche Verwicklung man kommt, wenn man ausschließlich auf das Geld konzentriert ist. Es geht um Liebe, Liebe geben, Liebe nicht bekommen. Es ist eine Charakterkomödie, die ich sehr ungern in die politische Welt der Europäischen Union verlagern möchte.

Überfordert in der Coronakrise

Welty: Deutschland hat sich jetzt erst mal von schwarzer Null und Schuldenbremse verabschiedet, man investiert Milliarden, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Täte etwas mehr Molière dem Finanzminister vielleicht sogar ganz gut?
Haußmann: Ich würde jetzt nicht pauschal sagen, dass die Coronakrise mit Geiz überwunden worden wäre, sondern man war relativ schnell, in einem eigentlich bürokratischen System, mit Hilfe. Man war in gewisser Weise überfordert. Ich würde nicht sagen, dieses System hätte da irgendwie versagt.
Noch ist das nicht zu Ende, wir gucken mal, mit welchen Ergebnissen wir aus dieser ganzen Geschichte herauskommen, ob uns das Finanzamt unsere Steuern stundet, weil wir alle unsere Rücklagen aufgebracht haben. Was danach rauskommt, das wird interessant, wie da die Solidargemeinschaft, auf die wir uns so viel einbilden, wie die dann funktioniert.
11.09.2020, Hamburg: Leander Haußmann, Regisseur, aufgenommen vor dem Thalia Theater am Rande eines dpa-Interviews.
Der Regisseur Leander Haußmann feiert im Thalia Theater seine Premiere von "Der Geizige" unter Coronabedingungen. © dpa / Daniel Reinhardt
Welty: Als Molières "Der Geizige" 1668 in Paris uraufgeführt wird, regiert nicht der Geiz, sondern der Prunk in Gestalt von Ludwig XVI. Warum trifft das Stück damals den Nerv des Publikums und tut es offenbar immer noch?
Haußmann: Weil der Geiz eine der sieben Todsünden ist und weil es uns beschäftigt, weil wir wissen, dass wir abgeben müssen. Weil wir sonst über die Obdachlosen auf der Straße stolpern und weil wir sonst von einer anderen sozialen Schicht gefressen werden. Wir wissen, dass wir gegen unseren Geiz und gegen unsere eigenen Existenzängste ankämpfen müssen.
Jeder weiß, was es heißt, in der S-Bahn einem Bettler nichts zu geben, wegzugucken. Obwohl man gerade die Taschen voller Sachen aus KaDeWe oder Kaufhaus vollgeladen hat, redet man sich trotzdem ein, dass der Bettler irgendeiner Organisation angehört, die denen das Geld aus der Tasche zieht. Das ist ein ganz kleiner, ganz alltäglicher Geiz, der aber vollkommen unsinnig ist, weil niemand bettelt gerne, und jeder, der einen Groschen in der Tasche hat, sollte den auch abgeben.

Deutschland sollte in Moria helfen

Welty: Abgeben also auch für die Flüchtlinge in Moria?
Haußmann: Es ist nicht unbedingt das Stück, das sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Das ist meine ganz persönliche Meinung, die ich schon immer hatte: Wie kann es sein, dass man nicht sofort die Leute hierherholt? Das ist nicht Geiz, das ist die höchste Form von Kaltherzigkeit.
Gerade Deutschland kann sich jetzt wirklich Lorbeeren verdienen und ein paar Dinge, die gar nicht gutzumachen sind, aber doch irgendwie relativieren, indem es ganz vorne an der Spitze derer mitmarschiert, die diesen Menschen die Hände reichen. Wie kann man nur einen Moment da hingucken, wie diese armen kleinen Kinder da vor den Tankstellen und auf den Straßen schlafen. Was wird da diskutiert? Da muss man hinlaufen, die rausholen. Es kann doch nicht sein, wir haben doch hier genug Platz in diesem Land, und wir haben auch immer noch genug Geld.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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